Charta der United Nations vor 75 Jahren in Kraft getreten

Papiertiger oder die einzige Chance der Menschheit?

Die Kritik an politischen Organisationen auf Weltebene ist so alt wie die Idee, sie überhaupt zu schaffen. Papiertiger seien sie, ineffizient und uneins. Doch wo sind die Alternativen zu UNO und Haager Gerichtshof?

Autor/in:
Alexander Brüggemann
UN-Vollversammlung / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
UN-Vollversammlung / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Verachtung gegenüber dem Multilateralismus spricht derzeit aus jeder Pore der US-Außen- und Handelspolitik - und in China und Russland sieht es kaum besser aus. Donald Trump ist mit seiner "America first"-Politik aus ungezählten multinationalen Organisationen und Verträgen ausgestiegen: Pariser Klimaabkommen, Unesco, Haager Gerichtshof, Abrüstungsabkommen mit Russland, Atomabkommen mit dem Iran. Zuletzt kündigte er im Zuge der Corona-Pandemie der Weltgesundheitsorganisation WHO die Zusammenarbeit auf.

Es ist dieselbe Haltung, die einst die europäischen Großmächte dem Multilateralismus entgegenbrachten, als ihn vor gut 100 Jahren nämliche USA auf der Weltbühne zu etablieren versuchten. Damals, 1919, pfropfte ein US-Präsident, Woodrow Wilson, den unwilligen Großmächten des Alten Kontinents ein längst verschüttetes europäisches Instrument auf: miteinander im Gespräch zu bleiben, um Konflikte möglichst im Vorfeld zu entschärfen.

Und auch als im Juni 1945 in San Francisco 50 Gründungsnationen die Charta der Vereinten Nationen unterzeichneten, saß mit Harry Truman ein US-Präsident am Tisch. Da war der Zweite Weltkrieg im Pazifik noch gar nicht beendet - und die Vorgängerorganisation, der Völkerbund in Genf (1920-1946), noch gar nicht aufgelöst.

Konfliktbewältigung - Abrüstung - Sicherheit

Dessen Ziele waren gewesen, zwischenstaatliche Konflikte durch Schiedsgerichte beizulegen und Abrüstung und kollektive Sicherheit zu gewährleisten. Nach dem erschütternden Ersten Weltkrieg mit seinem Giftgas, seinen Abnutzungsschlachten und 17 Millionen Toten wollte die internationale Gemeinschaft 1918/19 ein Zeichen setzen: Nie mehr so ein Blutbad! Keine 20 Jahre später begann der Zweite Weltkrieg - mit diesmal 60 Millionen Toten.

Diesem neuerlichen, noch größeren moralischen Bankrott folgte nun also der Neubeginn in den Vereinten Nationen - und im beginnenden sogenannten Kalten Krieg zwischen Ostblock und Westen und ihren jeweiligen, oft postkolonialen Satellitenstaaten. Vor 75 Jahren, am 24. Oktober 1945, trat UN-Charta in Kraft - dies gilt als Gründungsdatum der UNO und wird als Tag der Vereinten Nationen begangen. Israel wurde 1949 Mitglied, Österreich 1955, die kommunistische Volksrepublik China erst 1971, die Bundesrepublik und die DDR 1973.

"Nie wieder Krieg"?

Symbol der Vereinten Nationen ist - neben ihrer blauen Flagge mit Erdkugel und Olivenzweigen - das 1951 vollendete Hauptquartier am New Yorker East River, für das der US-Milliardär John D. Rockefeller das Grundstück und die Stararchitekten Le Corbusier und Oscar Niemeyer die Architektur lieferten.

"Nie wieder Krieg" hat auch seither schlicht nicht stattgefunden - und die UNO mit ihren Blauhelm-"Friedenssoldaten" mehr als einmal eine klägliche Rolle gespielt; nicht nur bei den Massakern in Ruanda 1994 und im bosnischen Srebrenica 1995.

Doch angesichts all der Hunger- und Flüchtlingskrisen, des Klimawandels, regionaler Konflikte, Seuchen und Epidemien: Wer hätte Ende 2020 - bei allen Defiziten der bestehenden Strukturen - bessere Vorschläge zur Bewältigung globaler Probleme als ein möglichst großes Einvernehmen ihrer 193 Mitgliedstaaten?

Die Vorzeichen von einst scheinen heute freilich umgekehrt. Europas "Großmächte" Frankreich, Deutschland, mit Abstrichen Großbritannien, spielen heute international - leise, aber immerhin - auf genau dieser Klaviatur - während die amtierende US-Regierung kaum eine Chance auslässt, bereits erzielte Kompromisse zu unterminieren und ins Leere laufen zu lassen; von Wladimir Putins Russland, Jair Bolsonaros Brasilien und dem stets profitierenden Giganten China ganz zu schweigen. Was hätten sich wohl die US-Präsidenten Wilson und Trump 2020 in einem TV-Duell über die Außenpolitik unserer Tage zu sagen?

Zwischen Kompromissen und Finanzen

UNO-Generalsekretär zu sein, zählt wohl zu den unmöglichsten und frustrierendsten Jobs der Welt. Als Hütehund die auseinander strebenden Nationen beieinander zu halten und zu gültigen Beschlüssen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu bewegen, noch dazu kurzgehalten an der finanziellen Leine der Großmächte: Dieser ständige Spagat tut zwangsläufig selbst dem Geschmeidigsten weh.

Echte moralische Autorität konnten da - bei allem Bemühen - nur wenige ausstrahlen, so etwa der Schwede Dag Hammarskjöld (1953-1961) oder der Ghanaer Kofi Annan (1997-2006). Annan erhielt 2001, zu Beginn des dritten Jahrtausends, den Friedensnobelpreis - wohl auch stellvertretend für die so hilf- wie alternativlose Idee der "Vereinten Nationen" insgesamt.

 

Generalversammlung der Vereinten Nationen / © Richard Drew (dpa)
Generalversammlung der Vereinten Nationen / © Richard Drew ( dpa )

 

United Nations Emblem der Vereinten Nationen am Eingang zum Hauptquartier der UNO am Platz der Nationen in Genf / © Günter Vahlkampf (KNA)
United Nations Emblem der Vereinten Nationen am Eingang zum Hauptquartier der UNO am Platz der Nationen in Genf / © Günter Vahlkampf ( KNA )

 

UN-Hauptquartier am East River in New York / © Chris Melzer (dpa)
UN-Hauptquartier am East River in New York / © Chris Melzer ( dpa )
Quelle:
KNA
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