Nikolaus Schneider über das rechte Maß und eine pragmatische Ökumene

Die Macht zum Anstoß

Zur Suche nach dem rechten Maß soll der Evangelische Kirchentag einen Beitrag leisten, betont der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider. Im domradio.de-Interview spricht er zudem über eine pragmatische Ökumene.

117.000 Dauerteilnehmer beim Kirchentag (dpa)
117.000 Dauerteilnehmer beim Kirchentag / ( dpa )

domradio.de: Wie erleben Sie den Auftakt des Kirchentages?

Nikolaus Schneider (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland): Das hat mich gestern sehr bewegt, wie in den Gottesdiensten darüber nachgedacht wird, was es eigentlich heißt „Genug zu haben“, „So viel Du brauchst“ für die Kleinen aber auch für die Großen. Dass der Eröffnungsgottesdienst im Fernsehen in einfacher Sprache war, so dass Menschen mit Behinderung ihn auch gut verfolgen können, ist ein sehr schönes Zeichen dafür, dass wir alles zusammen gehören. Die Starken und die Schwachen, die Intelligenten und die sich mit ihrem Kopf schwer tun. Und hier die Bibelarbeit mit Erzbischof Zollitsch war auch für mich ein Highlight, mit welcher Intensität und wie tiefgründig so ein Bibeltext erschlossen werden kann.

domradio.de: Hier marschieren Christen Seite an Seite, sie waren auch vor Kurzem beim Heiligen Vater, wenn Sie das noch einmal Revue passieren lassen und auch nach vorne schauen, was erwarten Sie unter dem Stichwort Ökumene?

Schneider: Ich nehme ein Wort von Erzbischof Zollitsch auf: Wir brauchen Geduld und langen Atem und dürfen nicht nachlassen, weder im Gebet noch in dem, was wir wünschen und worum wir bitten. Den Papst habe ich erlebt als einen Menschen, der sehr zugewandt und sehr offen ist, der auch offensichtlich Traditionen der Kirchen der Reformation kennt, der Bonhoeffer kennt, der anknüpft an das, was Benedikt XVI. in Erfurt in den Begegnungen zwischen uns gesagt hat, etwa in der Hochschätzung Martin Luthers. Eines ist mir aber besonders aufgefallen: Er ist ein Mensch, der sehr pastoral denkt. Das ist etwas, was uns auch verbindet. Ich bin auch so ein Typ. Ich würde lieber manchmal sagen: Ihr lieben Dogmatiker, jetzt  erklärt uns bitte nicht, warum das alles nicht geht, sondern hier ist es so offensichtlich, dass was gehen muss und nun setzt Euch hin und erklärt uns, wie es geht. Ich hoffe, dass der Papst auch eine solche Kraft entfaltet, dass da Anstöße gegeben werden, die uns weiterführen werden.

domradio.de: Das Motto hier lautet "Was Du brauchst". Was braucht es denn, wenn wir auf die Gesellschaft gucken? Wie müssen Christen sich im Moment einbringen, damit auch Gesellschaft von den Christen was lernen kann?

Schneider: Punkt eins ist wirklich die Gerechtigkeit, dass wir darauf achten, dass Menschen weltweit genug zum Leben bekommen. In unserem Land ist das respektabel gelöst. Wir dürfen Europa nicht vergessen. Wenn Sie an die Jugendarbeitslosigkeit in den Südeuropäischen Ländern denken, das ist nicht nur ein Elend, sondern auch ein riesiges Gewalt- und Konfliktpotenzial und um der Menschenwille in erster Linie, aber auch um einer friedlichen Zukunft Europas Willen müssen wir uns dafür einsetzen, dass diese jungen Menschen eine Perspektive, eine Ausbildung, einen Beruf bekommen. Punkt zwei es geht um eine Ethik, die wieder unser Zusammenleben stärker bestimmen muss. Ethik ist immer eine Frage des Maßes, was ist das zuträgliche Maß, was ist Maß und Mitte, was ist uns abhandengekommen - nicht so sehr nach unten, sondern nach oben. Da haben wir eine riesige Aufgabe.

domradio.de: Worauf freuen Sie sich hier in Hamburg am meisten?

Schneider: Ich freue mich ganz besonders darauf, dass wir in den großen Gottesdiensten unsere Gemeinschaft miteinander und die Gemeinschaft mit dem Herrn der Kirche selbst feiern können, das ist für mich das Wichtigste und das Stärkste.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen


Quelle:
DR