Der neue Papst wird viele Baustellen vorfinden

Zwischen Tradition und Moderne

Nach dem Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. gibt es zahlreiche Wünsche nach Reformen und neuen Impulsen: Ein Überblick über die am häufigsten genannten Diskussionsfelder.

Autor/in:
Christoph Arens
Rom: Vorbereitungen auf das Konklave (DR)
Rom: Vorbereitungen auf das Konklave / ( DR )

Reform der Kurie: Bischöfe, Kardinäle und katholische Politiker fordern eine Modernisierung der Kurie. Die wichtigsten Mitarbeiter des Papstes sollten ähnlich wie nationale Regierungen regelmäßig zusammentreffen und über wichtige Probleme beraten. Stärker Dienstleister und weniger Weisungsstelle für die Weltkirche, so ein weiterer Wunsch an die Kurie. Nach dem Rücktritt von Benedikt XVI.
hieß es, angesichts der Globalisierung und der schnellen Kommunikation könne ein Einzelner die Geschicke einer Weltkirche nicht mehr schultern. Deshalb sollen auch die Kardinäle öfter zusammentreffen und sich austauschen. Gefordert wird nach den Skandalen der vergangenen Jahre - sexueller Missbrauch, «Vatileaks», Vatikanbank - auch mehr Transparenz in der Kurie.

Kollegialität: Trotz zahlreicher Bischofssynoden, zu denen Benedikt XVI. und sein Vorgänger Johannes Paul II. einluden, wünschen sich viele Kirchenvertreter, dass der neue Papst die Kollegialität der Bischöfe bei der Leitung der Weltkirche voranbringt. Nach Ansicht von Kritikern waren die Bischofssynoden zu starr organisiert; sie verhinderten einen echten Austausch von Argumenten. Kritisiert wird, dass sich der Vatikan teils direkt in Probleme von Ortskirchen einmischte, ohne auf die Bischöfe vor Ort zu hören.

Dezentralisierung: Wie viel Einheit ist nötig und wie viel Vielfalt möglich? Kurienkardinal Walter Kasper spricht sich dafür aus, dass angesichts einer zusammenwachsenden, aber kulturell sehr diversen Welt die örtlichen beziehungsweise kontinentalen Kirchen «einen gewissen Freiraum» erhielten. Das bedeutet auch eine Verschiebung der Perspektive: Europa ist nicht mehr das Zentrum der Kirche; die Katholiken in Asien, Afrika und Lateinamerika beanspruchen mehr Mitsprache und weniger Zentralismus.

Kirche und Rechtssicherheit: Nach umstrittenen Bischofsernennungen wird immer wieder der Ruf nach mehr Mitsprache der Gläubigen und der Ortskirche bei der Auswahl von Bischöfen laut. Kritiker bemängeln zudem, dass vom Vatikan gemaßregelte Theologen kein faires Verfahren bekommen und sich nicht verteidigen können.

Stellung der Laien: Gerade in Deutschland wird angesichts eines zunehmenden Priestermangels immer wieder der Ruf nach mehr Mitsprache und Verantwortung für die Laien laut. Katholiken, die in einer demokratischen Gesellschaft leben, wollen auch in der Kirche und in ihren Gemeinden vor Ort mitreden. In Lateinamerika und Asien gibt es bereits Modelle, in denen Laien große Gemeinden weitgehend leiten und das kirchliche Leben orGanisieren. Berufen können sie sich auf eine Aussage Benedikts XVI., dass Laien nicht mehr nur als Mitarbeiter des Klerus betrachtet werden dürften, sondern «wirklich mitverantwortlich für das Sein und Handeln der Kirche» seien.

Neuevangelisierung: Einen Schwerpunkt seiner Amtszeit hat Benedikt XVI. auf die Neuevangelisierung gelegt. So gründete er dafür einen eigenen päpstlichen Rat und rief ein «Jahr des Glaubens» aus. Von einem neuen Papst wird erwartet, dass er die Botschaft des Evangeliums der modernen, immer pluraler werdenden Welt vermitteln kann.

Weltreligionen: Die Beziehungen zu Judentum und Islam waren während der Amtszeit von Benedikt XVI. nicht frei von Störungen; sie erwiesen sich allerdings insgesamt als gefestigt. Dennoch sind die Spielräume der Katholiken in islamischen und religionsfeindlichen Ländern wie China und Vietnam nicht geWachsen. Angesichts der wachsenden Bedeutung von Religion an vielen Brennpunkten der Erde wird dem neuen Papst eine wichtige weltpolitische Rolle zukommen.

Ökumene: Benedikt XVI. sah in der Arbeit an einer Wiederherstellung der Einheit der Christen als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Mit der maßgeblich von ihm gefördeRten Unterzeichnung der Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 wurde sogar ein Strich unter 500 Jahre Lehrverurteilungen zwischen katholischer und lutherischer Kirche gezogen. Andererseits hielt die katholische Kirche unbeirrt an römisch-katholischen Positionen zu Abendmahl und Kirchenverständnis fest und erntete damit heftige Kritik. Nicht nur evangelische Christen äußern die Erwartung, dass es unter dem neuen Papst bei umstrittenen ökumenischen Fragen wie der Zulassung zum Abendmahl zu Fortschritten kommt.

Auf orthodoxer Seite waren die Erwartungen an Benedikt XVI. hoch, da dieser mit seiner in der Tradition der Kirchenväter der ersten Jahrhunderte stehenden Theologie viel mit der Orthodoxie gemeinsam hat. Allerdings blieb es bei eher atmosphärischen Verbesserungen und regelmäßigen Kontakten. Offen ist, wie weit ein neuer Papst aus Afrika, Asien oder Lateinamerika ein tieferes Verständnis für die Interessen der orthodoxen Kirchen mitbringt.

Sexualmoral: Selbst in katholischen Ländern wie Irland, Spanien und Polen lehnt die Mehrheit der Katholiken in Umfragen die Sexualmoral der Kirche ab. Beobachter hoffen, dass in der Kirche ein neues Nachdenken darüber einsetzt, wie sie eine positive Wertorientierung vermitteln kann, statt überwiegend Verbote zu formulieren. Unter Verweis auf das unkontrollierte Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt und die katastrophalen Auswirkungen von Aids fordern viele, dass die Kirche ihr Nein zu Pille und Kondomen revidiert.

Stellung der Frau in der Kirche: Fast niemand rechnet damit, dass in absehbarer Zeit Frauen zu Priestern geweiht werden können. Zumindest in Deutschland geht die Tendenz dahin, den Frauen mehr Verantwortung in der Seelsorge, in der Wissenschaft und in der Präsenz der Kirche vor Ort zu geben. In der Diskussion ist auch der von Kurienkardinal Kasper formulierte Vorschlag, über ein eigenes Diakoninnen-Amt nachzudenken. Es solle sich allerdings vom priesterlichen Weiheamt unterscheiden.

Pflichtzölibat: Angesichts zurückgehender Priesterzahlen in Europa, aber auch vieler Gemeinden ohne Geistlichen in Südamerika wird vielfach eine Aufhebung des Pflichtzölibates für Priester gefordert.
Auch die Zulassung von «bewährten» verheirateten Männern, den sogenannten viri probati, ist immer wieder in der Diskussion. Ob sich ein neuer Papst zu solch weitgreifenden Reformen entschließen kann, ist sehr ungewiss.


Die Papstwahl (Grafik aus dem neuen Baedeker-Reiseführer Rom) (Baedeker)
Die Papstwahl (Grafik aus dem neuen Baedeker-Reiseführer Rom) / ( Baedeker )
Quelle:
KNA