Chefredakteur des Kolping-Magazins bewertet deutsche Familienpolitik

Nach OECD-Studie

Der alleinige Ausbau der Betreuung von Kindern in Kitas und Krippen reicht zur Familienförderung nicht aus, das meint der Chefredakteur des Kolping-Magazins, Martin Grünewald. "Wenn es so einfach wäre, dann hätten wir wirklich eine geringere Diskussion." Die Entscheidung für ein Kind hänge vielmehr von einer verlässlichen Partnerschaft und einer gesicherten Existenzgrundlage der Eltern ab.

 (DR)

domradio.de: Herr Grünewald, lieber weniger Kindergeld und Steuererleichterungen, dafür mehr Krippen und Kindergärtenplätze - das ist die Empfehlung der Experten der OECD-Studie an Deutschland. Sehen Sie das auch so?

Martin Grünewald: Man muss das differenziert betrachten. Wenn es so einfach und klar wäre, dann hätten wir wirklich eine geringere Diskussion. Wenn man nachdenkt oder fragt, wie Eltern darüber denken, dass sie ein Kind bekommen, dann erhält man als Antwort: Ich brauche eine verlässliche Partnerschaft und ich brauche eine sichere Existenzgrundlage. Bevölkerungsforscher haben festgestellt, dass letzteres das Hauptthema ist, wenn es um die Bereitschaft geht, ein Kind zu bekommen. Das kann man natürlich nicht unbedingt so durch Maßnahmen des Staates erreichen. Die angesprochenen Förderungen sind ja keine Subventionen. Wir erleben momentan, dass es in manchen Medien heißt: "Ja, wenn man die Familien fördern will, dann muss man eigentlich mehr etwas für die staatlichen Einrichtungen tun, für die Ganztagsbetreuung. Und man muss weniger für die Familien direkt tun.’ Das ist sehr bedenklich. Denn erst einmal muss unser Staat grundsätzlich Wahlfreiheit gewährleisten und den Menschen keine Lebensentwürfe vorschreiben. Er muss jedem die Möglichkeit geben, seinen Lebensentwurf umzusetzen.



domradio.de: Meinen Sie denn, dass die geforderte Vereinbarkeit von Beruf und Familie als ganz wichtiges Kriterium für Familienförderung überbewertet wird?

Grünewald: Grundsätzlich ist es so, dass die meisten Menschen, die große Mehrzahl der Eltern, ihre Kinder erst einmal selbst erziehen möchten. Laut Umfragen sagen 88 Prozent, dass sie ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren selber erziehen wollen. Natürlich ist es häufig ein Problem, dass ich aus dem Arbeitsleben ausscheren muss, ich den Anschluss zu verlieren drohe und dadurch natürlich versuche, den Kontakt zur Arbeitswelt zu behalten. Da müssen natürlich die Rahmenbedingungen verbessert und Möglichkeiten geschaffen werden, wobei auch die Wirtschaft da ihre Verantwortung hat: Nicht nur die Eltern müssen sich der Arbeitswelt anpassen und Familien müssen für die Arbeitswelt da sein, sondern auch die Arbeitswelt muss sehen, dass die Familien intakt bleiben, dass sie ihren Aufgaben genügen können. Sie müssen auch ihren Teil dazu beitragen.



domradio.de: Wäre es denn ganz grundsätzlich gut - egal, ob eine Frau mehrere Jahre zuhause bleiben und für ihre Kinder da sein möchte oder nicht - , mehr Betreuungsplätze zu haben, um Kinder zum Beispiel so früh wie möglich optimal zu fördern?

Grünewald: Wir brauchen sicherlich ein gutes Angebot an Betreuungsplätzen, das muss auch qualitativ gut sein. Aber es will nicht jeder, dass das Kind außerhalb der Familie erzogen wird. Manche Eltern möchten es einfach selbst tun. Und wir müssen auch diejenigen stärken, die das tun. Unser Nachbarland Frankreich macht das zum Beispiel. Dort haben wir kein großes Krippensystem, wie wir es momentan in Deutschland aufbauen, sondern außer in den großen Städten wie Paris, wo es eine Anzahl von Kinderkrippen gibt, hauptsächlich Tagesmütter. Und die Betreuung dort ist persönlich und nicht in einer großen Gruppe. Studien in den USA haben festgestellt, dass Risiken bestehen, wenn Kinder in zu großen Gruppen erzogen werden, insbesondere bei Kindern unter drei Jahren. Erst ab einem gewissen Alter, wenn die Kinder selbstständig und autonom werden und sich auch mit anderen Kindern beschäftigen, mit ihnen spielen können, erst dann macht eine große Gruppe Sinn. Das darf man auch nicht vergessen.



domradio.de: Die OECD-Studie stellt auch fest, dass die Art der Familienförderung, also ich wiederhole es noch einmal: Investiere ich jetzt direkte finanzielle Mittel in die Familien oder baue ich Kinderkrippen und Kindergärten aus, die Art der Familienförderung also überhaupt keinen eindeutig nachweisbaren Einfluss auf die Geburtenrate hat. Was glauben Sie, ist der Grund, warum in Deutschland noch immer so wenig Kinder geboren werden? Warum ist es für Frauen, für Paare nicht leichter, diese Entscheidung zu treffen?

Grünewald: Es ist in der Tat so, dass Länder wie die USA oder Italien, wo die Förderung relativ gering ist, eine besser Geburtenrate haben, in anderen Ländern wiederum liegen andere Befunde vor. Es liegt auch an der Kultur eines Landes und der Gesellschaft. Und die Frage ist: Wie familienfreundlich sind wir eigentlich in Deutschland? Wie schätzen wir die Aufgaben von Frauen, von Vätern in der Familienarbeit ein? Da gibt es großen Bedarf, über 80 Prozent sagen in Deutschland, dass es zu wenig gesellschaftliche Anerkennung gäbe. Und gerade diese Ideologisierung, die wir zur Zeit erleben, dass bei den Lebensentwürfen polarisiert wird, ob ich mich nun selbst um die Kinder kümmere oder ob ich sie in die Obhut des Staates gebe, diese Polarisierung nützt den Familien überhaupt nicht. Jeder muss seinen Lebensentwurf leben können, er muss sich selbst dafür entscheiden, muss spüren, was für ihn das Richtige ist. Und der Staat sollte bitte keinen Druck ausüben, einem Entwurf zu folgen und einen anderen abzuwerten. Wir müssen insgesamt familienfreundlicher sein und weniger diskriminieren in den Familien.