Kolping International über die neue Gewalt in Mexiko

"Ein Klima des Misstrauens und der Angst"

In Mexiko haben Ermittler 28 Leichen aus einem Massengrab geborgen. Die Hinweise auf ein Massaker gegen protestierende Studenten verdichten sich. Simone Lehmann, Referentin für Zentralamerika bei Kolping International, im domradio.de-Interview.

Polizisten überwachen die Bergung der Leichen in Mexiko (dpa)
Polizisten überwachen die Bergung der Leichen in Mexiko / ( dpa )

domradio.de: Kolping International unterhält einige Projekte in Mexiko, seit Jahren leidet das Land unter dem verschärften Kampf der Regierung gegen die Drogenkartelle - wie brutal ist die Auseinandersetzung nach Ihrer Einschätzung?

Lehmann: Die Bedrohung durch Gewalt ist immer präsent, es ist ein Gefühl von Unsicherheit. Sicherheitsmaßnahmen muss man schon seit langer Zeit treffen, um sich nicht einer Gefahrensituation auszusetzen. Auch die starke Präsenz von Militär und bewaffneter Polizei oder auch privater Sicherheitsorganisationen ist frappierend für jemanden, der vielleicht aus Deutschland kommt. Man sieht überall Militärs mit Maschinengewehren im Anschlag, die dann durch verschiedene Städte patrouillieren. Dieses Bild ist charakteristisch für den mexikanischen Alltag. Auch der Schulterblick nach hinten, dass man sich einfach unsicher fühlt, das ist relativ normal. Was aber bis vor kurzem gut funktioniert hat, auch in dem Kontext, in dem Kolping Mexiko arbeitet, war ein Schutz durch das soziale Gefüge. Das heißt zum Beispiel, wenn die Einrichtungen von Kolping in einem Viertel waren, wo schon Gewalt präsent war oder auch Drogenbanden aktiv waren, gab es doch gegenseitigen Respekt. Das heißt, Kolping hat nicht versucht, sich in diese Angelegenheiten einzumischen, sondern Jugendlichen eine Perspektive zu bieten. Gleichzeitig haben aber auch die kriminellen Banden Kolping in Ruhe gelassen. Das hat sich in der Tat in diesem Jahr zum schlechteren gewandelt.

domradio.de: Seit einigen Jahren forciert ja die Regierung den Kampf gegen die Drogenkartelle. Hat das Ihre Arbeit eher erschwert als erleichtert?

Lehmann: Ja. Was wirklich charakteristisch ist, ist ein grundsätzliches Misstrauen, auch in der Gesellschaft insgesamt, gegenüber Fremden, Neuem. Dieses Gefühl des Ausgenutztwerdens, dass man sich erstmal sehr individualistisch verhält in der Gesellschaft aus Angst oder Misstrauen den Anderen gegenüber, gehört dazu. Gerade wir, die wir für das Gemeinwohl arbeiten und auch Hilfe zur Selbsthilfe propagieren in Familienkontexten - klassisches Beispiel ist der Kolping-Familienhalt, dass man sich zusammenschließt und gemeinsam agiert - das ist eben in diesem Kontext von Gewalt und des Misstrauens besonders schwierig in Mexiko.

domradio.de: Man kann sich in so einem Klima des Misstrauens ja kaum vorstellen, dass man da konkret helfen kann. Was ist denn so ein typisches Projekt von Kolping Mexiko?

Lehmann: Gerade der konträre Ansatz der Solidarwirtschaft, economia solidaria, die vor allem die arme Bevölkerung befähigt und ermutigt, eigene Kleinunternehmen zu gründen. Ein klassisches Beispiel ist ein kleiner Kiosk oder eine Käseproduktion oder Handwerksarbeiten, so dass die Leute sich eben nicht abhängig machen einerseits von der Ausbeutung durch Großunternehmen, andererseits aber auch nicht perspektivlos sind und den Weg in die USA antreten, sondern dass sie sich erstmal trauen, Kleinkredite aufzunehmen und dann entsprechend ihrer Talente ein eigenes Unternehmen gründen.   

domradio.de: Süd- und Mittelamerika haben ja durchaus wirtschaftlich aufgeholt in den letzten Jahren. Inwieweit gilt denn das eigentlich für Mexiko?

Lehmann: Wenn man sich die harten Zahlen anschaut, die globale wirtschaftliche Entwicklung, hat Mexiko sehr stark aufgeholt. Das ist aber auch gleichzeitig das Pulverfass in Mexiko. Es gibt sehr wenige extrem reiche Gewinner dieses wirtschaftlichen Aufschwungs und leider noch sehr, sehr viele Verlierer. Viele haben von Mexiko das Bild von Mexiko Stadt, den Reichenvierteln, wo es auch mehr Reichtum gibt als in unseren Villenvierteln. In den Einkaufszentren kann man alles kaufen, was man hier auch kaufen kann. Aber auf der Kehrseite, gerade im ländlichen Raum oder bei der indigenen Bevölkerung, gibt es keinen Strom und kein fließendes Wasser. Da geht es um den Überlebenskampf, weil es nicht ausreichend Nahrungsmittel gibt. Da haben Jugendliche keine Perspektive und versuchen zu migrieren und werden von der Gesellschaft auch stigmatisiert. Es ist oft so, dass Jugendliche in der Stadt gleichgesetzt werden mit Kriminellen und die Leute die Straßenseite wechseln, statt die Jugendlichen als die Zukunft des Landes wahrzunehmen. Das ist jetzt frappierend deutlich geworden.

domradio.de: Dann stellt sich die Frage, wie können wir denn in Deutschland den Mexikanern bei der Bekämpfung der Armut helfen? Oder geht das von hier aus gar nicht?

Lehmann: Ich glaube, insgesamt die Bewusstseinsschärfung, dass Mexiko nicht das reiche Wunderland ist wie es teilweise dargestellt wird. es gibt ja viel Kritik in dem Kontext: Warum gibt es überhaupt noch Entwicklungszusammenarbeit? Warum ist noch Unterstützung für Mexiko notwendig? Ich glaube, da können wir in Deutschland erstmal damit anfangen, auf diese Situation aufmerksam zu werden und festzustellen, es sind nicht alle Jugendlichen Drogenhändler oder gewalttätig. Es gibt viele Leute, die noch unterstützungsfähig sind. und wir können an unsere Politik appellieren, dass sie ihren Einfluss auf Mexiko auch als wichtiger wirtschaftlicher und strategischer Partner auch geltend macht.

Das Gespräch führte Mathias Peter.


Quelle:
DR