Dom-Küsterin Judith Maurer über ihre Arbeit in der Karwoche

"Arbeitsintensiv und bewegend"

In der Karwoche gedenken die Christen des Leidens und Sterbens Jesu. Für Dom-Küsterin Judith Maurer eine besonders arbeitsreiche und intensive Woche - aber auch eine Zeit mit gleich mehreren berührenden Augenblicken im Kölner Dom.

Judith Maurer beginnt ihren Dienst immer mit einem Moment der Stille in der Sakramentskapelle. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Judith Maurer beginnt ihren Dienst immer mit einem Moment der Stille in der Sakramentskapelle. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wenn ich sage, Sie sind so etwas wie die Hausmeisterin im Dom, stimmt das?

Judith Maurer (Dom-Küsterin): Es ähnelt eventuell ein bisschen der Hausmeistertätigkeit und trotzdem ist es grundlegend verschieden. Man hat viel - das hat der Hausmeisterberuf auch - mit Dingen zu tun, die man gar nicht sieht, wenn sie vorbereitet, nachbereitet und in Ordnung gebracht werden. Und trotzdem umfasst gerade den Küsterberuf auch in diesen Tagen neben Dingen um die Kirche herum und allgemeinen Dingen wirklich auch das inner-liturgische Geschäft. Und das unterscheidet einen ganz deutlich vom Hausmeisterberuf, weil es um sakrale Gegenstände geht und wirklich auch um Sakramente. 

Viele Wege zwischen Sakristei und den Altären legt Judith Maurer im Laufe eines Morgens zurück. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Viele Wege zwischen Sakristei und den Altären legt Judith Maurer im Laufe eines Morgens zurück. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Ist die Karwoche für Sie tatsächlich die arbeitsreichste Woche des Jahres? Kann man das sagen? 

Maurer: Sie ist eine der intensivsten Wochen oder mit die intensivste Woche. Die Woche zwischen Weihnachten und dem Neujahrsfest bzw. Epiphanie ist bei uns am Dom durch die besondere Struktur des ewigen Gebetes am 1. Januar auch extrem. Aber die Heilige Woche, die ja dann mit dem Palmsonntag beginnt und mit dem Ostersonntag - der Auferstehung Jesu - ihren Höhepunkt findet, ist schon eine sehr intensive Woche, weil wirklich besondere Heilsgeheimnisse ihren eigenen Tag haben, der sich dann auch in den Kirchen widerspiegelt. 

DOMRADIO.DE: Palmsonntag und Chrisammesse haben Sie schon hinter sich. Ist das aus Ihrer Sicht gut gelaufen in diesem Jahr? 

Maurer: Ja, wir waren ganz zufrieden. Es ist reibungslos gelaufen. Für uns ist immer das Wichtigste, wenn die Liturgie so gefeiert werden kann, dass die Leute, die sich da versammeln bzw. auch über die Medien teilnehmen, in diese Feier mit hineingenommen werden und sich wirklich auch öffnen lassen für das, was in diesen Feiern gefeiert wird. 

DOMRADIO.DE: Wie geht es jetzt weiter? Gründonnerstag steht vor der Tür mit der Feier vom letzten Abendmahl. In der Messe verstummt ja dann die Orgel bis Ostern und danach muss der Blumenschmuck abgeräumt werden. Da ist eine Menge Arbeit, nehme ich an.

Judith Maurer, Dom-Küsterin

"Für uns ist immer das Wichtigste, wenn die Liturgie so gefeiert werden kann, dass die Leute, die sich da versammeln bzw. auch über die Medien teilnehmen, in diese Feier mit hineingenommen werden."

Maurer: Ja, jetzt verdichten sich die Tage. Am Gründonnerstag fängt das Triduum Sacrum an - diese heiligen drei Tage, mit dem letzten Abendmahl, Verrat, dem Tod, der Hinrichtung Jesu, der Grabesruhe zwischen dem Karfreitag in der Sterbestunde und dem Karsamstag in der Osternacht, bis es dann in die Auferstehung geht. Da verdichtet sich alles. Am Gründonnerstag, bei der Feier des letzten Abendmahles brennen noch die Kerzen, da wird die Eucharistie eingesetzt. Da muss auch vorbedacht werden, dass für die Kommunion-Austeilung - das ist in dem Fall eine Wegzehrung, keine Abendmahlsfeier - die Kommunion mit konsekriert wird. Denn es ist eigentlich eine einzige Feier. Sie wird auf drei Tage verteilt, aber im Grunde genommen ist es eine Feier vom Abendmahls-Abend bis in der Osternacht 

DOMRADIO.DE: Gucken wir noch mal auf den Karfreitag. Das ist ja ein ganz zentraler Tag. Da haben Sie gleich zwei Termine hier im Dom zu stemmen - vormittags den Kreuzweg und dann ab 15 Uhr die Feier vom Leiden und Sterben Christi. Was gilt es da für Sie zu beachten? 

Judith Maurer legt das Messbuch für den Zelebranten auf den Altar. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Judith Maurer legt das Messbuch für den Zelebranten auf den Altar. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Maurer: Die Feiern an sich sind eigentlich vom küsterlichen Aufwand her verhältnismäßig überschaubar, weil es keine Eucharistiefeiern sind. Und trotzdem sind sie anstrengend. Das empfinden auch Priester so, weil diese Feiern völlig anders aufgebaut sind. Der Karfreitag ist auch deshalb anstrengend, weil am Gründonnerstag nach der Messe grundsätzlich alles aus den Kirchen heraus geräumt wird. Am Karfreitag morgens dürfen weder Blumen da sein, noch Altardecken auf den Altären oder Kerzen. Das Weihwasser ist aus den Becken genommen. Die Kirchen sind absolut kahl, die Tabernakel sind geöffnet. An diesem Tag reinigt man dann viele Sachen. Das kriegen die Leute gar nicht mit. Weil die nämlich dann heraus geräumt sind, macht man viele Begleitarbeiten. Nach dieser Karfreitagsliturgie ist für viele Gläubige dann eine ruhige Zeit. Für uns geht es richtig los. Dann werden nämlich bei uns im Dom, aber auch überall in den Pfarreien, die Kirchen sofort auf Ostern vorbereitet. Dafür hat man allein am Samstag keine Zeit. 

DOMRADIO.DE: Was haben Sie dann zu tun?

Maurer: Wenn die Karfreitagsliturgie gelaufen ist, geht es los bei uns. Dann kommen die ganzen Kerzenleuchter auf die Altäre. Am Hochaltar haben wir allein 24 Kerzenleuchter, da kommen dann 24 Kerzen drauf. Einfach draufstellen geht auch nicht. Da müssen die Abstände stimmen, die müssen alle gerade stehen aus mehreren Perspektiven. Mit zwei Leuten kann man da durchaus zwei Stunden brauchen, auf dem großen Altar. Das macht man sich gar nicht klar. Es kommen Teppiche in den Altarraum. Der Florist kommt und fängt an, alles mit Blumen zu schmücken. Woanders trägt man die Blumenkübel rein und stellt sie an die richtigen Orte. Frische Altardecken werden aufgelegt. Es werden Kleinigkeiten vorbereitet, die sonst nicht ins Gewicht fallen. Das ist der große Behälter, in dem das Osterwasser geweiht wird. In der Form, dass in der Osternacht die Osterkerze dreimal in das Wasser getaucht wird. Ein ganz feierlicher Moment. Auch solche Dinge müssen vorbereitet werden. Und es gibt auch viele Kollegen bei uns am Dom, die helfen. In den Pfarreien machen das viele Küsterkollegen selber. Wir haben eine Goldschmiedin, die die ganzen Dinge auf Hochglanz poliert. Unsere Reinigungskräfte helfen uns bei vielen Putzarbeiten, weil man es alleine alles in der Masse nicht stemmen könnte. 

DOMRADIO.DE: Gibt es denn für Sie persönlich erfahrungsgemäß in dieser besonderen Zeit einen Augenblick, der Sie besonders bewegt?

Judith Maurer, Dom-Küsterin

"Es geht ja nicht um eine Reflexion dessen, was damals passiert ist. Es ist ja ein Geheimnis, was bis in die heutige Zeit gültig ist und aktuell ist."

Maurer: Es sind im Grunde genommen mehrere Augenblicke, die einen immer wieder berühren. Das fängt in den liturgischen Feiern schon an, die haben alle ihren ganz eigenen Schwerpunkt. An Palmsonntag ist das dieser brüllende Jubelruf des Hosianna, wenn Christus in Jerusalem einzieht. Die Liturgie vollzieht es ja mit und stellt das in besonderer Weise in den Mittelpunkt. Am Gründonnerstag bewegt mich immer, wenn dann das Evangelium von der Einsetzung des Abendmahls verlesen wird. Es geht ja nicht um eine Reflexion dessen, was damals passiert ist. Es ist ja ein Geheimnis, was bis in die heutige Zeit gültig ist und aktuell ist. Und da kann man sich mit hineinnehmen lassen und innerlich auch fragen: Was hat es mit mir zu tun? Und am Karfreitag ist es für mich immer ein Schauer, die Passion zu hören. Wenn man dieser Passion lauscht, stellt man fest: So großartig hat sich die Menschheit nicht geändert.

Karwoche 2022

Die letzte Woche vor Ostern wird auch als Karwoche bezeichnet. Das Wort "Kar" stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet "Trauer", "Klage" oder "Kummer". Die Karwoche beginnt mit dem Palmsonntag: In Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem versammeln sich normalerweise die Gläubigen zur Segnung der Palmen - in Deutschland meist Buchsbaumzweige - und ziehen dann in einer Prozession zum Gotteshaus. Dieser Brauch und viele andere mussten in den letzten beiden Jahren wegen der Corona-Krise entfallen oder konnten nur sehr eingeschränkt stattfinden.

Symbole der Karwoche: Palmzweige, Ölgefäße, Taufschale / © Corinne Simon (KNA)
Symbole der Karwoche: Palmzweige, Ölgefäße, Taufschale / © Corinne Simon ( KNA )

Die Kirchen haben auch ihr eigenes Gesicht an diesen Tagen. Am Gründonnerstag ist es so eine Feierlichkeit, die das letzte Abendmahl widerspiegelt. Am Karfreitag dann brennt kein elektrisches Licht. Die Kerzenständer sind weggeräumt oder kahl, die Kirchen spiegeln eine sonst nie anwesende Kargheit wider. Ab der Osternacht blüht man jedes Mal innerlich auf, wenn man diese in österlicher Frische und Freude geschmückten Kirchen sieht. Das ist auf dem ganzen Erdenrund. Da machen sich viele Leute viel Mühe und es ist Lebensfreude pur, die einen ab der Osternacht in den Kirchen erwartet. 

DOMRADIO.DE: Sie haben jetzt gesagt, viele Leute machen sich viel Mühe. Zu diesen Leuten gehören Sie wirklich auch. Und Sie haben ja auch gesagt, Sie machen ganz viele Sachen, die den Gläubigen gar nicht so großartig auffallen, die aber wichtig sind. Fühlen Sie sich dann ein bisschen als Teil des Ganzen? 

Maurer: Ja. Irgendwie geht man in dieser Sache auch dahingehend auf, weil jedes kleine Einzeldetail in der Liturgie, was in Einzelnen gar nicht groß beachtet wird, wichtig ist. Das ist auch meine Erfahrung aus den früheren Zeiten in einer Kirche, wo man vieles sogar noch selber gemacht hat. Ob es ein Glas auf einem Leuchter ist, den nimmt man niemals wahr. Aber man nimmt ihn in die Hand und man weiß, dieser Leuchter begleitet feierlich das Evangelium. Oder früher, wenn man das Rauchfass selber gereinigt hat. Man weiß, wann die Dinge zum Einsatz kommen. Heute haben wir dankenswerterweise liebe und sehr kompetente Kolleginnen und Kollegen, die uns da unterstützen. Die übernehmen viele Arbeiten, die wir nicht mehr tun, weil wir für den inneren Kern der Liturgie zuständig sind. 

DOMRADIO.DE: Jetzt sprechen wir in der Karwoche 2022 und die muss leider unter ziemlich unschönen Rahmenbedingungen stattfinden. Die Corona-Pandemie ist nicht wirklich vorbei und außerdem herrscht Krieg. Hat das einen Einfluss auf Ihre Arbeit? 

Maurer: Wir merken es in einer Hinsicht schon. Jetzt nach Corona spiegelt sich das zum Beispiel darin wider, dass die Gottesdienste nicht mehr so voll sind. Es sind deutlich weniger Leute da. Das merkt man schon. Man braucht weniger Hostien, es sind weniger Schalen. In der Chrisammesse war das ganz deutlich spürbar: Als ich hier angefangen habe, hatten wir neben dem Kapitel, das beim Kardinal konzelebriert hat, noch die emeritierten Kapitulare. Da waren es allein schon bestimmt 20 Leute bei uns in der Sakristei, die sich angezogen haben, wenn nicht noch mehr. Und die ganzen Kreis- und Stadtdechanten beliefen sich draußen auf etwa 35 bis 40 Priester, die dann auch konzelebriert haben. Und dieses Mal waren wir in der Summe 34 Konzelebranten. Das merkt man dann schon an dem Arbeitsaufwand, der damit verbunden ist. Es werden Gewänder ausgelegt und alles mögliche. Da spüren sie das, ob sie 30 mehr oder 30 weniger haben. 

DOMRADIO.DE: Merken Sie auch atmosphärisch etwas vom Krieg?

Maurer: In unserer Arbeitsweise an sich nicht. Es gab natürlich einen Sondergottesdienst mit der ukrainisch-orthodoxen katholischen Gemeinde, die bei uns im byzantinischen Ritus einen sehr bewegenden Gottesdienst gefeiert hat - dankenswerterweise viel in deutscher Sprache, so dass man auch verstehen konnte, was gesungen wurde. Wir haben ein Friedensgebet mittags. Um 19 Uhr, zum Abendläuten, wird auch um den Frieden gebetet. Da merken wir das. Aber arbeitstechnisch fällt das bei uns im Vergleich zu den anderen liturgischen Feiern jetzt nicht in besonderer Weise auf. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR