Vor zehn Jahren: Letzte Ausgabe des "Rheinischen Merkur"

Ein "Flaggschiff der katholischen Publizistik" und sein Erbe

In der "Bonner Republik" gehörte der "Rheinische Merkur" lange Zeit zur Pflichtlektüre von Entscheidern. Ab Mitte der 1970er-Jahre ging die Auflage allmählich zurück. Vor zehn Jahren kam das Aus.

Autor/in:
Joachim Heinz
Rheinischer Merkur / © Harald Oppitz (KNA)
Rheinischer Merkur / © Harald Oppitz ( KNA )

Eine Portion Wehmut schwang mit. "140.000 Menschen haben wir zuletzt jede Woche erreicht, und es waren die Besten: christlich, gebildet, vielfältig aktiv, verantwortlich in allen Schichtungen des Landes." So wandte sich Michael Rutz, Chefredakteur des "Rheinischen Merkur", am 25. November 2010 an seine Leser. Es war die letzte Ausgabe der traditionsreichen Wochenzeitung, die in ihren besten Tagen auf Augenhöhe mit der Hamburger "Zeit" war und die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch zum 60-jährigen Bestehen 2006 als unverzichtbare Stimme in der publizistischen Landschaft würdigte.

Ähnlich hatte sich der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner geäußert, als er rund drei Wochen später die neuen Räumlichkeiten des "Rheinischen Merkur" in Bonn einweihte, in denen heute das Katholische Medienhaus sitzt. Es war derselbe Meisner, der 2010 maßgeblich dazu beitrug, das Ende für den "Rheinischen Merkur" als eigenständige Publikation einzuläuten, wie Michael Rutz zehn Jahre danach sagt. Der Kardinal habe andere an der Zeitung beteiligte Bistümer in eine Allianz gezwungen. "Wir waren ihm vermutlich zu liberal. Aber darauf waren wir stolz."

Prominente Stimme des bürgerlichen Milieus

In der alten Bundesrepublik hatte sich der am 15. März 1946 in Koblenz gegründete Merkur über Jahrzehnte als eine prominente Stimme des bürgerlichen Milieus profiliert: Vom "Flaggschiff der katholischen Publizistik" und Leib- und Magenblatt Konrad Adenauers hin zu einem "weltoffenen, parteiunabhängigen und überkonfessionellen Forum für gesellschaftliche und politische Debatten", wie Rutz es formuliert.

1970 hatte der Merkur erstmals Zuschüsse vom Erzbistum Köln erhalten, seit 1974 war das Blatt in der Hand von mehreren Bistümern, 1976 beteiligte sich auch der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD).

1980 vereinigte er sich aus wirtschaftlichen Gründen mit dem vormals protestantischen Blatt "Christ und Welt". Offiziell begründete die katholische Deutsche Bischofskonferenz 2010 das Aus für den Merkur mit einem erheblichen Zuschussvolumen und einer gesunkenen Abonnentenzahl.

Mit Auflage von 220.000 gestartet

In der Tat war dieses Argument nicht ganz von der Hand zu weisen. Mit einer Auflage von 220.000 und einem Verkaufspreis von 20 Pfennig gestartet, sank die Zahl der zum vollen Preis verkauften Exemplare unter 20.000. Zuletzt gab es Überlegungen, das digitale Angebot auszubauen; auch über einen Wechsel zum Magazin-Format wurde nachgedacht. Stattdessen lebt der Merkur in dem Titel "Christ & Welt" fort, der seither als sechsseitige Beilage in der "Zeit" erscheint, bei der ehemaligen Konkurrenz also.

Das Projekt habe einen sehr guten Weg genommen, findet Rutz. An dem Engagement der "Zeit" und dem Zuspruch der Leser zeige sich, dass Religion und Glaube "ein wesentliches Thema unserer Gesellschaft bleiben". Ein paar Altgediente sind an Bord geblieben, neue Kräfte kamen hinzu, zuletzt Georg Löwisch von der "tageszeitung" als neuer Chefredakteur.

In den besten Momenten greifen die Beiträge in "Christ & Welt" das Erbe von Urahn Joseph Görres auf. Der kämpferische katholische Intellektuelle hatte von 1814 bis 1816 erstmals eine Zeitung namens "Rheinischer Merkur" herausgegeben. An ihn wollte Franz Albert Kramer

1946 mit seiner Neugründung anknüpfen: "Mit der Ursprünglichkeit seines Denkens, mit der Kraft seiner Sprache, mit der ganzen hinreißenden Leidenschaftlichkeit seines Geistes hat Görres dem Rheinischen Merkur den höchsten Rang gesichert."

Ob die katholische Kirche sich mit dem Rückzug vor zehn Jahren einen Gefallen getan hat? "Jeder ist seines Glückes Schmied", sagt Rutz. Der Merkur sei eine Möglichkeit gewesen, in eine Gesellschaft hineinzuwirken, die sich von der "Amtskirche" zunehmend entfernt.

"Wir Katholiken, die wir den Rheinischen Merkur jede Woche mit Freude gestaltet haben, machen uns um unsere Kirche Sorgen", schrieb Rutz in der letzten Ausgabe. "Sie verlässt ihre Gläubigen und Sympathisanten nicht nur, indem sie ihr Medienengagement reduziert und damit die Kanzeln unserer Zeit geringer schätzt. Sie verlässt sie, indem sie in immer neuen Runden Gemeinden zusammenlegt, Kirchen schließt, vor allem auch, weil es an Priestern fehlt."


Quelle:
KNA