Bürgermeister Imamoglu auf Gegenkurs zu Präsident Erdogan

Istanbul renoviert christlich-orthodoxe Bauten

Mit der Umwandlung der Hagia Sophia machte der türkische Präsident Erdogan weltweit Schlagzeilen. Istanbuls Bürgermeister Imamoglu setzt gegenläufige Signale.

Autor/in:
Heinz Gstrein
Blick auf Istanbul / © Hassan Jamal (KNA)
Blick auf Istanbul / © Hassan Jamal ( KNA )

In den Anfangsjahren der Türkei stellten der Reformer Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) und seine ersten Nachfolger bedeutende christliche Heiligtümer wie die Hagia Sophia, die in osmanischer Zeit als Moscheen dienen mussten, unter Denkmalschutz und machten sie zu weltlichen Museen. Der heutige Machthaber in Ankara, Recep Tayyip Erdogan, geht den umgekehrten Weg: Nach einer Reihe frühchristlich-byzantinischer Gotteshäuser im Land machte er im Sommer sowohl die Hagia Sophia als auch die kunsthistorisch einmalige Chora-Kirche in Istanbul zu Moscheen und ließ ihre christlichen Mosaiken und Fresken verhüllen.

Renovierung christlicher Einrichtungen

In der Metropole am Bosporus regiert seit Juni 2019 wieder die von Atatürk gegründete Republikanische Volkspartei (CHP). Und dass sich Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu als Widerpart von Staatschef Erdogan versteht, zeigt sich in diesem Herbst auch an der Renovierung christlicher Einrichtungen.

Beispiel Hagia Paraskevi: Die orthodoxe Gnadenquelle am Goldenen Horn war im alten Konstantinopel ein vielbesuchter Heilungs- und Tröstungsort. Nach der osmanischen Eroberung 1453 blieb das Heiligtum erhalten. Seine Wunderkraft erfuhren auch viele Muslime, so dass es ein Ort christlich-islamischer Begegnung wurde. Erst im 20. Jahrhundert verfiel er im Zug der schleichenden Christenvertreibung aus Istanbul und der Abwanderung vieler Türken in modernere Viertel. Nun setzt die städtische Religionskommission mit der Wiederherstellung von Hagia Paraskevi aus öffentlichen Mitteln ein Zeichen gegen Erdogans Islamisierungspolitik.

Holzbauten in der Geschichte

Ein riesiges Renovierungsprojekt nimmt Imamoglu auf den Istanbul vorgelagerten Prinzeninseln mit dem ehemaligen Waisenhaus des Ökumenischen Patriarchats in Angriff, dem größten Holzbau Europas. Das osmanische Istanbul war jahrhundertelang eine Stadt der Holzhäuser. Das billige Baumaterial wuchs in den nahen Wäldern und musste nicht aus fernen Steinbrüchen herangeschafft werden. Holzbauten erwiesen sich auch als widerstandsfähiger bei den zahlreichen Erdbeben in der Region, wo die Kante zwischen Eurasischer und Anatolischer Erdplatte verläuft.

Andererseits war das hölzerne Istanbul anfällig für Stadtbrände. Das "Große Feuer" von 1633 verzehrte 20.000 Häuser. Im 19. Jahrhundert setzte sich mit dem Zuzug balkanromanischer "Kalfasi" (Poliere) der Steinbau durch. Ihr Holz war den Istanbulern aber so lieb geworden, dass sie die nun steinernen Häuser außen mit Brettern verschalten. Noch 1870 fielen im hauptsächlich von Griechen und Juden bewohnten Viertel Karaköy einem Brand 3.000 Gebäude und 1.300 Menschenleben zum Opfer. In den 1990er Jahren ging der heutige Präsident Erdogan als damaliger Bürgermeister daran, ein Armenviertel nach dem anderen mit seinen Holzhäusern abzureißen - ebenso 2013 den hölzernen Vahdettin-Pavillon des letzten Sultans Mehmet VI.

Griechisch-orthodoxes Waisenhaus auf der Prinzeninsel Büyükada

Ein anderes Meisterwerk des französisch-ottomanischen Architekten Alexandre Vallaury (1850-1921) steht noch, allerdings in bedrohlichem Zustand. Es wartet auf seine Renovierung und eine neue Verwendung: das griechisch-orthodoxe Waisenhaus auf der Prinzeninsel Büyükada. Vallaury hatte das sechsstöckige Gebäude mit 20.000 Quadratmetern Grundfläche in einem Pinienwald mit Meerblick ursprünglich für die Orientexpress-Gesellschaft gebaut. Es sollte ein Luxushotel mit Spielcasino werden, was aber Sultan Abdülhamid II. nicht gestattete.

Das Gebäude mit seinen 206 Räumen wurde einer sozialen Verwendung zugeführt und landete schließlich beim orthodoxen Patriarchat von Konstantinopel. Dieses machte es ab 1903 zum Waisenhaus, in dem rund 1.000 Mädchen und Jungen lebten und die Schule besuchten. Als Kirche diente das nahe Christus-Kloster.

1964 beschlagnahmte der türkische Staat das Gebäude - und gab es über Jahrzehnte dem Verfall preis. Nur der Kern ist stabil und trocken geblieben. Yani Kalamaris, von 1955 bis 1961 Lehrer im Waisenhaus: "Es war zweifellos einer der schönsten Orte Istanbuls. Es ist so schade, was aus dem Haus geworden ist."

Waisenhaus wird zu Umweltzentrum

Endlich erreichte das Patriarchat beim Europäischen Gerichtshof die Rückgabe des Waisenhauses. Die Instandsetzung würde jedoch geschätzt rund 70 Millionen Euro kosten. Nun hat sich Oberbürgermeister Imamoglu als Sponsor gemeldet. Mit städtischen Arbeitern und Holzbeständen kann er wesentlich billiger einspringen.

Für ein Waisenhaus besteht kein Bedarf mehr - doch soll auf Büyükada ein internationales Umweltzentrum entstehen. Ganz im Sinn von Bartholomaios I., dem ökologisch engagierten "Grünen Patriarchen" von Konstantinopel. Seit Anfang Oktober ist eine städtische Renovierungskommission in dem Holzbau am Werk.


Quelle:
KNA