Wie religiöse Bildung die Demokratie fördern kann

Wissen allein reicht nicht

Wissen über Juden, Christen und Muslime – das vermittelt religiöse Bildung bisher erfolgreich. Dennoch führt sie nicht zu einem "toleranten Bewusstsein", so der Theologe Alexander Unser. Das Projekt "Religion and Citizenship" könnte das ändern. 

Religiöse Erziehung / © Freedom Studio (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie kann religiöse Bildung dabei helfen, ein demokratisches Bewusstsein in unserer Gesellschaft zu fördern?

Alexander Unser (Junior-Professor für Katholische Theologie, TU Dortmund): Die religiöse Bildung muss meines Erachtens einen zweifachen Beitrag leisten: Zum einen haben Religionen natürlich ein großes Potenzial, wenn es darum geht, sich zivilgesellschaftlich einzubringen. Das sehen wir im Moment in verschiedenen Bereichen, ob das die Coronakrise ist oder der Umgang mit Geflüchteten. Wir haben hier bereits große Strukturen, in denen sich Menschen engagieren und einbringen. In diesen Strukturen lernen sie, was es bedeutet, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Das wird gespeist durch religiöse Traditionen, seien es biblische Erzählungen, seien es bestimmte Glaubensvorstellungen, Werte, Haltungen, die in diesen religiösen Gemeinschaften transportiert werden. Das ist ein Beitrag, den es zu heben gilt und den man auch in die Gesellschaft einbringen kann.

Zum anderen sehen wir aber auch in unseren Gesellschaften, dass es im Überschneidungsbereich verschiedener religiöser Traditionen immer wieder zu Konflikten und Unstimmigkeiten kommt – oder wenn säkulare Perspektiven auf religiöse Perspektiven treffen. Das sind Prozesse, in denen eine Gesellschaft lernen muss, damit umzugehen und Kompromisse zu finden, Verständnis füreinander zu entwickeln. Dafür ist religiöse Bildung meines Erachtens ganz, ganz wichtig: Es geht darum, ein Bewusstsein der Sensibilität dafür zu entwickeln, was eine bestimmte religiöse Perspektive für einen Menschen bedeutet und es geht darum, dialogfähig zu bleiben.

DOMRADIO.DE: Um diese Herausforderungen anzugehen, haben Sie nun das Projekt "Religion and Citizenship" ins Leben gerufen. Worum geht es dabei?

Unser: Es ist ein Netzwerk, das noch gar nicht darauf abzielt, bestimmte Interventionen zu entwickeln. Am Ende dieser drei Jahre des Projekts sollen nicht konkrete Maßnahmen stehen. Ziel des Projektes ist es zunächst mal, verschiedene Akteure auf europäischer Ebene zusammenzubringen: aus dem Bereich der Wissenschaft, der Theologie, der Politikwissenschaften, der Erziehungswissenschaften, aber auch Religionslehrer-Verbände und andere zivilgesellschaftliche Akteure, die in diesem Bereich unterwegs sind.

Wir werden evaluieren: Wo gibt es denn eigentlich Bedarfe? Wo laufen denn die Konfliktlinien? Was gibt es denn bereits für Konzepte? Wie können wir dazu beitragen, dass junge Menschen befähigt werden, mit diesen Herausforderungen umzugehen? Wo gibt es vielleicht auch Lücken, auf die bislang noch nicht reagiert wurde? Dann wird es schließlich darum gehen, neue Konzepte für religiöse Bildung zu entwickeln, die auch den unterschiedlichen Bedarfen in den einzelnen Ländern gerecht werden.

Als Follow-up-Projekt ist angedacht, diese Maßnahmen auch zu implementieren, zu überprüfen und zu schauen, was wirklich zu einer Verbesserung beiträgt und was nicht.

DOMRADIO.DE: Bisher wird in der religiösen Bildung vor allem Wissen vermittelt – durch den Dialog verschiedener Religionen. Sie sagen, dass dieser Weg allein nicht funktionieren kann. Wieso?

Unser: Religiöse Bildung ist im Moment sehr gut darin, Wissen über andere Religionen zu vermitteln. Aber sie führt nicht dazu, dass dadurch ein tolerantes Bewusstsein bei den Schülerinnen und Schülern entsteht. Sie werden noch nicht dazu aufgerufen, sich in der Gesellschaft einzubringen. Das ist noch eine Sollbruchstelle, die hier zwischen Wissen, Einstellungen und konkreten Handlungen besteht, die daraus folgen können.

Das hängt mit verschiedenen Ursachen zusammen: Eine davon ist, dass wir mit unseren bisherigen Konzepten immer noch sehr stark davon ausgehen, dass wir es mit Schülerinnen und Schülern zu tun haben, die eine fundierte religiöse Sozialisation mitbringen. Wir wissen aber seit Jahren, dass religiöse Sozialisation auch bei getauften Schülerinnen und Schülern zurückgeht. Wir müssen uns neu überlegen, wie wir auch diese Schülerinnen und Schüler ansprechen.

Das wird ein großes Thema sein in unserem Forschungsvorhaben. Da sind wir im Moment auf der Suche nach Lösungen.

DOMRADIO.DE: Welche Impulse erhoffen Sie sich von einer neuen Regierung mit Blick auf religiöse und zivilgesellschaftliche Bildung?

Unser: Ich erhoffe mir zunächst einmal, dass die neue Bundesregierung die Förderpolitik weiterführt, die in den letzten Jahren unter der Vorgängerregierung initiiert wurde. Das Projekt, über das wir heute sprechen, wird auch von Bundesmitteln finanziert. Ich glaube, dass diese Fragen sehr präsent sind in der Hochschulpolitik und in der Förderpolitik des Bundes und dass hier auch eine große Sensibilität dafür da ist, dass religiöse Themen eine Rolle spielen. Daher wäre ich absolut zufrieden, wenn die bisherige Linie weitergeführt wird.

Das Interview führte Moritz Dege.


Quelle:
DR