Bei der "Querdenken"-Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Samstag in Hannover hat eine Rednerin mit einem Auftritt als selbst ernannte "Sophie Scholl" heftige Reaktionen im Netz ausgelöst.
Auf einem Video, das bei Twitter bis zum Sonntagmorgen über 1 Million Mal angeklickt und mehrere Tausend Male kommentiert wurde, ist eine junge Frau zu sehen, die auf einer kleinen Bühne in der Nähe der Oper zum Publikum spricht sich dabei mit der von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpferin vergleicht.
Nach wenigen Sätzen taucht ein junger Mann vor der Bühne auf. "Für so einen Schwachsinn mache ich doch keinen Ordner mehr", protestiert er und reicht der Frau sein orangefarbenes Leibchen.
Es gehe hier um eine "Verharmlosung vom Holocaust", die "mehr als peinlich" sei. Die Rednerin entgegnet: "Ich habe doch gar nichts gesagt." Dann beginnt sie zu weinen und wirft ihr Mikrofon weg.
Polizisten erscheinen und geleiten den Mann von der Bühne weg. In einem später geposteten Ausschnitt ist die Frau erneut zu sehen. Sie gibt sich "schockiert, dass ich von einem Passanten, oder was auch immer, beleidigt wurde".
Viele Twitter-Nutzer markierten das Video mit "Gefällt mir", während des Auftritts der Frau ist vereinzelt Applaus zu hören. Doch in den Kommentarspalten gibt es auch Empörung und Ablehnung: Die Parallelen zu Sophie Scholl seien verantwortungslos.
Der junge Mann bekommt hingegen Zuspruch. Ein Nutzer etwa schrieb: "Respekt für den Ex-Ordner, der die Verhöhnung der realen Holocaust-Opfer erkannte und sich dagegen stellte."
Auch Bundesaußenminister Heiko Mass (SPD) kritisierte die Rednerin. "Wer sich heute mit Sophie Scholl (...) vergleicht, verhöhnt den Mut, den es brauchte, Haltung gegen Nazis zu zeigen", twitterte er am Sonntag. (dpa/22.11.2020)
24.11.2020
Die Empörung darüber, dass sich Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen mit NS-Opfern vergleichen, reißt nicht ab. "Der Holocaust ist kein Abziehbild für jedwede Opfergefühle", sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat Gleichsetzungen aus der "Querdenken"-Bewegung von aktuellen Corona-Beschränkungen mit der Verfolgung von Juden während des Nationalsozialismus scharf kritisiert. "Die zunehmenden Vergleiche von Protestierenden gegen die Corona-Maßnahmen mit Opfern des Nationalsozialismus verhöhnen die tatsächlichen Opfer und relativieren die Schoah", sagte er.
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte: "Wenn jemand öffentlich das eigene Handeln als Demo-Anmelderin und vermeintliche Widerständlerin mit dem mutigen Handeln von Sophie Scholl vergleicht, dreht sich mir der Magen um."
Vergleiche mit Sophie Scholl und Anne Frank
Am Samstag hatte eine junge Frau, die sich als "Jana aus Kassel" vorstellte, auf einer "Querdenken"-Bühne in Hannover gesagt: "Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde." Sophie Scholl und ihr Bruder Hans Scholl gehörten zur Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Sie wurden 1943 wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hingerichtet.
Eine Woche zuvor hatte eine Elfjährige auf einer "Querdenken"-Bühne in Karlsruhe die Tatsache, dass sie ihren Geburtstag nicht wie gewohnt feiern konnte, in Beziehung gesetzt zum Schicksal von Anne Frank, die sich in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nationalsozialisten versteckte hatte und später im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam.
Vorgänge zeigten Notwendigkeit von Bildung
Der Antisemitismusbeauftragte Klein sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Dienstag): "Der Holocaust ist kein Abziehbild für jedwede Opfergefühle."
Die jüngsten Vorgänge in Hannover und Karlsruhe zeigten vielmehr, wie wichtig Bildung sei. "Wer über Anne Frank und Sophie Scholl gut Bescheid weiß, wird kaum solch krude Verharmlosungen äußern."
Querdenker müssten nicht Guillotine, sondern höchstens Shitstorm fürchten
Pistorius nannte die "irrlichternden Äußerungen" einzelner Demonstrationsteilnehmer "zum Teil beschämend". Der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag) sagte er: "Zum Vergleich: Sophie Scholl verteilte 1943, zwischen SS- und Gestapo-Terror, in einer skrupellos mordenden und folternden Diktatur Flugblätter, wurde im Schnellverfahren von gleichgeschalteten Nazi-Gerichten zum Tode verurteilt und nach nur vier Stunden per Guillotine geköpft."
Sophie Scholl sei eine mutige Heldin, die kompromisslos für Freiheit und Menschlichkeit in einer menschenverachtenden Diktatur gekämpft habe, sagte der SPD-Politiker: "Die Demonstranten der 'Querdenker'-Demos kämpfen in einer der freiheitlichsten Demokratien der Welt dafür, beim Samstagseinkauf keine Maske tragen zu müssen und haben dabei schlimmstenfalls einen Twitter-Shitstorm zu fürchten. Diese Form von Geschichtsvergessenheit und die schamlose Selbstbezogenheit vieler 'Querdenker' und ähnlicher Verbindungen machen mich wütend."
"Querdenker" entwickelten sich sektenähnlich
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, es gelte genau hinzusehen, welche "Verbindungen und Verflechtungen es zwischen AfD und 'Querdenkern' gibt". Er habe kein Problem mit anderen Meinungen: "Natürlich haben wir alle Verständnis und Respekt für die kritischen Fragen derer, die durch Corona in ihrer Existenz bedroht sind."
Bei "Querdenkern", Rechtsextremen, "Reichsbürgern" und Verschwörungstheoretikern mit antisemitischem Hintergrund höre die Toleranz aber auf, sagte Söder dem "Donaukurier" und der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag): "Gerade die 'Querdenker' entwickeln sich sektenähnlich und isolieren normale Bürger in ihrer Verschwörungsblase." Absurde Selbstvergleiche mit Sophie Scholl oder die Gleichsetzung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz der NSDAP belegten das "verzerrte Weltbild" der Gruppe.
Bei der "Querdenken"-Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Samstag in Hannover hat eine Rednerin mit einem Auftritt als selbst ernannte "Sophie Scholl" heftige Reaktionen im Netz ausgelöst.
Auf einem Video, das bei Twitter bis zum Sonntagmorgen über 1 Million Mal angeklickt und mehrere Tausend Male kommentiert wurde, ist eine junge Frau zu sehen, die auf einer kleinen Bühne in der Nähe der Oper zum Publikum spricht sich dabei mit der von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpferin vergleicht.
Nach wenigen Sätzen taucht ein junger Mann vor der Bühne auf. "Für so einen Schwachsinn mache ich doch keinen Ordner mehr", protestiert er und reicht der Frau sein orangefarbenes Leibchen.
Es gehe hier um eine "Verharmlosung vom Holocaust", die "mehr als peinlich" sei. Die Rednerin entgegnet: "Ich habe doch gar nichts gesagt." Dann beginnt sie zu weinen und wirft ihr Mikrofon weg.
Polizisten erscheinen und geleiten den Mann von der Bühne weg. In einem später geposteten Ausschnitt ist die Frau erneut zu sehen. Sie gibt sich "schockiert, dass ich von einem Passanten, oder was auch immer, beleidigt wurde".
Viele Twitter-Nutzer markierten das Video mit "Gefällt mir", während des Auftritts der Frau ist vereinzelt Applaus zu hören. Doch in den Kommentarspalten gibt es auch Empörung und Ablehnung: Die Parallelen zu Sophie Scholl seien verantwortungslos.
Der junge Mann bekommt hingegen Zuspruch. Ein Nutzer etwa schrieb: "Respekt für den Ex-Ordner, der die Verhöhnung der realen Holocaust-Opfer erkannte und sich dagegen stellte."
Auch Bundesaußenminister Heiko Mass (SPD) kritisierte die Rednerin. "Wer sich heute mit Sophie Scholl (...) vergleicht, verhöhnt den Mut, den es brauchte, Haltung gegen Nazis zu zeigen", twitterte er am Sonntag. (dpa/22.11.2020)