Kölner Domkrippe ist jedes Jahr ein Publikumsmagnet

Weihnachtsgeschehen mit "Problemfällen"

In wechselnden Bildern erzählt die Krippe im Kölner Dom das Wunder von der Menschwerdung Gottes. Zum Dreikönigsfest holt Domküster Hermann-Josef Müller noch einmal neue Figuren aus dem Depot.

Das Geburtsgeschehen mit den Heiligen Drei Königen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Geburtsgeschehen mit den Heiligen Drei Königen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Die Engel künne fott, die Heiermanns blieve, ävver der Hirte mitsamt sing Herde ändert die Position. Und der Gorbatschow is uch aus dem Rennen. Der kütt zurück ins Depot." Hermann-Josef Müller hat ganz genaue Vorstellungen, wie das neue Krippenbild zum Fest der Erscheinung des Herrn aussehen soll. Und die Figur mit der angedeuteten Haartolle mitten auf dem Kopf, die in der Tat wegen der markant bemalten Stirn Ähnlichkeiten mit dem früheren sowjetischen Staatspräsidenten aufweist – jedenfalls hat sie bei Müller diesen Spitznamen weg – ist von nun an entbehrlich.

Es ist bereits das dritte Mal innerhalb von fünf Wochen, dass der Domküster gemeinsam mit Kollegin Judith Maurer die Kölner Domkrippe – unweit des Eingangsbereichs in der nördlichen Turmhalle – umgestaltet. Und dafür nimmt sich der 63-Jährige fast zwei Stunden Zeit. Denn rundum würdig aussehen sollen zum feierlichen Hochfest schließlich die Heiligen Drei Könige mit ihrem zahlreichen Gefolge, wenn beim Kapitelsamt an diesem Sonntag WDR und DOMRADIO.DE live mit dabei sind und der lokal wichtigste kirchliche Feiertag begangen wird.

Aufwendig gestaltete Krippendarstellung

Immerhin sind die drei Weisen aus dem Morgenland im Kölner Dom beheimatet. Und wie in keiner anderen Kirche sonst wird hier an vielen unterschiedlichen Orten immer wieder – in historischer Rückblende – auch ihre Geschichte erzählt: auf zahlreichen Fenstern vom 13. bis zum 19 Jahrhundert, auf Altarbildern und Fresken, in figürlichen Darstellungen, besonders plastisch auf der Stirnseite des gotischen Schreins mit den Gebeinen von Kaspar, Melchior und Balthasar und eben – vielleicht am augenfälligsten – in der Krippendarstellung des Künstlerehepaars Barbara und Theo Heiermann.

1992 löste deren bis ins kleinste Detail liebevoll geschaffenes Kunstwerk aus handgeschnitzten Figuren mit aufwendig genähten Kostümen, Kleidern und Gewändern samt Kopfputz sowie viel schmückendem Beiwerk die eher schlichte Vorgängerkrippe von 1931 ab.

Entstanden sind daraufhin fünf unterschiedliche Bilder, die – immer beginnend am Montag vor dem ersten Advent mit der Verkündigungsszene – Besucher dazu einladen, sich die von den Evangelisten Matthäus und Lukas überlieferten Kindheitsgeschichten Jesu nach und nach anzuschauen. Bis zum 2. Februar. Dann wird zu Mariä Lichtmess auch das letzte dieser Bilder, die Flucht vor Herodes nach Ägypten, abgeräumt. Und die fast 50 Figuren und 20 Tiere verstaut Müller wieder behutsam für ein Jahr im Depot des südlichen Querhauses.

Doch bis zu diesem Datum werden zigtausende Touristen und einheimische Krippen-Fans das Geschehen der Menschwerdung Gottes ehrfurchtsvoll bestaunt und dabei von Mal zu Mal – wie auf einem bunten Suchbild – neue Entdeckungen gemacht haben.

Zeitgemäße Interpretation des Heilsgeschehens

"Krippche luure", wie der Kölner gerne Krippengänge in der Zeit zwischen den Jahren nennt, ist beliebte Tradition und – verknüpft mit unzähligen Touristikangeboten – fast schon ein eigener Markt geworden. Und dass man bei diesem für die Winterferien geeigneten Hobby auch am Dom nicht vorbei kommt, versteht sich geradezu von selbst. So wird die Domkrippe in der Weihnachtszeit regelmäßig zum Publikumsmagnet.

Es mag daran liegen, dass sie mit ihrem Ausmaß von sieben mal sechs Metern auf einer terrassenförmigen Anlage mit einem repräsentativen Tempel aus der Römerzeit, aber auch den typischen Wohnhäusern Palästinas gerade die Jüngsten unter den Besuchern schon mal allein wegen ihrer Größe beeindruckt.

Es kann aber auch sein, dass sie gleich auf den ersten Blick den Betrachter für die aktuelle Interpretation dieses historischen Heilsgeschehens einnimmt.

Wenn sich also nicht allein Hirten und orientalische Sterndeuter um das Kind in der Krippe versammeln, sondern Menschen aus der Mitte der Gesellschaft an dieser Geburtsstunde der Christenheit beteiligt werden: der Steinmetz aus der Dombauhütte, die Ordensfrau aus Nigeria, der Straßenkehrer aus der Türkei, der Feuerwehrmann oder auch ein Polizist aus der City, die verschleierte Dame aus dem horizontalen Gewerbe, aber eben auch der Behinderte, der für Köln typische FC-Fan, der Domschweizer oder die Putzfrau, die jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe Kölns Wahrzeichen von den vielen Spuren der abertausenden Besucher befreit.

Selbst ein Flüchtlingsboot, dem in den Vorjahren sogar noch ein Schild mit der Aufschrift „Balkanroute geschlossen“ zur Seite gestellt war, ist 2015 noch mit hinzugekommen. Spätestens dieses Accessoire dokumentiert die Verankerung der Geburt Jesu im Hier und Jetzt und ermöglicht auf ganz eigene Weise zeitgemäße Deutungen.

Konkret erfahrbare Momentaufnahmen

Solche aktuellen Details und auch manches bewusst gesetzte Kölner Lokalkolorit machen klar: Die Domkrippe hat eine zusätzliche Botschaft – über das Grundsätzliche hinaus. Gott kommt in diese konkrete Welt, so wie sie ist. Er wird Mensch in die geschäftige Betriebsamkeit unserer Tage hinein, in den Alltag eines jeden, in dem es nur so vor Widersprüchen, Ungereimtheiten, Unzulänglichem wimmelt. Und trotzdem verkörpert dieses durch ungewohnte Protagonisten angereicherte Krippengeschehen inmitten aller menschlichen Unvollkommenheit die Sehnsucht nach dem Erlöser, Heilsbringer, Friedensboten und Messias.

Hier bietet die Krippe Momentaufnahmen und eine Ahnung davon, dass die Herrlichkeit Gottes in unsere Welt kommt und dieses schutzlose Kind in der Krippe ein Gott für alle Menschen – gleich welcher Hautfarbe, Herkunft und sozialem Stand – sein will. Und alle eingeladen sind – auch von den sogenannten Rändern der Gesellschaft – sich selbst als Zeugen inmitten dieses Heilsgeschehens zu begreifen.

Charakterköpfe mit Charme vorhanden

Na klar habe er eine enge Beziehung zu dieser Krippe, sagt Domküster Müller, während er einem der Könige ein winziges silbernes Weihrauchfass in die Hand drückt. "Seit 20 Jahren baue ich sie nun schon auf. Da weiß ich ganz genau, wer wo stehen muss und auch welche Figuren ihren Standort schon mal von Szene zu Szene wechseln." Die Künstler selbst hatten damals die Präsentation der jeweiligen Bilderabfolge genau festgelegt. Aber ein bisschen künstlerische Freiheit dürfe schon erlaubt sein, meint Müller und nimmt sich heraus, auch eigene Gedanken zu jedem neuen Auftritt der Figuren anzustellen.

Die witzigen Pseudonyme, die er sich über die Jahre für die vielen "Leute aus der Bevölkerung" ausgedacht hat, helfen ihm bei der Sortierung und Variierung der einzelnen Mitwirkenden, die zwar alle individuell verschieden, aber zum Teil auch austauschbar sind: Charakterköpfe mit Charme, von denen jeder ein einzigartiges kleines Kunstwerk für sich ist.

So sei der ungastliche Wirt, der Maria und Josef im zweiten Bild der Herbergssuche abweist, nun als "Gaffer" wiederzuverwenden, erklärt der Domsakristan. Den mit einer Drahtkonstruktion beweglich gehaltenen Körper des missmutig Dreinblickenden biegt er ein wenig zurecht und stellt ihn dann zu einer Gruppe Schaulustiger hinter eine Absperrung, die nun im Sicherheitsabstand die hell angestrahlte Geburt beobachten. Denn selbst die Beleuchtung folgt einer ausgetüftelten Regie. Im "Rampenlicht" steht immer das gerade zentrale Geschehen: aktuell nun die Anbetung der Könige.

Das "Erdbeben von Betlehem"

Auch die Mutter mit den Zwillingen auf dem Arm, der Bettler mit seinen Krücken auf den Treppenstufen oder die dreiköpfige Familie könnten jeweils beliebig eingesetzt werden, erklärt Müller. "Das ist hier alles ein ganz schönes Hin und Her. Und wenn im Durchzug des Domeingangsbereich auch schon mal die eine oder andere Figur ihr Gleichgewicht verliert und umfällt, sprechen wir scherzhaft von einem Erdbeben in Betlehem", lacht der langjährige Dommitarbeiter, dem es sichtlich Freude macht, pünktlich zum 6. Januar für die Heiligen Drei Könige mit einem prächtigen Aufgebot an Dienern und Tieren eine neue Dramaturgie auf großer Bühne aufzubauen.

Was für ihn das Besondere an dieser Krippe ist? "Wir haben hier einen Schnitt durch die Gesellschaft – auch Problemfälle sind mit dabei", sagt Müller. "Das ist das Spannende – eben wie im richtigen Leben."

Beatrice Tomasetti


Der Krippenaufbau erfordere Detailarbeit, findet Domküster Müller und setzt zum Schluss auch noch den Geißbock an seinen Platz / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Krippenaufbau erfordere Detailarbeit, findet Domküster Müller und setzt zum Schluss auch noch den Geißbock an seinen Platz / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Aktuelle Zeitzeugen: Ehepaar Barbara und Theo Heiermann, Putzfrauen aus dem Dom und - im Hintergrund - ein Feuerwehrmann / © Beatrice Tomasetti (DR)
Aktuelle Zeitzeugen: Ehepaar Barbara und Theo Heiermann, Putzfrauen aus dem Dom und - im Hintergrund - ein Feuerwehrmann / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der FC-Fan verschafft sich von einem höheren Standort aus einen Überblick / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der FC-Fan verschafft sich von einem höheren Standort aus einen Überblick / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Im Jahr 2015 kam aus aktuellem Anlass ein Flüchtlingsboot mit hinzu, das Mitarbeiter der Dombauhütte bastelten / © Beatrice Tomasetti (DR)
Im Jahr 2015 kam aus aktuellem Anlass ein Flüchtlingsboot mit hinzu, das Mitarbeiter der Dombauhütte bastelten / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR