Über die Bräuche in der Martinswoche

War der Mantel wirklich rot?

Jedes Kind kennt die Geschichte des Heiligen Martin von Tours, der seinen roten Mantel mit einem Bettler teilte. Aber stimmt die Geschichte so, wie wir sie erzählen? Was ist dran an den Bräuchen und Sagen rund um die Martinswoche?

Sankt Martin: Ein Reiter im roten Mantel? / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Sankt Martin: Ein Reiter im roten Mantel? / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben schon eine ganze Reihe Bücher über Martin von Tours geschrieben. Deswegen können wir vielleicht auch erst mal so ein paar Legenden geraderücken. War Martin ein römischer Soldat?

Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti (Brauchtumsexperte): Ja.

DOMRADIO.DE: Und er trug dabei einen roten Mantel?

Becker-Huberti: Nein.

DOMRADIO.DE: Das müssen Sie bitte erklären.

Becker-Huberti: Martin gehörte zu einer Spezialtruppe, zur kaiserlichen Garde, und diese Garde trug weiß. Das war ihr Kennzeichen. Deshalb muss der Offiziersmantel von Martin weiß gewesen sein. Das wusste man Jahrhunderte später nicht mehr. Da galt rot als Offiziersfarbe. Und so hat Martin den roten Mantel bekommen. Das Original war mit Sicherheit weiß.

DOMRADIO.DE: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass er seinen weißen Mantel mit einem Bettler geteilt hat?

Becker-Huberti: Sehr wahrscheinlich, weil das unmittelbar nach seinem Tod aufgeschrieben worden ist. Und es hätte natürlich einen Aufschrei gegeben, wenn das gelogen gewesen wäre.

DOMRADIO.DE: Dann gibt es noch eine Legende um die Gänse. Könnte sich Martin unter Gänsen versteckt haben, um nicht Bischof werden zu müssen?

Becker-Huberti: Wahrscheinlich nein. Die Legende ist sehr viel später entstanden und erklärt etwas, was die Leute nicht verstanden hatten.

DOMRADIO.DE: Welcher Martinsbrauch spielt denn auch heute noch auf die Sankt-Martins-Geschichte an?

Becker-Huberti: Kennzeichen ist das Heischen, also das Betteln, Schnörzen der Kinder an diesem Tag, die bei den Leuten an die Türe klopfen dürfen, um zu fragen: "Wenn ihr feiert, was habt ihr denn für uns?" Die Kinder bekommen dann ihren Teil. Dieses Teilen, das hier stattfindet, erinnert an das Teilen von Martin.

DOMRADIO.DE: Früher hat der Martin am Martinsfeuer auch die Weckmänner ausgeteilt.

Becker-Huberti: Die Weckmänner gehören mit dazu, denn der Weckmann symbolisiert das Ganze. Wenn man das Wort nimmt: Wecken ist Weißbrot, Weißbrot ist Festtagsgebäck, und der Mann ist der Mann, der gefeiert wird. Es ist eine Darstellung des Martin, die in dieser Figur, einem sogenannten Gebildebrot, den Kindern gegeben wird.

DOMRADIO.DE: Warum ist es denn Sankt Martin, der exemplarisch für das Teilen steht, und weniger andere christliche Figuren?

Becker-Huberti: Es gibt einige andere, für die das auch gilt, zum Beispiel Nikolaus. Aber das Teilen bei Martin ist so symbolisch und elementar dargestellt in dieser Mantelteilung, dass man es gar nicht erklären muss. Es zeigt sich und erklärt sich von alleine. Da ist einer, der hat so viel, dass er einem anderen, der nichts hat, etwas mitgeben kann. Und genau das ist Christentum: Hilf einem anderen. Selbst wenn du nichts hast, hast du immer noch etwas mehr als der Andere - und damit kannst du helfen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Manfred Becker-Huberti / © Harald Oppitz (KNA)
Manfred Becker-Huberti / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR