Bischof Gerber warnt vor Radikalisierung: Erinnerung an 1938

Klarer Wertekompass wichtig

Der Fuldaer Bischof Michael Gerber warnt vor zeitgenössischem Extremismus. Eine Radikalisierung, "bei der Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens relativiert werden", sei offenbar schnell möglich.

Zerstörte Fenster der Kieler Synagoge nach der Reichspogromnacht (Foto von 1938) / © Stadtarchiv Kiel/Stadtarchiv_kiel (dpa)
Zerstörte Fenster der Kieler Synagoge nach der Reichspogromnacht (Foto von 1938) / © Stadtarchiv Kiel/Stadtarchiv_kiel ( dpa )

Gerade in unübersichtlichen Zeiten gelte es, "mit einem klaren Wertekompass unterwegs zu sein", schreibt Gerber in einem Gastbeitrag in der "Fuldaer Zeitung" (Samstag) vor dem Gedenken an die Novemberpogrome von 1938.

Warum radikalisieren sich Menschen?

Die Frage nach den Faktoren, die eine Radikalisierung ermöglichen, stelle sich auch heute, so der Bischof: "Wann haben sich welche Entwicklungsschritte vollzogen in jenen, die vor Kurzem die Attentate in Paris, Nizza oder Wien verübten?" Im Hinblick auf die Novemberpogrome von 1938 schreibt Gerber: "Vermutlich gab es auch unter jenen, die damals in Fulda das jüdische Gotteshaus zerstörten, solche, die noch wenige Jahre zuvor ohne Aversion an der Synagoge vorbeigekommen waren und ihre jüdischen Nachbarn freundlich gegrüßt hatten."

Die Novemberpogrome waren eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden in der Zeit vom 7. bis 13. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben.

Plakataktion gegen Antisemitismus ab Januar 2021

Beeindruckt zeigte sich Gerber von Schriftrollen, die er bei Besuchen in Synagogen gesehen habe. "Handgeschrieben erzählen diese den Menschen von wertvollen Erfahrungen - von der Geschichte Gottes mit seinem Volk." Das Vorlesen dieser Texte hätten Juden "als eine innere Kraft erfahren - gerade im Widerstand gegen Unterdrückung und drohende Vernichtung". Die anstehenden "dunklen Wochen des Jahres" und der Corona-bedingte Verzicht auf Freizeitaktivitäten könnten nach Ansicht des Bischofs eine Einladung sein, "jenen Geschichten eine besondere Aufmerksamkeit zu geben".

Am Freitag hatten die katholische und die evangelische Kirche eine bundesweite Plakatkampagne gegen Antisemitismus angekündigt. Die ökumenische Aktion "#beziehungsweise: jüdisch und christlich - näher als du denkst" soll im Januar starten. Damit sollen Gemeinsamkeiten von Juden und Christen in Festen und im religiösen Leben aufgezeigt werden, "um gegen den zunehmenden Antisemitismus klar Stellung zu beziehen, der auch christliche Wurzeln hat".

 

Quelle:
KNA
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