US-Präsident Biden vor wichtiger Transatlantik-Rede

"Es ist nicht alles eitel Sonnenschein"

Bei der digitalen Münchner Sicherheitskonferenz und der G7-Konferenz geht es auf höchster Ebene um wichtige globale Themen - auch um das transatlantische Verhältnis. Politikwissenschaftler Christian Schlegel mit einer Einschätzung.

Joe Biden / © NumenaStudios (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was kann man von der Rede des US-Präsidenten Joe Biden bei der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Freitag erwarten?

Dr. Christian Schlegel (Politikwissenschaftler und Journalist): Ein Bekenntnis zum transatlantischen Verhältnis darf man schon erwarten. Dabei findet Biden bestimmt wertschätzende Worte. Das ist zunächst einmal Balsam auf die Seele all derjenigen, die unter den angeschlagenen transatlantischen Beziehungen unter Donald Trump gelitten haben. Aber es ist nicht alles eitel Sonnenschein.

DOMRADIO.DE: Welche Gemeinsamkeiten, welche Meinungsverschiedenheiten gibt es zwischen Europa und der neuen US-Regierung?

Schlegel: Für die Europäer bedeutet die neue amerikanische Administration unter Biden, dass man wieder einen Ansprechpartner hat, mit dem man reden kann, der zuhört, der Jahrzehnte an außenpolitischer Erfahrung mitbringt. Biden war vor 40 Jahren schon bei der Sicherheitskonferenz dabei. Dazu kommt, dass auch sein Team erfahren ist. Nach wie vor haben Europäer und Amerikaner aber unterschiedliche Interessen in manchen Fragen. 

DOMRADIO.DE: Welche Differenzen gibt es denn?

Schlegel: Beim Verhältnis zwischen Deutschland und den USA ist der aktuellste Streitfall die Ostseepipeline Nordstream 2. Es gibt in den USA einerseits ernsthafte wirtschaftliche Interessen, was ein Grund ist, warum die Pipeline verhindert werden soll. Daher hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz auch ein Angebot an die Trump-Administration gegeben, was ja erst kürzlich herausgekommen ist, dass Deutschland Flüssiggasterminals in Norddeutschland errichten könne, wenn der Nordstream-Deal durch die USA befürwortet wird.

Das ganze Thema ist andererseits komplexer als nur die wirtschaftliche Seite. Da spielt natürlich auch das Verhältnis zu Russland eine Rolle, aber auch das innereuropäische Verhältnis, bei dem alle Seiten gründlich abgewogen werden müssen. Alles in allem ist das aber ein Beispiel, dass die USA, wie übrigens immer schon, in ihrem eigenen Interesse handeln. Nur: Diese Interessen sind nicht mehr ganz so deckungsgleich mit den europäischen Interessen, wie noch in Zeiten des Kalten Krieges.

DOMRADIO.DE: Wo gibt es wieder Einigkeit zwischen den USA und der EU?

Schlegel: Einigkeit gibt es wieder beim Pariser Klimaabkommen, bei dem Bekenntnis zur NATO, auch wenn es da immer noch Unstimmigkeiten gibt, und dem Bekenntnis zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit. US-Präsident Joe Biden hat ja sogar einen internationalen Demokratiegipfel angekündigt.

Viele Transatlantiker wünschen sich, dass die USA und die EU wirtschaftlich, geopolitisch und sicherheitspolitisch wieder die Nähe zueinander suchen. Viele erinnern an die gemeinsamen Werte, die es gilt aufrecht zu halten. Es geht darum, dass man Flagge zeigt, gegenüber dem immer stärkeren, autokratischen China. Die Angst ist da, dass sich mit dem fortschreitenden globalen wirtschaftlichen Einfluss, den Peking hat, auch schleichend Demokratie und Rechtsaatlichkeit auf dem Rückzug befindet.

Eine Chance für die transatlantische Zusammenarbeit wäre zum Beispiel ein gemeinsames Handelsabkommen. Das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), ist zum Ende der Administration von Barack Obama im Sande verlaufen. Es hatte in ihrer Ausgestaltung auch viele Kritiker. Aber es wäre natürlich ein Zeichen dafür, dass die USA und die EU wieder gemeinsam zusammenstehen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Christian Schlegel / © Ide Lödige (DR)
Christian Schlegel / © Ide Lödige ( DR )
Quelle:
DR