Hildegard Kronawitter zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl

"Sie war eine Gottsuchende"

21 Jahre ist Sophie Scholl, als sie im Februar 1943 mit ihrem Bruder Hans und beider Freund Christoph Probst von den Nazis in München hingerichtet wird. Ein Interview über die starke Frau, ihre Entwicklung und ihren Glauben.

Autor/in:
Barbara Just
Grab des Vaters und der Geschwister Scholl / © Barbara Just (KNA)
Grab des Vaters und der Geschwister Scholl / © Barbara Just ( KNA )

KNA: Frau Kronawitter, in welcher Weise hat Sophie Scholl Vorbildcharakter?

Hildegard Kronawitter (Vorsitzende der Münchner Weiße-Rose-Stiftung): Sophie Scholl ist ein Vorbild in ihrer Klarsichtigkeit, in ihrem Mut und in ihrer Entschiedenheit zum Widerstand gegen das NS-Regime, also gegen Unrecht. Zugleich zeigt sie, wie wichtig es ist, Empathie mit den Schwächeren zu haben. Das ist gerade in unserer Zeit sehr notwendig.

KNA: War sie für ihr Alter unheimlich reif?

Kronawitter: Wer sie nur als Studentin sieht, vergisst, dass Sophie zuvor schon einiges in ihrem Leben gemacht hatte. Unmittelbar nach dem Abitur 1940 absolvierte sie eine einjährige Ausbildung zur Kindergärtnerin. Danach musste sie sofort den Reichsarbeitsdienst ableisten, der auch noch um ein halbes Jahr verlängert wurde. Erst im Mai 1942 durfte sie in München mit dem Studium beginnen. Bis dahin hat dieses Mädchen schon viel lernen und erfahren müssen. Und das trägt natürlich zu einer Reifung bei.

KNA: Inhaltlich war Sophie Scholl erst ab Flugblatt 5 und 6 der Weißen Rose beteiligt. Wie kommt es, dass in erster Linie sie mit der Widerstandsgruppe in Verbindung gebracht wird?

Kronawitter: Unter den sieben vom NS-Staat für ihren Widerstand ermordeten Mitgliedern war sie die einzige Frau. Sophie Scholl hat sich bewusst für den Widerstand entschieden. Es gibt diese bemerkenswerte Bitte an ihren Freund Fritz Hartnagel im Mai 1942, er solle ihr 1.000 Reichsmark für einen guten Zweck schenken samt eines Bezugsscheins für einen Vervielfältigungsapparat. Das erfolgte alles unabhängig von den jungen Männern und von Professor Kurt Huber. Im Herbst 1942 gibt sie dem Ulmer Freund Hans Hirzel ein solches Gerät inklusive Wachsmatrizen und Papier. Doch dieser versenkt das Gerät aus Angst wenig später in der Donau. Eine besondere Erfahrung war sicherlich auch, dass Vater Scholl im August für vier Monate eingesperrt wurde, weil er Hitler eine Gottesgeißel nannte und den Krieg verloren sah.

KNA: Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben, hat Sophie Scholl einmal geschrieben. Ist damit ihre Haltung auf den Punkt gebracht?

Kronawitter: Ein harter Geist bedeutet, dass man sich einer Einsicht nicht verschließen darf und dann die Konsequenz daraus auf sich nimmt. Das Bild, das aus Erzählungen von ihr und aus dem, was sie niedergeschrieben hat, hervorgeht, ist, dass Sophie klug und entschieden war. Zugleich hatte sie sehr gute Sensoren für ihre Umwelt.

KNA: Sophie Scholl stammte aus einem protestantischen Elternhaus. Welche Rolle spielte der Glaube für ihr Handeln?

Kronawitter: Ich würde lieber auf ihr christlich geprägtes Gewissen verweisen. Die Geschwister gingen in eine von evangelischen Schwestern geführte Kleinkinderschule. Nach zweijähriger Vorbereitung feierte Sophie Konfirmation. Letztlich war es die Mutter, die im Alltag den Glauben vorgelebt hat. Interessant ist, dass Sophie phasenweise im Gebet mit Gott gehadert hat. Es gibt Tagebucheinträge, in denen sie schreibt, sie wolle beten, aber dringe nicht durch. Die Biografen sind sich einig, dass sie eine Gottsuchende war.

KNA: Wann begann diese Phase?

Kronawitter: Schon in der Zeit des Reichsarbeitsdienstes, da ist es jedenfalls aus den Schriftstellen zu entnehmen. Sie ist damals von der Familie getrennt und wohnt quasi kaserniert. Alles läuft in einem paramilitärischen Stil ab. In diesen Monaten liest Sophie die «Confessiones» (Bekenntnisse) des heiligen Augustinus. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Römerbrief des Apostels Paulus. Man kann spüren, wie sehr sie um Klarheit gerungen hat.

KNA: Hatte sie eine Art geistlichen Begleiter?

Kronawitter: Nein, das kann man nicht sagen. Als sie nach München kam, wohnte Sophie aber anfangs bei dem katholischen Existenzialisten Carl Muth. Dort lernte sie im Umfeld ihres Bruders Hans auch andere katholische Schriftsteller kennen wie Theodor Haecker. Aber sie war in diesen Gesprächsrunden immer die Stille und setzte sich lieber mit den Texten selbst auseinander.

KNA: Wo der Geist Gottes weht, da herrscht Freiheit, heißt es im 2. Korintherbrief. Ein zentraler Satz für Sophie Scholl?

Kronawitter: Das Streben nach Freiheit war für die Geschwister Scholl elementar. Es gibt diese sehr berührenden Worte auf der Rückseite des Schreibens des Reichsstaatsanwalts, mit der ihr die Anklageschrift zugestellt wurde. Während auf der Vorderseite steht, dass sie alle das Leben wegen ihrer Taten verlieren werden, schreibt Sophie auf die Rückseite in einer Zierschrift zweimal die Worte "Freiheit". Danach sind zwei "F" zu lesen. Ein emotionaler Ausdruck dessen, wonach sie sich so sehnte.

KNA: Auf einer Querdenker-Demo im November in Hannover verglich sich eine Gegnerin der Corona-Maßnahmen mit Sophie Scholl. Wie gehen Sie als Stiftung mit einer solchen Vereinnahmung um?

Kronawitter: Hier wird eindeutig der Name missbraucht. Diese junge Frau wusste wohl nicht, in welchem freien Land sie eigentlich lebt und was es bedeuten würde, das freie Wort in einer Diktatur zu wagen. Die Empörung in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit war gewaltig und hat gezeigt, dass es den Menschen schon wichtig ist, zwischen Demokratie und Diktatur zu unterscheiden.

KNA: Aufklärung ist also weiter angebracht.

Kronawitter: Absolut. Deshalb haben wir eine neue Sophie-Scholl-Wanderausstellung konzipiert, die jüngst im Münchner Geschwister-Scholl-Wohnheim eröffnet wurde. Mit relativ kurzen Texten und Zitaten wird das Aufwachsen von Sophie Scholl in einem behüteten Elternhaus erzählt, was sie beeinflusst, wie sie zur Widerstandskämpferin wird und warum sie zu einer Ikone des Widerstands werden konnte. Wer an der Ausstellung interessiert ist, kann sich gerne bei der Stiftung melden.

Geschwister Scholl

Bei den Geschwistern Scholl handelt es sich nach üblicher Sprechweise um Hans und Sophie Scholl. Beide wurden bekannt als Mitglieder der „Weißen Rose“, einer in ihrem Kern studentischen Münchener Gruppe, die während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv war, insbesondere bei der Verbreitung von Flugblättern gegen den Krieg und die Diktatur unter Adolf Hitler.

Hans und Sophie Scholl / © dpa (dpa)
Hans und Sophie Scholl / © dpa ( dpa )

 

Quelle:
KNA