Die Rolle der Christen bei den US-Wahlen

Weiß, christlich, autoritär

Bei keiner Wählergruppe hat US-Präsident Trump mehr Rückhalt, als bei konservativen weißen Christen. Warum wählen die einen Mann, für den der Glaube offenbar nur ein Lippenbekenntnis ist? Der Religionssoziologe Philip Gorski hat nachgeforscht.

Symbolbild: US-Katholiken / © Cristian Gennari (KNA)
Symbolbild: US-Katholiken / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Kürzlich drohte ein katholischer Priester aus Wisconsin seinen Gläubigen, wer die Demokraten unterstütze, komme in die Hölle. Rückendeckung bekam er dabei von dem texanischen Bischof Joseph Strickland. Sind das Einzelfälle oder stehen die beiden für einen Teil der Katholiken in den USA?

Prof. Philip Gorski (US-Amerikaner und Professor für Soziologie an der Yale University): Das passiert nicht ständig, aber es sind auch keine Einzelfälle. Die meisten Pastoren und Priester predigen keine Wahlempfehlungen von der Kanzel herab. Es gibt einige wenige, sehr bekannte Prediger, wie Jerry Falwell Jr. oder Franklin Graham, die im Fernsehen oder Radio eindeutig politisch Position beziehen und Einfluss ausüben. Aber der Meinung, dass man durch Wahlentscheidungen auch Heilsentscheidungen trifft, begegnet man häufiger.

DOMRADIO.DE: Aber es gibt Gläubige, die das ernst nehmen und wirklich glauben, dass sie in Hölle kommen, wenn sie die falsche Partei wählen?

Gorski: Ja und es gibt zunehmend das Phänomen, dass sich religiöse und parteipolitische Identität decken. Das gab es in den vergangenen Jahrzehnten nicht, wenn man sich zum Beispiel Umfragen aus den 1970er Jahren anschaut: Damals konnte man nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde voraussagen, wie eine Person wählt. Heute kann man das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit. Das hat damit zu tun, dass zum einen die Republikaner sehr systematisch die Evangelikalen in ihre Politik integriert haben, zum Beispiel in Fragen der Sexualmoral, der Familienwerte und beim Thema Abtreibung.

Zum anderen ist das aber auch ein Geben und Nehmen. Prediger wie Jerry Falwell Sr. sind auf diese Weise erst richtig prominent und einflussreich geworden, weil sie Bündnisse mit den Republikanern eingegangen sind. Die Verflechtungen sind so eng, dass mittlerweile schon der Witz kursiert, dass "GOP" nicht für "Grand Old Party" ("große alte Partei" = Republikaner) steht, sondern für "God's own Party", also "Gottes eigene Party". Und so sehen das auch manche.

DOMRADIO.DE: Aber warum binden sich die Evangelikalen so eng an US-Präsident Donald Trump, der mit seiner Lebensweise, seiner Wortwahl und der Zahl seiner Ehen schon mehrfach bewiesen hat, dass Religion für ihn keine sonderliche Bedeutung hat – es sei denn, sie nutzt ihm?

Gorski: Es gibt diejenigen, die ihn wirklich für einen gläubigen Christen halten und ihm einen etwas naiven, kindlichen Glauben zugestehen. Manche halten ihn sogar als von Gott gesandt, damit er die Gläubigen in den USA befreit. Und es gibt andererseits viele, die ihm das zwar alles nicht so recht abnehmen, in ihm aber eine Art starken Beschützer sehen, weil sie sich in in der US-Gesellschaft unterdrückt und an den Rand gedrängt fühlen.

DOMRADIO.DE: Bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen hat Donald Trump mehr Stimmen von evangelikalen Christen erhalten als je ein Kandidat zuvor. Bedeutet das, dass Religionszugehörigkeit bei diesen Wahlen eine große Bedeutung hat?

Gorski: Ja und nein, denn einerseits nimmt auch in den USA die Zahl der Nicht-Gläubigen zu. Schätzungen zufolge bezeichnet sich ein Viertel der Gesamtbevölkerung als atheistisch. Das merkt man vor allem bei den Demokraten, bei denen Religion eine abnehmende Rolle spielt. Noch zu Obamas Zeiten hätte man sich schwer getan, einen Atheisten als Präsident zu haben, aber mittlerweile ist das denkbar. Bei den Republikanern hingegen nimmt die Bedeutung von Religion immer weiter zu, weil sie sich als weiße christliche Partei definieren. Christen machen mittlerweile die überwiegende Mehrheit ihrer Wähler aus. Weiße Christen tendieren zunehmend zu den Republikanern.

DOMRADIO.DE: Damit beschäftigen Sie sich auch in ihrem neuen Buch "Am Scheideweg. Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Trump". Darin diagnostizieren Sie den konservativen US-Christen zunehmend autoritäre Tendenzen, die durchaus das Potential haben, die Demokratie in den USA zu unterwandern. Wie meinen Sie das?

Gorski: Ich beobachte unter weißen, konservativen Christen eine schwindende Akzeptanz von Demokratie. Wenn sie sich zwischen ihren politischen Zielen und der Demokratie entscheiden müssten, würde die Entscheidung eher für die politischen Ziele ausfallen. Zugleich fühlen sie sich zunehmend von autoritären Führungsfiguren angezogen und das ist meines Erachtens der Scheideweg: Christentum und Demokratie drohen in den USA auseinander zu laufen. Und das wäre ein sehr folgenreicher Wendepunkt in der US-Geschichte.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie von Christen sprechen, meinen Sie dann vor allem die Evangelikalen oder auch die Katholiken? Spielen die auch eine Rolle bei der kommenden Wahlentscheidung?

Gorski: Sehr sogar, denn im Gegensatz zu den Evangelikalen sind die Katholiken heterogener und weniger nationalistisch. Und sie sind aufgrund ihrer religiösen Werte zwischen den Parteien hin- und hergerissen. Bei der Sexualmoral und dem Thema Abtreibung tendieren sie eher zu den Republikanern. Werte der christlichen Soziallehre finden sie eher bei den Demokraten vertreten. Laut den letzten Umfragen sieht es eher so aus, als würden US-Katholiken für Joe Biden stimmen.

DOMRADIO.DE: …..der ja auch der erste katholische Präsident seit John F. Kennedy wäre. Wie wichtig ist das?

Gorski: Das ist nicht ganz unwichtig, weil es eine große Wählergruppe ist und weil es eine Option für die politisch gemäßigten Christen ist. Für Wechselwähler könnte es ausschlaggebend sein, dass Biden gläubiger Katholik ist.

DOMRADIO.DE: Angenommen, Trump gewinnt am 3. November die US-Präsidentschaftswahl. Wie blicken sie dann in die Zukunft Ihres Landes?

Gorski: Dann sieht es düster aus. Ich fürchte wirklich, dass dann unsere Demokratie in Gefahr gerät. Trump hat immer wieder scheinbar im Scherz gesagt, er würde auch acht oder 12 Jahre Präsident bleiben, aber ich glaube, dass er das ernst meint. Wenn er noch mal gewählt wird, fürchte ich, dass auch 2024 und 2028 der Präsident Trump heißt. Dann lautet nur noch die Frage, ob Senior, Junior oder Ivanka.

Ich kann mir vorstellen, dass Trump die USA dann in eine polnische oder ungarische Richtung drängt und zunehmend seine Leute in Schlüsselpositionen von Politik, Justiz und Armee manövriert. In meinen Augen ist die Demokratie in den USA ernsthaft in Gefahr.

DOMRADIO.DE: Falls Biden gewinnt: Könnte er diesen Schaden an der Demokratie, den sie beobachten, reparieren?

Gorski: Es wurde so viel Schaden in den letzten vier Jahren angerichtet, das ist nicht in einer Amtszeit in Ordnung zu bringen. Aber ich hoffe, dass er die außenpolitischen Beziehungen wieder richtet und dass er die Wut und die Spaltung innerhalb der Gesellschaft überwindet.

Mit Blick auf unsere Zukunft habe ich mittlerweile wirklich Angst und ich bin nicht der Einzige. Besonders wichtig sind meines Erachtens die Wochen und Monate nach der Wahl. Dann ist die Frage, ob wirklich alle Wahlzettel richtig gezählt wurden und die Wahlmänner und -frauen korrekt ausgewählt wurden. Es kann so viel schief gehen. Und vor allem, wenn der Wahlausgang knapp ist, wird Trump das Ergebnis nicht anerkennen und ich befürchte Unruhen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Information: Philip Gorski ist Autor des Buches: "Am Scheideweg. Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Trump, (Orginaltitel: American Babylon. Christianity and Democracy Before and After Trump), Herder Verlag 2020, 224 Seiten, 24 Euro


Prof. Philip Gorski / © Philip Gorski (privat)
Prof. Philip Gorski / © Philip Gorski ( privat )

Die US-Präsidentschaftskandidaten: Joe Biden (l.) für die Demokraten und Donald Trump für die Republikaner / © Rourke/Semansky (dpa)
Die US-Präsidentschaftskandidaten: Joe Biden (l.) für die Demokraten und Donald Trump für die Republikaner / © Rourke/Semansky ( dpa )
Quelle:
DR