Caritasdirektor des Erzbistums Bialystok zur Migrationskrise

"Haben mit dem Zählen der Hilfstransporte aufgehört"

An der polnisch-belarussischen Grenze hängen seit Wochen Tausende Migranten fest. Viele haben es über die Grenze geschafft, mindestens vierzehn sind laut Hilfsorganisationen verstorben. Auf der polnischen Seite kümmert sich die Caritas um die Migranten.

Autor/in:
Oliver Hinz
Eine freiwillige Mitarbeiterin der Caritas Polska packt Hilfspakete mit dem Notwendigsten / © Kasia Strek (KNA)
Eine freiwillige Mitarbeiterin der Caritas Polska packt Hilfspakete mit dem Notwendigsten / © Kasia Strek ( KNA )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Wie reagiert die Caritas auf die humanitäre Krise an der polnischen Grenze zu Belarus?

Jerzy Seczek (Direktor des Caritasverbandes im Erzbistum Bialystok): Die Caritas ist seit langem an der polnisch-weißrussischen Grenze präsent, hauptsächlich durch die Caritasgruppen der Pfarreien dort. Unsere Hilfe leisten wir über zwei Kanäle: über die Freiwilligen der Caritas-Pfarrgruppen und den Grenzschutz.

Zur sogenannten Soforthilfe gehören die Bereitstellung von Kleidung, Essen, Hygieneartikeln, Decken und Ähnlichem. Der Grenzschutz kennt die Bedürfnisse der Migranten am besten. Er gibt uns nach dem Erstkontakt mit den Bedürftigen eine Liste, was gebraucht wird, und das liefern wir dann. Unsere Sachspenden gehen also an die Grenze zu den Grenzschutzeinheiten und den Zentren in der Region.

KNA: Welche Menge an Hilfsgütern stellt die Caritas bereit?

Seczek: Es gab so viele Spendentransporte, dass wir aufgehört haben zu zählen. In den vergangenen Monaten waren es bestimmt mehr als ein Dutzend. Das sind Tonnen von Lebensmitteln, Thermosflaschen, Hilfspaketen und so weiter. Hierzu haben wir in letzter Zeit in grenznahen Pfarreien gemeinsam mit dem Dachverband in Polen sogenannte "Zelte der Hoffnung" aufgestellt, die auch als Lagerstätten dienen, aus denen sich die Bedürftigen mit dem Nötigsten versorgen können. Diese Zelte sind auch Treffpunkte für Freiwillige, Bewohner der Grenzgemeinden und alle, die sich um Migranten kümmern.

KNA: Polens Bischöfe haben die Regierung in Warschau kürzlich eindringlich aufgefordert, jetzt Hilfsorganisationen zu den bedürftigen Migranten im Notstandsgebiet an der Grenze zu lassen. Wie ist der Stand der Dinge?

Seczek: Wir als Caritas arbeiten in einem Land mit besonderen Gesetzen, und unsere Hilfe ist immer innerhalb der Grenzen des Gesetzes. Im Moment haben wir keinen direkten Kontakt zu den Bedürftigen an der Grenze, sondern können nur die Bemühungen des Grenzschutzes und der Caritas-Pfarrgruppen unterstützen. Wir wissen, dass die Grenzschutzbeamten und Soldaten die ersten sind, die im Notfall medizinische Hilfe leisten. Wenn sich die Situation ändert und wir den Bedürftigen an der Grenze näher sein können, werden wir unsere Bemühungen anpassen. Wir wollen helfen, aber mit Bedacht und effektiv, immer im Einklang mit dem geltenden Recht.

KNA: Das schränkt den Handlungsspielraum dann aber wieder ein...

Seczek: Es müssen auch verschiedene Kontexte berücksichtigt werden: historische, nationale und religiöse. In vielen Orten entlang der Grenze sind die Katholiken eine Minderheit. Obwohl wir sehr oft gefragt werden: "Was unternimmt die Kirche gegen dieses Problem?" Wir alle sind die Kirche. Wir helfen unabhängig von Religion und Nationalität.

KNA: Ein Ende der derzeitigen Krise ist nicht in Sicht. Wie gehen die Bürger im Grenzgebiet damit um?

Seczek: Die Bewohner dieser Orte hatten Angst um ihr Leben und das ihrer Familien. Diese Angst ist begründet. Sie sollte nicht unterschätzt werden. Jetzt fühlen sie sich sicher, weil die Armee sie beschützt. Die dort seit rund 500 Jahren lebenden polnischen Tataren, Muslime, haben schon in der Vergangenheit eine wunderbare Haltung gezeigt. Sie haben unsere Kultur respektiert, ohne ihre eigene aufzugeben. Sie sind Polen und haben ebenso ihr Leben für die Verteidigung unseres gemeinsamen Heimatlandes gegeben.

KNA: Wegen des von Warschau über einen beträchtlichen Teil des Grenzgebiets verhängten Ausnahmezustands dürfen dort weder polnische noch internationale Medien arbeiten. Macht es das der belarussischen Seite nicht leichter, ihr Narrativ auf der internationalen Bühne durchzusetzen?

Seczek: Das Evangelium, das die Quelle des christlichen Lebens sein soll, verlangt von uns, dass wir Bedürftigen helfen, aber ohne anderen zu schaden. Die Pflicht eines Christen ist es auch, sein Heimatland zu lieben und Bürger vor Angriffen durch einen Aggressor zu schützen. Das Evangelium verpflichtet uns, die Wahrheit zu sagen. Das belarussische Narrativ wurde und wird forciert unabhängig davon, ob Ausnahmezustand herrscht oder nicht. Einige Medien haben häufig Informationen von uns ausgelassen oder verdreht, um ihre eigene Erzählung weiterzugeben. Ich hoffe, es wird diesmal nicht so sein.


Jerzy Seczek, Priester und Direktor der Caritas Bialystok / © Kasia Strek (KNA)
Jerzy Seczek, Priester und Direktor der Caritas Bialystok / © Kasia Strek ( KNA )
Quelle:
KNA