Jugendweihen werden auch heute noch gefeiert

"Aktion gegen die Kirchen und ihre Initiationsriten"

Bis heute sind die Jugendweihen fester Bestandteil in Ostdeutschland. Der Theologe Thomas Arnold erläutert, warum die Feiern für die einen Teil ihrer Identität bleibt, für die anderen aber ein Symbol der Ausgrenzung und Willkür ist.

Jugendweihe (dpa)
Jugendweihe / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was passiert denn bei der Jugendweihe?

Dr. Thomas Arnold (Direktor der Akademie Bistum Dresden-Meißen): Ich gehöre ja zur Kategorie derer, die zwar noch in der DDR geboren, aber dann schon im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen sind. Aber tatsächlich kenne ich aus den vielen Erzählungen von Christinnen und Christen, dass die Jugendweihe eine unwahrscheinlich existentielle Erfahrung war, und zwar am entscheidenden Punkt.

Die Jugendweihe war ab 1954 als "freiwilliger Zwang" angesagt. Ab 1958 musste sich jeder Christ die Frage stellen: Nehme ich daran teil unter Inkaufnahme von kirchlichen Nachteilen? Oder verweigere ich die Jugendweihe und nehme damit im Ernstfall ein Ausschluss aus dem gesellschaftlichen System in Kauf und bin dafür dann in beiden Kirchen ohne Nachteile akzeptiert? Das heißt, es war eine Entweder-oder-Entscheidung auf dem Rücken von 13- bis 14-Jährigen.

DOMRADIO.DE: Es heißt immer, das sei eine Erfindung des DDR-Regimes als Konkurrenzveranstaltung zum Beispiel zur Konfirmation gewesen. Aber die Jugendweihe gab es schon vorher.

Arnold: Tatsächlich ist die Jugendweihe eine Erfindung aus dem 19. Jahrhundert im freireligiösen Bereich. Aber sie hat verschiedene Wandlungen durchgemacht. Sie war Anfang des 20. Jahrhunderts eine Bekenntnifeier vor allem von Kommunisten. Dann hat sie während des Nationalsozialismus nochmal verschiedene Transformationen erlebt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich auch von kommunistischer Seite zunächst dafür entschieden zu sagen: "Nein, wir wollen ein Deutschland mit allen Partnern aufbauen" - so die Zitate noch von 1950 - "und wir wollen diese Jugendweihe nicht wiederbeleben". Dann gibt es aber einen Aufruf vom 12. November 1954 im "Neuen Deutschland", wo man zur Jugendweihe zunächst völlig freiwillig aufruft und sagt "Nehmt bitte daran teil. Wir wollen diesen Initiationsritus zwischen Schule und Berufsleben". Im Hintergrund hat man aber schon ganz klar gewusst und das steht im Protokoll, das kann man heutzutage nachlesen: Es ist eine Aktion gegen die Kirchen, gegen deren Initiationsriten.

Am Anfang hat man keinen Erfolg gehabt. Die Kirchen haben sehr stark dagegen reagiert. Gerade die evangelische Kirche hat noch 1952 von Seiten des Staates einen Sturm auf ihre Jugend erlebt. Die haben sehr stark gemerkt, dass hier der Staat versucht, in die Jugendarbeit der Kirche einzudringen und Menschen von der Religion wegzubringen. Deswegen haben sie sehr intensiv dagegen reagiert und der Staat hat dann genauso wieder gegenreagiert. Es war eine Eskalation.

DOMRADIO.DE: Ist versucht worden, dieser Eskalation zu begegnen?

Arnold: Man hat 1956 von staatlicher Seite versucht einzulenken und die deutlich atheistische Haltung dieser Jugendweihe bis 1957 herauszunehmen. Da gab es die sogenannte "Sonneberger Rede" von Walter Ulbricht. Das ist der Knackpunkt, der Wendepunkt. Dort hat man sich als Staat für die Jugendweihe mit diesen willkürlichen Haltungen, die auch heute noch im Gedächtnis sind, entschieden. Also nach dem Motto "Wenn du nicht teilnimmst, dann hast du eventuell Nachteile im Berufsleben und in deinem weiteren Fortkommen in diesem Land". Dort hat man das auch entschieden artikuliert. Damit war man als Mensch vor die Herausforderung gestellt: entweder Staat oder Kirche.

Die Kirchen haben am Anfang diese Entweder-oder-Haltung fortgesetzt und dann aber ganz schnell gemerkt, dass sie damit nicht durchkommen. Die Menschen, die Kinder, die Familien entscheiden sich in Teilen für den Staat und deswegen hat sich die Jugendweihe in der ehemaligen DDR durchgesetzt. Die Kirchen haben sich immer stärker dazu durchgerungen, diese Entweder-oder-Haltung aufzugeben und den Jugendlichen die Jugendweihe und Konfirmation oder Firmung zu ermöglichen.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen / © Oliver Killig (Katholische Akademie Bistum Dresden-Meißen)
Quelle:
DR
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