Migrationskrise spaltet Sizilien und Rom

"Mauer gegen Mauer"

Zwischen der italienischen Regierung und dem Regionalpräsidenten Siziliens ist ein erbitterter Streit über die Aufnahme von Bootsmigranten entbrannt. Nello Musumeci will alle Auffanglager der Insel dichtmachen.

Autor/in:
Alexander Pitz
Nächtliche Ankunft von Flüchtlingen (Archiv) / © Alessio Mamo (KNA)
Nächtliche Ankunft von Flüchtlingen (Archiv) / © Alessio Mamo ( KNA )

Die angespannte Lage an der EU-Außengrenze war wegen der Corona-Pandemie monatelang in den Hintergrund gerückt. Nun drängt die Migrationskrise mit Macht zurück in die Schlagzeilen. Mitverantwortlich dafür: der sizilianische Regionalpräsident Nello Musumeci. Mit einem drastischen Dekret hat er über Italien hinaus für Aufsehen gesorgt.

Es sieht die Schließung aller Aufnahmezentren der Mittelmeerinsel für Bootsmigranten vor. "Sizilien kann nicht länger unter dieser Invasion leiden", sagte er am Sonntag - und trieb damit einen seit Wochen schwelenden Streit auf die Spitze.

Musumeci gibt sich kämpferisch

Zwar räumte der rechtsgerichtete Politiker inzwischen ein, dass er im Grunde keine Handhabe hat, um seine Verordnung durchzusetzen: "Ich kann der Polizei keine Befehle erteilen." Doch auch nach ergebnislosem Ablauf der von ihm gesetzten Räumungsfrist am Montagabend um Mitternacht gibt er sich weiter kämpferisch.

In Dutzenden Stellungnahmen und Interviews lässt der 65-Jährige seinem Groll auf die Zentralregierung in Rom freien Lauf. "Wir haben schon im März Alarm geschlagen, doch unsere Warnungen sind einfach ignoriert worden", kritisierte er. Sizilien bestehe auf seinem Recht, "die Gesundheit der Insulaner und der Millionen von Touristen zu verteidigen".

Corona-Virus erschwert die Situation

Die Bedingungen auf der Insel seien angesichts der Virusgefahr völlig ungeeignet, die steigende Zahl der Bootsmigranten zu bewältigen, argumentiert Musumeci. Er rechnet vor, dass allein im Juli mehr als 7.000 in Sizilien angelangt seien, bis Mitte August weitere 3.000. Im gesamten Juli 2019 seien es dagegen nur rund 1.000 gewesen, ebenso im August des Vorjahres.

Zu den überfüllten Aufnahmezentren komme das Problem Hunderter Corona-Infektionsfälle hinzu. Er wolle sich gegen diese Zustände wehren, bekräftigte der Regionalregierungschef am Mittwoch. Andernfalls mache er sich der Unterlassung schuldig.

Räumung von Auffanglager geplant

Örtlichen Medienberichten zufolge wurde mittlerweile die Räumung eines Auffanglagers in Pozzallo in die Wege geleitet. Während Zeitungen über einen "Krieg" zwischen Sizilien und Rom mit verhärteten Fronten schreiben, gab sich das Innenministerium zunächst betont gelassen.

Das Musumeci-Dekret sei gegenstandslos, weil über Migrationsfragen auf nationaler Ebene entschieden werde.

Gesundheitliche Sicherheit

Das Ministerium von Luciana Lamorgese verlangte gemeinsame Anstrengungen aller Institutionen "nach dem Verfassungsprinzip verlässlicher Zusammenarbeit". Man habe sich stets darum bemüht, "die Auswirkungen des starken Migrationsdrucks auf Sizilien" zu mindern.

So seien seit Januar etwa 3.500 Migranten in andere Regionen verlegt worden. Auch in Gesundheitsfragen betrachte man die Sicherheit der einheimischen Bevölkerung als "vorrangiges Ziel". Es werde weiterhin eine "fruchtbare Zusammenarbeit" mit der Regionalregierung angestrebt, hieß es.

Kompetenzen überschritten

Doch die beschwichtigenden Worte halfen offenbar wenig. Nachdem Musumeci weiter auf Erfüllung seiner Forderungen besteht, kündigte die Regierung in Rom Rechtsmittel an.

Der Präsident Siziliens habe seine Kompetenzen überschritten, lautete die Begründung. Die Zeitung "Avvenire" schrieb, im Streit zwischen der Regional- und der Zentralregierung stehe jetzt "Mauer gegen Mauer".

Druck auf Rom nimmt zu

Auch wenn Musumeci mit seinem radikalen Dekret juristisch scheitern dürfte, hat er doch eines erreicht: Der Druck auf Rom, sich verstärkt im Sinne Siziliens mit der Migrationsproblematik zu beschäftigen, hat zugenommen.

Denn es sind nicht nur rechtsgerichtete Politiker wie Ex-Innenminister Matteo Salvini, die sich hinter den aufmüpfigen Sizilianer stellen. Pikanterweise unterstützen etliche sizilianische Bürgermeister der regierenden Demokratischen Partei ebenfalls seine Forderungen.

Bischöfe kritisieren das Vorgehen

Deutliche Kritik kommt dagegen nicht zuletzt von kirchlicher Seite. Die katholischen Bischöfe der Insel bezeichneten Musumecis Vorgehen als "aus Sicht des Evangeliums nicht akzeptabel".

Sie warfen ihm vor, die Komplexität der Probleme im Zusammenhang von Migration und Corona zu vereinfachen. Mit seiner Verordnung habe er ein "emotionales und oberflächliches Klima" geschaffen, das nicht zur Lösung beitrage.

"Logik des Sündenbocks"

Stattdessen folgten die einseitigen Maßnahmen gegen die Migranten einer "Logik des Sündenbocks". Musumeci indes ließ am Mittwoch alle Kritik an sich abprallen.

Er betonte, er sei sich seiner Verantwortung für die größte Region Italiens bewusst. Darum bleibe er dabei: "Sizilien darf nicht länger unter der Gleichgültigkeit Roms leiden."


Bootsflüchtlinge verlassen ein Schiff im Hafen von Palermo (Archiv) / © Igor Petyx (KNA)
Bootsflüchtlinge verlassen ein Schiff im Hafen von Palermo (Archiv) / © Igor Petyx ( KNA )

Migranten bei der Ankunft im Hafen von Augusta (Archiv) / © Alessio Mamo (KNA)
Migranten bei der Ankunft im Hafen von Augusta (Archiv) / © Alessio Mamo ( KNA )
Quelle:
KNA