Mehrfach verschobene Wahl spaltet Äthiopien

Urnengang in Zeiten von Hunger und Gewalt

In Äthiopien soll am 21. Juni eine neue Regierung gewählt werden. So viel steht - zumindest derzeit - fest. Unklar ist hingegen, wie es zu fairen Wahlen kommen kann, wenn der Magen knurrt und die Waffen feuern.

Autor/in:
Markus Schönherr
Eine Textilfabrik in Addis Abeba / © Anna Mertens (KNA)
Eine Textilfabrik in Addis Abeba / © Anna Mertens ( KNA )

Addis Abeba/Pretoria (KNA) An die Wahlurne, komme, was wolle! In vielen Ländern Afrikas würde man sich eine Regierung wünschen, die nach diesem Motto über ihre Zukunft abstimmen lässt. Anders in Äthiopien, wo dies am Montag (21. Juni) der Fall sein soll. "Es ist unmöglich, im gegenwärtigen Klima freie und faire Wahlen abzuhalten", sagt der Konfliktforscher Hassan Kannenje, Direktor der Denkfabrik Horn Institute. Volksvertreter zu wählen, während Tausende auf der Flucht sind, eine Hungersnot um sich greift, die Opposition mit Boykott droht und die Waffen dröhnen, sei "allenfalls absurd".

Parlamentswahl bereits zweimal aufgeschoben

Bereits zweimal war die Parlamentswahl aufgeschoben worden. Die erste Wahlverschiebung 2020 aufgrund der Corona-Pandemie gilt als Auslöser für die Krise in der nördlichen Region Tigray. Dort sprach die "Volksbefreiungsfront von Tigray" (TPLF) Abiy Ahmed die Legitimität als Regierungschef ab; der Ministerpräsident schickte daraufhin das Militär in den abtrünnigen Bundesstaat. Sieben Monate später ist die TPLF als "Terrororganisation" verbannt. Tausende Zivilisten sind tot und 1,7 Millionen auf der Flucht.

Experten fürchten, dass Wahlen in der aktuellen Situation noch mehr Schaden anrichten, statt Äthiopien eine Lösung zu bringen. Denn mit Demokratie hätten sie nur im Entferntesten zu tun: Millionen Wahlberechtigte sind von der Abstimmung ausgeschlossen. Einer der Gründe, warum es nicht zu fairen Wahlen kommen werde, sei die prekäre Lage in Tigray. "Viele Menschen in Tigray erzählen uns, sie hätten nur eine Mahlzeit am Tag", sagt Patrick Youssef, Regionaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). "Wegen der anhaltenden Kämpfe können viele Bauern nicht mehr anpflanzen."

Hungersnot wegen der Kämpfe

Laut UNO trifft die Hungersnot 350.000 Tigrayer. Mehr als 90 Prozent sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Zugleich verurteilen die Helfer Soldaten, die den Zugang zu den Hungernden blockierten. "Die brutale Realität ist, dass auf jede Familie, die wir mit lebensrettender Hilfe unterstützen, eine weitere kommt, die wir nicht erreichen", so der Direktor des Welternährungsprogramms WFP, David Beasley.

2019 erhielt Ministerpräsident Abiy den Friedensnobelpreis, weil er den Krieg mit dem historischen Erzfeind Eritrea beendete. Inzwischen ringt er damit, sein eigenes Land zusammenzuhalten. Äthiopien ist das zweitbevölkerungsreichste Land Afrikas. Zwischen seinen mehr als 90 Volksgruppen rumort es schon länger. Neben Tigray musste die Wahl auch in den Bundesstaaten Somali and Harari verschoben werden.

Ruf von Abyis bröckelt

Unterdessen bröckelt Abyis Ruf als Reformer. "Eine Mehrheit der Äthiopier schätzt die vielen Schritte, die er in den frühen Tagen seiner Regierungszeit setzte. Doch selbst vor dem Konflikt in Tigray gab es schon Missstimmung über die Geschwindigkeit der Reformen und den offensichtlichen Mangel an Umsetzungswillen für viele von Abiys Versprechen", so Experte Kannenje.

Während Beobachter äthiopischen wie auch separatistischen Truppen Menschenrechtsverbrechen vorwerfen, stellen sie sich als neuer Albtraum für die Bewohner von Tigray heraus: Soldaten des Verbündeten Eritrea. Trotz massiver internationaler Kritik terrorisieren sie offenbar weiterhin Zivilisten. Das Hilfswerk Kirche in Not berichtet von "gezielten Angriffen auf junge Menschen, wahllose Morde und sexuelle Gewalt". Selbst Ordensfrauen seien unter den Vergewaltigten gewesen. Etliche Beobachter werten das Vorgehen als "Völkermord".

Papst Franziskus betet für Ende der Gewalt

So warf auch der Patriarch der äthiopisch-orthodoxen Kirche, Abune Mathias, seiner Regierung zuletzt vor, Kirchen zu zerstören und die Bevölkerung auszuhungern. "Sie wollen die Menschen in Tigray vernichten", so das Kirchenoberhaupt in einer Videobotschaft. Papst Franziskus zeigte sich am Sonntag solidarisch. Er betete für ein "augenblickliches Ende" der Gewalt sowie für eine Wiederherstellung der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung.

Die Opposition gilt für Montag als chancenlos. Damit droht Abiy, ein weiterer "Strongman" Afrikas zu werden - weniger Demokrat als Machthaber. Selbst wenn Wahlen ihn offiziell zum Regierungschef machen, dürfte es schwer für ihn sein, politisch und international Glaubwürdigkeit zu erlangen, schätzt Kannenje vom Horn Institute. "Es ist ungewiss, ob das unter gegenwärtigen Voraussetzungen überhaupt möglich ist." So wie der Experte plädieren auch Aktivisten und Politiker dafür, dass Abiy seinem Ruf als Reformer und Friedensstifter wieder gerecht wird. Er müsse den Dialog mit allen Konfliktparteien suchen. Fraglich ist, ob es dafür nach den Wahlen noch Chancen gibt.


Quelle:
KNA