ARD-Fernsehgottesdienst mit südamerikanischen Rhythmen

"Diese Musik geht einem ins Blut"

Wenn am Sonntag im Kölner Dom die MISEREOR-Fastenaktion eröffnet wird, soll auch die musikalische Gestaltung dem Anlass entsprechend sein. Dafür studieren zurzeit in Altenberg Jugendliche die "Misa Criolla" von Ariel Ramirez ein.

Vor dem Fernsehgottesdienst im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Vor dem Fernsehgottesdienst im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Josana en las alturas", ertönt es am späten Vormittag im Kapitelsaal von Haus Altenberg. Die erste "Tutti"-Probe steht an. "Den Ton halten und bis vier zählen", ruft Chorleiter Winfried Krane den Oberstimmen der etwa 100 Sängerinnen und Sängern entgegen. "Neuer Einsatz. Dieselben Takte noch einmal! Alle schauen auf mich!" Unnachgiebig klingt diesmal die Bitte um Wiederholung. "Die Stelle muss sitzen, auch wenn sie schwer ist. Da darf niemand mehr ausscheren. Dieses Sanctus mit seinem Hosanna ist ein großer Augenblick – auch im Gottesdienst. Die einzige Stelle, wo Himmel und Erde miteinander kommunizieren.

"Das soll jeder hören", entschuldigt der Musiker hinter dem Notenpult seine Ungeduld. Er versucht, den Jugendlichen nicht nur Töne, sondern auch Inhalte nahe zu bringen. "Der letzte Ton bekommt ein Crescendo. Und dann bitte in ein Decrescendo übergehen!" Dann dirigiert Krane den zweiten Versuch. "Prima, geht doch", gibt er sich vorerst zufrieden und sucht in der Partitur nach einer ähnlich kniffligen Passage. Die lässt er sicherheitshalber vorab dann erst einmal sprechen – im Original: auf Spanisch. Denn die "Misa Criolla" aus Argentinien gibt es nicht auf Latein.

Die Musik soll die Menschen repräsentieren

Das macht diese liturgische Musik auch sprachlich zu einer Herausforderung – neben der eigenwilligen Rhythmik, die Chor und Instrumentalisten dazu zwingt, noch konzentrierter aufeinander zu hören als sonst. Vor allem auch die jungen Musiker hinter den Percussion-Instrumenten – immerhin fünf an der Zahl: Pauke, Snare, Conga, Tempelblock und Tambour. Diese teils exotischen Trommeln sorgen für den typisch südamerikanischen Sound bei dieser Messe. Und auf den kommt es schließlich an. Nicht umsonst hat Krane gerade diese im Jahr 1963 von Ariel Ramirez geschriebene Komposition ausgewählt. "Am Sonntag soll es dem Anlass entsprechend Musik geben, die die Menschen, um die es bei der MISEREOR-Fastenaktion geht, repräsentiert", argumentiert er. "Für uns mag ihre Musik etwas völlig Neues sein. Nicht neu aber ist, dass auch die Kultur Mittel- und Südamerikas uns eine ganze Menge zu sagen hat."

Gemeinschaftserlebnis und musikalisches Abenteuer

Die "Misa Criolla" sei eine Synthese von volkstümlicher und liturgischer Musik. Allein im Sanctus fänden sich vier unterschiedliche Rhythmen, die jeweils für eine andere Provinz Argentiniens stünden, erklärt Krane. Ramirez habe für seine Heimat typische Melodien in diesem Werk verarbeitet, aber auch so etwas wie Trauer, Einsamkeit und die Sehnsucht nach Frieden zum Ausdruck bringen wollen. Das vielschichtige und zutiefst religiöse Werk erfordere eine intensive Probenarbeit. Denn den besonderen Geist, gewissermaßen das "Feeling" dieser Musik, so Krane, müsse man erst entdecken. "Aber dafür sind die Jugendlichen ja hier. Sie wollen sich fordern lassen, Gemeinschaft erleben und ein musikalisches Abenteuer erleben."

Diesmal ist das Ziel der ARD-Fernsehgottesdienst

In der Tat sind die "Erzbischöflichen Musiktage", die traditionell in der Altenberger Jugendbildungsstätte unter seiner Leitung stattfinden, immer eine musikalische Reise, an deren Ende dann ein durchaus überzeugendes Ergebnis tagelangen Probens und Übens steht. In jedem Jahr am Aschermittwoch machen sich zwischen 120 und 150 musikbegeisterte Schülerinnen und Schüler Erzbischöflicher Schulen aus den Jahrgangsstufen 10, 11 und 12 auf ins Bergische Land, um in großer Gemeinschaft miteinander eine Messe einzustudieren und diese dann am ersten Fastensonntag mit Chor und Orchester im Altenberger Dom aufzuführen. Diesmal aber nun ist ausnahmsweise Köln das Ziel – und eine Live-Übertragung in der ARD. Das macht es umso spannender.

Musiklehrer bieten Workshops an

Die knapp fünf Tage selbst sind durchgetaktet – auch mit Workshop-Angeboten am Abend, wo es dann mal etwas lockerer zugeht: mit Jazz, Rock, Tanz oder Improvisationstheater beispielsweise. Je nach Neigung kann sich jeder etwas aussuchen: auch einen kleinen a cappella-Chor oder das Streichquartett, wenn es weiter eher klassisch zugehen soll. Dafür steht Krane ein zehnköpfiges Organisationsteam aus Musiklehrern zur Seite, die ihm vor allem auch bei der Betreuung der einzelnen Stimm- und Instrumentalgruppen assistieren und sich dafür zu separaten Proben beispielsweise mit den Streichern, den Holz- und Blechbläsern oder den Schlagzeugern zusammensetzen.

Andreas Biertz, Musiklehrer am Erzbischöflichen Berufskolleg in Köln, ist einer von ihnen. Er ist für das Orchester zuständig und erarbeitet mit den Instrumentalisten neben der "Misa" auch noch "Malambo", eine Art Volkstanz wetteifernder Gauchos, aus der Orchestersuite "Estencia" von Alberto Ginastera – auch das ein argentinischer Komponist. "Dieses Stück allerdings", erklärt Biertz, "bekommen die Besucher des Domes erst am Ende des Gottesdienstes zu hören, wenn die Fernsehkameras wegen der begrenzten Übertragungsdauer längst ausgeschaltet sind." Etwas schade zwar, aber trotzdem sei auch hier musikalische Feinarbeit gefragt.

"Geniale Stimmung"

Lena und Lars Herbold sitzen in der Ersten Geige. Die Geschwister, die gemeinsam das St. Anna-Gymnasium in Wuppertal besuchen, sind mit großer Begeisterung bei den Musiktagen dabei. "Das ist schon ein ganz anderes Level, als im Schulorchester mitzuspielen", schwärmt Lars, der bereits zum dritten Mal an diesem Angebot der Kölner Dommusik teilnimmt. "Die Stimmung ist genial. Und dass wir so viele sind, ist auch toll." Das schaffe Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen und Teilnehmer aus den Vorjahren wieder zu treffen. Alle teilten eben die Lust, gemeinsam auf ein großes Ziel hinzuarbeiten, beobachtet Laura Bialas. Sie spielt Querflöte. Bei diesem Instrument sei sie oft auf sich alleine gestellt. "Hier aber sind wir in einer großen Gruppe, die alle mit Leidenschaft dabei sind." Das mache für sie das Besondere dieser Veranstaltung aus. Und auch, dass sie in kurzer Zeit so viel lernen könne.

Musik gehört zur südamerikanischen Kultur

Bárbara Prada Rojas ist gebürtige Kolumbianerin und singt sonst im Kinderchor der Bonner Oper mit. Für die 16-Jährige vom Bonner St. Adelheid-Gymnasium hat die Teilnahme an den Musiktagen noch einmal eine ganz andere Dimension. "Die Messe von Ramirez mitzusingen ist für mich etwas sehr Wichtiges. Sie ist in ganz Südamerika total bekannt und bringt viel von meinem Lebensgefühl zum Ausdruck." Überhaupt sei Musik in ihrer Heimat, die sie mit acht Jahren verlassen hat, ein wesentlicher Bestandteil der Kultur. Dass sich nun hier in Altenberg bei diesem Projekt beide Kulturen miteinander mischten und sie ihren Freunden etwas aus ihrem Herkunftsland nahe bringen könne, berühre sie sehr. Trotzdem wünscht sich die junge Sängerin, dass die südamerikanische Kultur mehr in die europäische integriert werde und sich beide auf Augenhöhe begegneten.

Dass Altenberg da bereits einen guten Anfang macht, ist Aurelius Gatzweiler und seinen Freunden aus der Kölner Liebfrauenschule anzusehen. Sie möchten sich zu den vielen wechselnden Rhythmen beim Singen am liebsten immerzu bewegen. "Ich fühle mich richtig angehaucht von dieser Kultur", beschreibt Aurelius seine Empfindung und macht ein paar Tanzschritte. "Diese Musik geht einem einfach ins Blut."


Alle Hinweise von Chorleiter Krane müssen vermerkt werden. / © Tomasetti (DR)
Alle Hinweise von Chorleiter Krane müssen vermerkt werden. / © Tomasetti ( DR )

Der Leiter der Erzbischöflichen Musiktage: Winfried Krane. / © Tomasetti (DR)
Der Leiter der Erzbischöflichen Musiktage: Winfried Krane. / © Tomasetti ( DR )

Mit großem Engagement bei der Sache: die Tenöre… / © Tomasetti (DR)
Mit großem Engagement bei der Sache: die Tenöre… / © Tomasetti ( DR )

Bis für Sonntag alles sitzt, ist viel Feinarbeit gefragt. / © Tomasetti (DR)
Bis für Sonntag alles sitzt, ist viel Feinarbeit gefragt. / © Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR