ZdK-Vize Kortmann kritisiert Debattenkultur in der SPD

"Kein Glanzstück, was Saskia Esken da abgeliefert hat"

Es gibt Streit in der SPD. Dabei geht es um Äußerungen von Wolfgang Thierse, der die Konzentration der Partei auf Identitätspolitik kritisiert hat. Karin Kortmann ist selbst Parteimitglied und kann die Art der Debatte nicht verstehen.

SPD-Logo / © Jan Woitas (dpa)
SPD-Logo / © Jan Woitas ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kritisiert einige Aspekte seiner eigenen Partei. Es gibt Ärger und im Endeffekt bietet er sogar seinen Parteiaustritt an. Was ist los in der SPD?

Karin Kortmann (Ehem. SPD-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Ich glaube, die SPD beschäftigt das, was in vielen anderen gesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen auch stattfindet, nämlich die Frage: Wie können wir eine Gesellschaft mitgestalten, die möglichst frei von Diskriminierung ist und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt? Was haben wir dafür für Instrumente und Sprache? Umgehensformen sind dafür ein wichtiger Gradmesser und die SPD ringt darum. Wer allerdings den Entwurf des Wahlprogramms der SPD liest, der sieht auch, wie stark das Thema "soziale Gerechtigkeit" das gesamte Wahlprogramm durchzieht. Ich habe da nicht die Sorge, dass die Identitätspolitik das alleinig wahrnehmbare Thema der SPD wäre. Aber es ist eins. Und gerade heute, am Internationalen Frauentag, ist es ein ganz wichtiges Thema, dem sich die SPD, wie alle anderen, auch stellen muss.

DOMRADIO.DE: Konzentriert sich denn die SPD tatsächlich zu sehr auf die Interessen einzelner Gruppen und vernachlässigt damit ihr Profil als Partei der sozialen Gerechtigkeit?

Kortmann: Nein, das tut sie nicht. Das tut sie überhaupt nicht, sondern im Gegenteil. Die SPD ist, wie alle anderen Parteien auch, ein Zusammenschluss von Menschen ganz unterschiedlicher ethnischer, kultureller Herkunft, sexueller Orientierung. Und dabei wird nach dem bestmöglichen Weg in der Frage gesucht, wie den unterschiedlichen Identitäten Rechnung getragen wird. 

Das zeigt sich doch alleine schon in der Schwierigkeit bei der Suche nach der richtigen Sprache, ob Gendersternchen oder ob Unterstrich. Innerhalb der SPD gab es ja sehr frühzeitig Gruppen, die sich mit dem Thema von lesbischen Beziehungen und Homosexualität befasst haben. Und dass es letztendlich zu einer Entscheidung im Bundestag der gleichen Anerkennung gekommen ist, ist ja ein Zeichen dafür, wie lang und umständlich dieser Weg ist. Ich sehe nicht, dass die SPD da einen falschen Weg einschlägt, im Gegenteil, dieser Diskurs ist richtig. Würden wir ihn nicht führen in der SPD, müsste man uns ja mit Recht vorhalten, dass wir bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen gar nicht wahrnehmen.

Vielleicht kann ich es auch an einem Beispiel festmachen. Und damit ist auch der Brückenschlag zur Kirche da. Wir hatten letzte Woche Freitag in der Sitzung von "Justitia et Pax", der Kommissionssitzung genau dieses Thema. Was hat eigentlich der Kolonialismus an Rassismus mit sich gebracht und was sind heute die richtigen Antworten? Dass man eben sensibel dafür ist, dass ich jemand, der vielleicht optisch einen möglichen Migrationshintergrund hat, nicht frage: Wo bist du eigentlich geboren? Oder dass ich sensibel mit den Straßenbeschilderungen umgehe.

All das zeigt ja, dass die SPD da nicht der Vorreiter ist. Aber sie ist mittendrin in diesem Diskurs und der Auseinandersetzung. Wo wir aber achtgeben müssen ist, dass wir Menschen, weil sie eine bestimmte Auffassung haben, nicht schlechtweg die politische Sensibilität abschlagen, sondern sagen: Darüber muss geredet, darüber muss gestritten werden. Und es muss auch zu Lösungen kommen. Insofern sehe ich das eher gelassen und bin aber auch sehr dabei zu sagen: Bitte achtet darauf, Menschen hier nicht in der Öffentlichkeit vorzuführen, weil sie eine andere Meinung haben als vielleicht die Parteivorsitzende.

DOMRADIO.DE: Welche Position hat denn die Kirche im Streit um die Identitätspolitik. Könnte sie vermitteln?

Kortmann: Es ist nicht Aufgabe der Kirche in diesem Punkt zu vermitteln. Die Kirche muss selber klar haben, welche Rolle sie einnimmt. Wenn Sie mal kirchliche Dokumente lesen: Wir haben zum Beispiel fast durchgängig die männliche Schreibweise. In Stellenausschreibungen haben wir jetzt männlich, weiblich stehen, wissen aber, dass es in vielen Fällen gar nicht so gemeint sein kann, weil es immer noch mit bestimmten Fragen von Weiheamt zu tun hat. Die Kirche macht sich auf den Weg, gerade in dieser Frage. Vor allen Dingen: Was heißt unser weltkirchliches Engagement? Was nehmen wir dort wahr? Und wie gehen wir mit Menschen in Deutschland, in unseren Partnerländern um, damit diese Identität, aus der kirchlichen Perspektive, die Würde jedes Menschen im Mittelpunkt steht? Dass wir nicht hingehen und einem Mainstreaming folgen, sondern der Frage nachgehen: Was bedeutet es, wenn wir in einem weltkirchlichen Kontext darüber reden? Das betrifft auch die Aufarbeitung der kolonialen Beziehungen. Und wir wissen, dass das eine der entscheidenden Fragen ist, die auch mit kirchlicher Aufarbeitungsgeschichte zusammenhängen. Nur dann, wenn wir uns den politischen Prozessen, die damals zur Kolonialgeschichte geführt haben, stellen, unsere Verantwortung anerkennen und dann die Frage stellen: Was ist unser Job, den wir heute zu erledigen haben? Dann wissen wir, dass auch Kirchen mitten drin in dieser Identitätspolitik sind.

DOMRADIO.DE: In den sozialen Medien gab es ja sofort heftige Reaktionen und hasserfüllte Angriffe auf Wolfgang Thierse, weil er das Thema Identitätspolitik zur Sprache gebracht hat. Wie sehr besorgt Sie das?

Kortmann: Das macht mich fassungslos. Zum einen: jeder, der Wolfgang Thierse kennt und sein großes Engagement, auch was Versöhnung und Gemeinsinn angeht, wird ihm überhaupt nicht unterstellen können, auf diesen Augen blind zu sein. Sondern im Gegenteil sollte man sagen: "Lieber Wolfgang Thierse, lass uns darüber sprechen und gucken: Was ist deine Auffassung? Wo hast du Sorge, dass die SPD in der Identitätspolitik zu stark und in anderen Bereichen zu schwach wahrgenommen wird?" Darüber redet man. Aber Menschen so öffentlich zu verunglimpfen, wie das über die Parteivorsitzende und Kevin Kühnert gelaufen ist - das erzeugt Kopfschütteln und macht eigentlich traurig, weil wir Dialogformen innerhalb der SPD haben, die dafür genutzt werden. Aber es zeigt, dass der Gradmesser zwischen öffentlicher Distanzierung, politischem Angreifen und der Frage, wie hart diese auseinander geführt sind, dass da ganz kleine Nuancen nur sind und wir achtgeben müssen, dass wir uns nicht gegenseitig den Respekt und die Anerkennung absprechen, das Beste zu suchen und es auch umzusetzen. Es war kein Glanzstück, was Saskia Esken da abgeliefert hat.

Das Interview führte Dagmar Peters.

 

Karin Kortmann, Vizepräsidentin des ZdK / © Harald Oppitz (KNA)
Karin Kortmann, Vizepräsidentin des ZdK / © Harald Oppitz ( KNA )

 

Wolfgang Thierse / © Britta Pedersen (dpa)
Wolfgang Thierse / © Britta Pedersen ( dpa )
Quelle:
DR