Auch in Corona-Zeiten bleibt das Kölner Wahrzeichen Publikumsmagnet

"Jeder will den Dom möglichst unberührt erleben"

Mit der Ferienzeit in allen Teilen Europas wird auch der Dom wieder voller. Doch die Domschweizer achten genau darauf, dass sich nie mehr als 300 Touristen gleichzeitig in der Kathedrale aufhalten und diese nicht zum Hotspot für Neuinfektionen wird.

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Von Beatrice Tomasetti
Familie Schmidt aus Rheinbach, im Gespräch mit Marco Felgenheuer, kennt den Dom von der Aussendungsfeier für die Sternsinger / © Beatrice Tomasetti (DR)
Familie Schmidt aus Rheinbach, im Gespräch mit Marco Felgenheuer, kennt den Dom von der Aussendungsfeier für die Sternsinger / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Frage, wo sich denn nun das berühmte Richter-Fenster befinde, muss jeder Domschweizer gefühlte 20 Mal am Tag beantworten. Sie gehört zu den meistgestellten Fragen in Deutschlands beliebtestem Touristenziel überhaupt. Über einen amüsanten Nebenaspekt dieses ungebrochenen Interesses musste jetzt Domschweizerin Nicole Reitgruber schmunzeln, als sie auch von Enno (7) und Tilda (5) zu diesem zeitgenössischen Kunstwerk gelöchert wurde. Schließlich waren die beiden mit ihren Eltern aus Hohenholte bei Münster zum ersten Mal im Kölner Dom und zeigten sich kolossal angetan von den Ausmaßen dieser Kathedrale. Vor allem aber davon, dass eine der meistbetrachteten Attraktionen in dieser großen Kirche ausgerechnet "ihren" Namen trägt. Das schlug im Ranking der vielen Highlights, die sich Iris und Winfried Richter bei der einwöchigen Ferienwoche in Köln für ihre Sprösslinge ausgedacht hatten, nochmals um Längen die obligatorischen Ausflüge in den Zoo, auf den Minigolfplatz oder mit der Gondel über den Rhein.

Große Planungen in die Ferne – womöglich an überfüllte Strände an der deutschen Küste – hätten diesmal coronabedingt nicht angestanden, erklärt der Familienvater zu dem selbstgewählten Alternativprogramm. Auch die Enttäuschung, wenn eine solche Reise doch noch im letzten Moment hätte abgesagt werden müssen – immerhin befindet sich der Fleischbetrieb Tönnies nicht weit von ihrem Heimatort – habe er seinen Kindern nicht zumuten wollen. Und so hat Winfried Richter dankbar das Angebot seiner Schwester angenommen, deren Klettenberger Wohnung in Abwesenheit für die vierköpfige Familie zu nutzen und nun eben die Angebote der Rheinmetropole auf kurzweiligen Kinderspaß hin zu testen. Das in allen Farben schillernde Richter-Fenster ist dabei eher zum überraschenden Volltreffer geworden.

Mundschutzmasken sind im Dom Pflicht

Auch Ursula Walterscheid und Paulo Heitlinger gehören zu denen, die in Corona-Zeiten lieber vor der Haustür Urlaub machen und die eigene Umgebung neu erkunden wollen. Mühelos hält sich das Paar mit Fotoapparaten zwei Stunden lang im Dom auf. "Obwohl ich schon diverse Führungen mitgemacht habe, entdeckt man doch immer noch etwas Neues", freut sich die Mittfünfzigerin, die es aus der Südstadt nicht weit hat und sich für diesen City-Trip mit ihrem Partner eigens einen Tag Urlaub genommen hat. Mit viel Muße studieren die beiden die übrigen bunt leuchtenden Kirchenfenster in typischer Renaissance-Manier, auch vor dem Gnadenbild der Mailänder Madonna verharren sie lange. Denn Heitlinger will ein E-Book über Köln erstellen, und da sammelt der Autor und Fotograf aus Portugal eine Menge optischer Eindrücke. Immerhin sei religiöses Leben ein wesentlicher Bestandteil dieser Stadt, argumentiert er. Und so kurz vor der Vesper, wenn der Dom für die abendliche Andacht vom Publikumsverkehr geräumt würde, entstünden besonders reizvolle Bilder in dieser einzigartigen Kulisse.

Für Domschweizer Walter Nolte sind diese Sommerwochen nicht wesentlich anders als sonst auch – abgesehen davon, dass sich immer nur eine begrenzte Zahl von 300 Touristen gleichzeitig in den Seitenschiffen und Querhäusern aufhalten darf. Und akribisch darauf geachtet werden muss, dass alle, die sich im Dom bewegen, eine Mundschutzmasken tragen und auch sonst die geltenden Regeln beachten. Wissensdurst nach den wichtigsten Eckdaten oder bedeutendsten Inventarstücken gäbe es auch im Moment zuhauf. Also alles wie auch vor Corona, stellt der 66-Jährige fest, dessen Traum es immer war, mit einsetzendem Rentenalter aus der Kölner Regionalrendantur in den Dom zu wechseln. Hier will er sich noch ein paar Jahre nützlich machen und dabei – nahezu täglich – die einzigartige Atmosphäre dieses Gotteshauses einatmen. Schon vor 15 Jahren, als er sich während des Kölner Weltjugendtages für den ehrenamtlichen Aufsichtsdienst im Dom gemeldet hatte, habe er diesen Entschluss gefasst, erzählt Nolte. "Seitdem wollte ich Domschweizer werden. In dieser Kathedrale zu arbeiten ist faszinierend. Wenn ich morgens um 6 Uhr den Dom aufschließe, ist der noch leere Raum einfach unbeschreiblich." Dann bewege ihn immer diese Erhabenheit, wie überhaupt die wechselnden Stimmungen im Kircheninneren je nach Tageszeit ganz besondere Emotionen auslösten.

Der Dom stand während des Lockdowns bewusst offen

Seit seiner Wiedereröffnung für die Touristen ist das Mittelschiff mit dicken Seilen abgesperrt, und auch der Chorumgang mit seinen Kapellen und vorbei am Dreikönigenschrein ist zurzeit nicht öffentlich zugänglich. Diese Einschränkung und das Einbahnwegesystem gehören zu dem Konzept, mit dem die Domverantwortlichen die Coronaschutzverordnung des Landes umsetzen und die Menschen vor einer Ansteckungsgefahr schützen wollen. Darauf zu achten, dass sich da keiner durchmogelt, gehört zu den Aufgaben jedes Domschweizers. Und trotzdem freut sich auch das Aufsichtspersonal darüber, dass die Stammbesucher der Werktagsmessen nun zurückkehren und allmählich wieder bekannte Gesichter anzutreffen sind. Ihnen soll eine ID-Karte den regelmäßigen Zugang zum Gottesdienst erleichtern. Das heißt, die persönlichen Kontaktdaten werden einmalig hinterlegt, und dann muss beim Messbesuch nur noch dieser Ausweis vorgezeigt werden, was den sonst üblichen Eintrag in einer Liste ersetzt.

Gefühlt sei der Dom zu Beginn des Lockdowns wie leergefegt gewesen, berichtet Domschweizer Jochen Henk rückblickend, auch wenn trotzdem etwa 200 bis 300 Beter täglich gekommen seien, um kurz innezuhalten oder eine Kerze anzuzünden. Aber diese für Dombesucher vergleichsweise kleine Zahl auf die 15 Stunden Öffnungszeit hochgerechnet, sei doch eher dem Eindruck gleichgekommen, als seien auch in Deutschlands meistbesuchtem Gotteshaus auf dem Höhepunkt der Krise sprichwörtlich die Lichter ausgegangen. Dabei hatte das Domkapitel hier von Anfang an bewusst gegengesteuert: Gerade die Kirche wollte – in Zeiten der Verunsicherung und Angst – gezielt ihre Pforten offenhalten und sich einmal mehr – nun erst recht – als Zufluchtsort verstanden wissen. Dass sich jetzt seit einigen Wochen erste Schritte Richtung Normalität zeigen, beruhigt auch Henk.

Eine Gefährdung der Allgemeinheit wird nicht geduldet

"Eigentlich ist fast alles wie vorher, pflichtet er Kollege Nolte bei, " nur, dass nun noch ein bisschen mehr zu tun ist. Wegen Corona." Naja, und dass das Maskentragen dazugekommen sei und das Einhalten dieser Maßnahme der permanenten Kontrolle bedürfe. Schwierig werde es, wenn jemand auf seinem Handy ein ärztliches Attest vorweise, das bescheinigen soll, dass  aus medizinischen Gründen eine Befreiung vom Mund-Nasen-Schutz bestehe. "Dann aber", so der Domschweizer entschieden, "muss er ein Visier tragen. Es kann nicht sein, dass Ausnahmenregelungen andere in Gefahr bringen."

Passend zu seinem roten Talar mit dem schwarzen Samtbeschlag trägt der 62-Jährige selbst das Masken-Modell "Kölner Dom". Gleich im Doppelpack habe er diese originelle Variante mit einem eingestickten Dom-Logo im Touristenshop vis-á-vis erstanden: Die rote nutze er im Dienst, die schwarze privat, lacht der langjährige Domschweizer. Weniger Humor allerdings zeigt er, wenn Besucher zu lasch mit den Hygiene- und Abstandsvorschriften umgehen oder auch sonst gegen den guten Ton verstoßen. Verhaltensweisen, die in Corona-Zeiten eine Gefährdung der Allgemeinheit bedeuten oder grundsätzlich nicht dem Benimmkodex eines Gotteshauses entsprechen, duldet er nicht.

Was Anstand bedeute, wüssten leider nur noch die wenigsten. "Wir sind dafür da, diesen Raum zu schützen, seine Würde zu wahren. Die Menschen, die hier täglich in den Dom strömen, bringen ganz unterschiedliche Erwartungen mit, die wir in eine Balance zueinander bringen müssen. Manche suchen das bloße Kulturereignis, andere bewusst den heiligen Raum. Das ist manchmal eine Gratwanderung, hier jedem gerecht zu werden, aber eben auch unser Job", betont er dienstbeflissen.

"Respekt vor Virus sorgt für mulmiges Gefühl"

Trotzdem wisse fast jeder, wie er sich zu verhalten habe. Das beobachtet jedenfalls Kollege Marco Felgenheuer, der den Shutdown vom ersten Tag an miterlebt hat und damit auch zu denjenigen gehört, die die aktuell geltenden Bestimmungen der Corona-Krise von jetzt auf gleich umgesetzt haben. Die Akzeptanz der geltenden Sicherheitsmaßnahmen sei unumstritten, die Leute richteten sich danach. Auch Diskussionen mit sogenannten Verschwörungsgläubigen habe er noch nicht führen müssen. Nur in Ausnahmefällen komme es dazu, dass er etwas strenger auftreten und jemanden ermahnen müsse, der für ein Selfie mal kurz die Maske runterziehe.

"Der Respekt vor diesem unbekannten Virus, bei dem sich in März und April kaum einer rausgetraut oder länger im Dom verweilt hat, sorgt insgesamt schon für ein mulmiges Gefühl", räumt der groß gewachsene Mann mit dem geknoteten Zöpfchen am Hinterkopf ein. Auch wenn sich mittlerweile mit den wachsenden Touristenzahlen ganz allmählich wieder der Status quo einstelle, bleibe man doch für den grundsätzlichen Schutz der Dombesucher und alle Vorkehrungen, die für ihre Sicherheit sorgten, sensibilisiert. Schließlich sei die Verantwortung groß. "Nicht umsonst ist nach wie vor der Turm, nach dem – noch vor Dreikönigenschrein und Richter-Fenster – am meisten gefragt wird, gesperrt und auch die Aufstellung der Spuckschutzwände beim Kommuniongang während der Messen unverzichtbar."

Im Moment keine per Schiff angereisten Gruppen

Auf den ersten Blick scheint im Dom alles wie vor der Pandemie. Doch auffällig sind zurzeit – statt der sonst überwiegend internationalen – die vielen deutschen Touristen. Wie zum Beispiel Judith Nguedia, gebürtig aus Kamerun, wohnt seit vielen Jahren mit ihren Kindern Marylinn und Amadeus in Darmstadt. Oder Familie Sharma aus Nepal mit Töchterchen Devyansh, die längst in Dortmund zuhause sind. "Höchstens aus den angrenzenden Beneluxstaaten kommen noch ausländische Besucher, aber das ist es dann auch schon mit der Internationalität. Die früher in großer Zahl per Schiff angereisten Gruppen fehlen ganz", stellt Felgenheuer fest. Was deutlich zu spüren sei, weil die sonst übliche Hektik einer generellen Entspannung und mitunter sogar wohltuenden Ruhe gewichen sei. "Immerhin gibt es Stunden, gerade in aller Herrgottsfrühe, wenn die Touristen noch schlafen, in denen der Dom völlig leer ist und die Atmosphäre würdevoller als zu jeder anderen Zeit am Tag", findet der Domschweizer. "Dabei will eigentlich jeder, der kommt, dasselbe: den Dom möglichst unberührt erleben."


Ursula Walterscheid und Paulo Heitlinger sammeln Motive für ein E-Book / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ursula Walterscheid und Paulo Heitlinger sammeln Motive für ein E-Book / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Enno und Tilda Richter aus Hohenholte fragen nach dem Fenster, das ihren Namen trägt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Enno und Tilda Richter aus Hohenholte fragen nach dem Fenster, das ihren Namen trägt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Domschweizer Jochen Henk mit dem Masken-Modell "Kölner Dom" / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domschweizer Jochen Henk mit dem Masken-Modell "Kölner Dom" / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Herbert Plätzmüller - hier im Gespräch mit Domschweizer Nolte - zählt zu den Stammbesuchern der Dommessen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Herbert Plätzmüller - hier im Gespräch mit Domschweizer Nolte - zählt zu den Stammbesuchern der Dommessen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Marienkapelle ist von dem Rundgang durch den Dom ausgenommen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Marienkapelle ist von dem Rundgang durch den Dom ausgenommen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Amadeus und Marylinn sind zu einem Köln-Tag eigens mit Mutter Judith Nguedia aus Darmstadt angereist / © Beatrice Tomasetti (DR)
Amadeus und Marylinn sind zu einem Köln-Tag eigens mit Mutter Judith Nguedia aus Darmstadt angereist / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dom-Eindrücke digital festhalten - das machen die meisten Touristen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dom-Eindrücke digital festhalten - das machen die meisten Touristen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Ausruhen im Kölner Dom… / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ausruhen im Kölner Dom… / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Familie Sharma ist zwar gebürtig aus Nepal, jetzt aber für einen Tag aus Dortmund zu Gast im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Familie Sharma ist zwar gebürtig aus Nepal, jetzt aber für einen Tag aus Dortmund zu Gast im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Domschweizer Tshiswaka Kajinga Kabos, gelernte Fachkraft für Schutz und Sicherheit, gibt Touristen gerne Auskunft / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domschweizer Tshiswaka Kajinga Kabos, gelernte Fachkraft für Schutz und Sicherheit, gibt Touristen gerne Auskunft / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Einmaliges für zuhause festhalten… / © Beatrice Tomasetti (DR)
Einmaliges für zuhause festhalten… / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Domschweizer Kabos zählt die Besucher beim Verlassen des Domes / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domschweizer Kabos zählt die Besucher beim Verlassen des Domes / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR