Ex-Auslandspfarrer blickt auf Bidens Amtseinführung

"So help me God!"

Mit der Hand auf der Familienbibel hat Joe Biden den Eid als 46. US-Präsident abgelegt. Eine Amtseinführung voller christlicher Symbolik. Für Olaf Waßmuth die Hoffnung, dass "Wahrhaftigkeit und Empathie" in die amerikanische Politik zurückkehren.

Joe Biden als 46. US-Präsident eingeführt / © Saul Loeb (dpa)
Joe Biden als 46. US-Präsident eingeführt / © Saul Loeb ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Ablauf ist ja eigentlich immer der gleiche. Was hat Bidens Amtseinführung von denen seiner Vorgänger unterschieden?

Dr. Olaf Waßmuth (2012 bis 2016 evangelischer Auslandspfarrer in Washington): Der Ablauf steht wirklich fest, auch schon sehr lange. Das sind feste Rituale. Was natürlich gefehlt hat, sind die großen Massen, die sich vor dieser Veranstaltung dort zu Hunderttausenden versammeln und die den entsprechenden Jubel beisteuern. Diese Atmosphäre hat natürlich gefehlt.

DOMRADIO.DE: Und der Amtsvorgänger war nicht dabei.

Waßmuth: In der Tat, ob da alle so traurig waren diesmal, das wage ich zu bezweifeln.

DOMRADIO.DE: Biden ist ja durch und durch Christ und Katholik. Er hat in seiner Amtsantritts-Rede neben der Bibel auch den Heiligen Augustinus zitiert. Auch Papst Franziskus ist als Zitat bei der Veranstaltung zu Wort gekommen. Welche Rolle spielt es denn jetzt für Amerika, dass man nicht nur einen Taufschein-Christen als Präsidenten hat, sondern jemanden, der seinen Glauben auch wirklich ernst zu nehmen scheint?

Waßmuth: Wer Joe Biden kennt und Interviews mit ihm gehört hat, der weiß, wie tief seine Glaubenserfahrung tatsächlich ist. Diese Glaubenserfahrung ist vor allem auch durch Trauer und Verlust geprägt. Wenn man ihn darüber reden hört, dann merkt man, dass er wirklich weiß, was Glauben bedeutet.

Ich war sehr angerührt von der Veranstaltung, die gestern Abend stattgefunden hat, ganz bewusst im Vorfeld der Einführung, wo die beiden, die neue Vizepräsidentin und der neue Präsident, der 400.000 Opfer der Pandemie gedacht haben. Dass das der Auftakt war, ist für mich ein ganz starkes Zeichen, dass Wahrhaftigkeit und Empathie wieder zurückgekehrt sind in die amerikanische Politik.

DOMRADIO.DE: Washington hat keine leichten Wochen hinter sich. Wie ist denn die Stimmung in der Stadt im Moment?

Waßmuth: Also es ist eine sehr große Erleichterung da, dass Amerika sozusagen mit zwei blauen Augen davongekommen ist, durch diese Trump-Jahre. Manches hätte noch viel schlimmer kommen können und das Wissen, das jetzt hoffentlich wieder in einigen Bereichen Normalität einkehrt, das schafft wirklich große Erleichterung.

DOMRADIO.DE: Bei der Amtseinführung spielt auch die christliche Symbolik eine große Rolle. Der Präsident leistet zum Beispiel den Amtseid mit der Hand auf der Bibel. Was hat das für Hintergründe?

Waßmuth: Ja, das müsste er eigentlich nicht unbedingt. Das ist zwar Tradition, aber er müsste nicht unbedingt auf die Bibel schwören, aber da hat bisher auch jeder Präsident so ein bisschen eigene Akzente gesetzt, auf welche Bibel er da schwört.

Es wird am Anfang gebetet, es wird am Ende gebetet, am Anfang eine "Invocation", am Ende ein "Blessing", ein Segen. Das zeigt an, dass bei aller religiösen Vielfalt, die es ja in den USA gibt, so etwas wie eine religiöse Grundstimmung zum amerikanischen Selbstbewusstsein dazugehört.

DOMRADIO.DE: Diese "Invocation" hat der Jesuit Leo O'Donovan gehalten, das ist ein persönlicher Freund der Bidens. Ist das generell in Amerika so völlig akzeptiert, dass Religionsvertreter bei so einer politischen Zeremonie sprechen?

Waßmuth: Das ist sehr schwer für Europäer zu verstehen. Einerseits die klare Trennung von Religion und Staat in USA und andererseits die religiöse Unterfütterung des amerikanischen Patriotismus. Da wundert man sich hin und wieder, was alles möglich ist und was nicht möglich ist. In der Schule beten? Nein, auf gar keinen Fall. Aber bei solchen offiziellen Anlässen, da treten immer wieder christliche Vertreter auf. Und es gibt ja auch einen Gottesdienst in der National Cathedral, gab es auch gestern Abend zur Vorbereitung der Präsidentschaft.

Für Amerikaner ist es wichtig, dass die Präsidenten etwas glauben. Was genau er nun glaubt, das spielt gar keine so große Rolle. Aber weil 'Amerikaner sein' selbst schon eine Art von Glaubensbekenntnis ist, ist es wichtig, dass der Präsident eine höhere Perspektive hat.

DOMRADIO.DE: Ist das auch mit Blick auf die Politik so? Haben Sie die Hoffnung, dass da auch einiges Christliches in der Politik in den kommenden Tagen, Wochen, Monaten, Jahren kommen wird?

Waßmuth: Es ist immer die Frage, was man unter christlich versteht. Trump und seine Leute, insbesondere auch Vizepräsident Pence, der auch ein sehr religiöses Profil hat, haben darunter etwas anderes verstanden, als jetzt Joe Biden. Ganz sicher. Heute war ganz klar die religiöse Dimension für mich, das immer wieder betont wurde: Wir gedenken der Geringsten. Wir gedenken der Verwundeten. Wir beziehen die Schwachen ein. Ich glaube, das ist das, was für Joe Biden eine große Rolle spielt.

Das Gespräch führte Gerald Mayer.


Dr. Olaf Waßmuth, Leiter des Referats Südeuropa und Auslandstourismus bei der EKD / © EKD (EKD)
Dr. Olaf Waßmuth, Leiter des Referats Südeuropa und Auslandstourismus bei der EKD / © EKD ( EKD )
Quelle:
DR