Caritas warnt vor Abschiebungen nach Syrien

"Es ist unverantwortlich"

Vor ein paar Monaten ist der Abschiebstopp nach Syrien ausgelaufen. Die Innenministerkonferenz berät ab Mittwoch über mögliche Abschiebungen. Der Deutsche Caritasverband warnt davor und fordert mehr Engagement der Bundesregierung.

Flugzeug am Himmel / © 06photo (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Lage in Syrien hat sich in den vergangenen Jahren etwas stabilisiert. Genügt das nicht? 

Prälat Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes): Das genügt eben nicht. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Dezember letzten Jahres sagt sehr deutlich, dass in Syrien kein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz vor Folter, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung gewährt ist. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich jede Form von Abschiebung. 

DOMRADIO.DE: Gibt es nicht stabile Gebiete in Teil-Regionen von Syrien, die sicher sind? 

Neher: Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist es im Moment in keinem Teil Syriens sicher. Wir haben hier eine dramatische Verschlechterung der Situation innerhalb des letzten halben Jahres, selbst in den Gebieten, die vom IS befreit sind. In den Kurdengebieten haben wir enorme Spaltungen, wirtschaftliche Entbehrung und ein sogar langsam wieder beunruhigendes Wiederaufleben des IS. Das sind alles Situationen, die politisch bekannt sind und deswegen ist es unverantwortlich, dahin Menschen abzuschieben. 

DOMRADIO.DE: Wenn sich nun ein Syrer oder eine Syrerin hat erheblich was zuschulden kommen lassen in Deutschland, schlimmste Straftaten begeht, darf das dennoch kein Argument für eine Ausweisung sein?

Neher: Es ist ja so, dass es aufgrund des Asylgesetzes tatsächlich kein Recht auf asyrechtlichen Schutz gibt, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen. Gleichzeitig aber gibt es kein automatisches Abschieben. Und es ist auch hier ganz klar geregelt, dass, wenn Folter drohen und erniedrigende und unmenschliche Verhaltensweisen, auch in diesem Fall nicht abgeschoben werden soll. Denn diese Menschen haben auch einen Anspruch darauf, dass mit ihnen menschenwürdig und gut umgegangen wird. Dann muss die Bevölkerung entsprechend anderweitig geschützt werden. Aber in eine solche Situation kann man dezidiert keine Menschen zurückschicken. 

DOMRADIO.DE: Aber warum verlängert Deutschland dann nicht den Abschiebestopp nach Syrien? Ist das Wahlkampf? Versucht man den rechten Wählerrand zu bedienen? 

Neher: Zunächst einmal gibt es offenkundig einen Unterschied zwischen der Innenministerkonferenz und dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Und ich glaube schon, dass das auch ein politisches Zeichen sein soll, um deutlich zu machen: Wir schieben ab. Wir sind konsequent. Ich sag mal dazu: Koste es, was es wolle. Und ich glaube schon, dass das auch ein Stück dem Wahlkampf im Moment geschuldet ist. 

DOMRADIO.DE: Lohnt es sich da überhaupt noch, die Stimme zu erheben? Oder ist das nicht schon längst beschlossene Sache? 

Neher: Ich denke, insofern lohnt es schon, die Stimme zu erheben, weil es immer wieder darum geht, die Menschenrechte und die Menschenwürde anzumahnen und einzuklagen. Die Situation in Syrien ist sehr dramatisch. Wir haben hier seit mehr als zehn Jahren einen Bürgerkrieg.

Ich denke, die die Europäische Union und Deutschland sollten sich hier in diesem schwierigen Konfliktgebiet noch wesentlich mehr engagieren, um tatsächlich Friedensbemühungen zu unterstützen. Ich glaube, dahingehend muss die Sorge der deutschen Bundesregierung gehen und nicht hin zu Abschiebungen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes  / © Harald Oppitz (KNA)
Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR