Experte warnt vor TTIP-Abkommen

Demokratie als Handelshindernis?

Als Afrikareferent des Internationalen Kolpingwerkes beschäftigt sich Volker Greulich auch mit internationalem Handel und seinen Auswirkungen. Er sieht das geplante Freihandelsabkommen TTIP sehr kritisch, weil es seiner Meinung nach die demokratische Mitbestimmung aushebelt. Jetzt zähle genaues Hinschauen.

Protest gegen TTIP (dpa)
Protest gegen TTIP / ( dpa )

domradio.de: Ein Abkommen könne nur dann ethisch akzeptiert werden, wenn es auch den Armen und Schwachen Perspektiven eröffnet, das sagt Kardinal Marx. Tut TTIP das denn? Mehr Jobs und Wohlstand für alle?

Volker Greulich (Projektreferent Afrika bei Kolping International und TTIP-Gegner): Gute Frage. Da sitzen Vertreter von Wirtschaftsinstitutionen, da sitzen Vertreter des Handelsministeriums und reden darüber. Es sind weder Umweltschutzorganisation, Verbraucherschutzorganisationen, Gewerkschaften da. Da reden Leute, für die Regeln in aller ersten Linie erst einmal ein Handelshemmnis sind. Je mehr man von den Regeln wegmachen kann, desto besser ist das. Es wird immer gesagt, wenn man die Wirtschaft wirklich von Hemmnissen befreit, gibt es mehr Wachstum - das mag ja stimmen. Wenn es mehr Wachstum gibt, dann gibt es auch mehr Wohlstand. Aber stimmt das denn? Gibt es mehr Jobs? Wird denn das, was mehr verdient wird, nicht am Ende auf Bankkonten geparkt. Selbst wenn es Jobs gibt, reden wir dann über wirklich gute langfristige unbefristete Arbeitsverhältnisse oder reden wir über Jobs, die den Leuten gerade einmal ein Leben am Existenzminimum erlauben? Zweifel sind da erlaubt und so lange nicht offengelegt wird, über was eigentlich geredet wird, denke ich, werden diese Zweifel auch nicht verstummen.

domradio.de: Die Frage ist nicht, ob es mehr Gewinne gibt, sondern wer davon am Ende profitiert und diese Gewinne einstreicht?

Greulich: Genau, das wird ja immer ausgeklammert. Es geht ja nur darum: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Ich habe nichts gegen Wachstum. Man kann den Kuchen nur verteilen, wenn er groß genug ist, aber es muss eben auch mal geklärt werden, wie der Kuchen verteilt wird. Globalisierung, Liberalisierung sind ja nichts Neues. TTIP ist ja nicht erst der Einstieg daran. Wir haben ja seit 25 Jahren den Effekt: Der Mittelstand fühlt sich bedroht. Gute Arbeitsverhältnisse werden auch in der Industrie immer seltener. Hat das wirklich für den normalen Bürger viel gebracht?

domradio.de: Der kritischste Punkt aber aus Sicht vieler TTIP-Gegner ist der geplante Investorenschutz. Da wird immer wieder von privaten Schiedsgerichten gesprochen. Was genau ist das?

Greulich: Ursprünglich sind diese Institutionen entstanden in einer sehr Situation, in der relativ hoch entwickelte Länder mit nicht so hoch entwickelten Ländern außerhalb Europas verhandelt haben und wo man einfach Sorge hatte, dass beim nächsten Militärputsch oder beim nächsten Regierungswechsel ausländische Investitionen verstaatlicht würden. In Ländern mit sehr schwachem Rechtssystem. Einer der TTIP-Befürworter hat mal auf das glorreiche Beispiel eines Abkommen zwischen Deutschland und Kongo hingewiesen. Diese Schiedsgerichte, die nicht Gerichte mit unabhängigen Richtern sind, sondern die paritätisch von der Wirtschaft und beteiligten Staaten besetzt werden, haben im Grunde genommen die Zuständigkeit zu entscheiden, ob der Staat in diesem Fall die Spielregeln der Vereinbarung verletzt hat und können dann Strafen verhängen.

domradio.de: Das ist ja eigentlich etwas Positives. Ein deutsches Unternehmen investiert beispielsweise im Kongo und damit soll sozusagen das Unternehmen geschützt werden vor Enteignungen. Nun verhandeln wir ja gerade TTIP nicht mit dem Kongo sondern mit den USA oder zwischen Nordamerika und Europa.

Greulich: Meine Gegenfrage ist immer: Wogegen muss man Investoren in einem demokratischen Rechtsstaat eigentlich schützen, wenn nicht vor den Entscheidungen demokratisch legitimierter Parlamente? Demokratie kann doch nicht ein Handelshindernis sein! Demokratische Mitbestimmung ist ein Grundrecht, das steht in der Verfassung. Das kann doch jetzt nicht einfach wegverhandelt werden, damit bestimmte Industriezweige ein paar Nullkommaprozentpunkte mehr Profit auf dem Konto haben.

domradio.de: Was würde das denn bedeuten, wenn diese Schiedsgerichte kommen würden?

Greulich: Es gibt ja so einen Fall. Der schwedische Energieversorger Vattenfall, der wegen der Energiewende gegen die Bundesregierung geklagt hat. Er will Milliarden dafür haben. Genau so etwas können dann auch amerikanische Firmen oder auch europäische Firmen, denen bestimmte Spielregeln in den USA nicht gefallen, machen. Maßstab sollen, nach allem, was man hört, die erwarteten Gewinner sein. Das heißt, ein Unternehmen kann sagen, ich hätte eigentlich damit gerechnet so und so viele Kohle zu machen, jetzt tue ich das nicht - also müsst ihr dafür bezahlen. Wenn zum Beispiel in Zukunft irgendein Wirkstoff als krebserzeugend erkannt wird und ein Parlament dann beschließen sollte, der darf nicht mehr sein, könnte der Produzent sagen, liebe Leute, dafür wollen wir aber Geld haben. In Zukunft müssen unsere gewählten Parlamentarier gewissermaßen Strafe zahlen, wenn sie Entscheidungen treffen, nach denen Unternehmer das Gefühl haben, dass Ihnen dadurch Gewinne entgehen. Mittlerweile ist das natürlich auch ein Punkt, wo der Protest so hart ist und so scharf ist, dass selbst einige Politiker bereits zurückrudern und versuchen, das Ganze ein bisschen aufzuweichen. Letztlich gibt es in einem demokratischen Rechtsstaat keine Legitimation für einen Schutz von Investoren außerhalb der unabhängigen Gerichte, die wir ja Gott sei Dank haben.

domradio.de: Trotzdem haben ja Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schon gesagt, dass TTIP kommen wird.

Greulich: Es gibt eine ganze Menge Bürger, die anderer Ansicht sind. Das Ding ist relativ offen. Viele Reaktionen in den letzten Monaten - gerade solche Aussagen - machen mir als bekennenden TTIP-Kritiker Mut, weil man merkt, dass in den Kreisen bei den verhandelnden Partnern die Angst umgeht, dass die Zivilgesellschaft, die sich nicht aufs Glatteis hat führen lassen, das Spielchen verderben könnte.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.


Quelle:
DR