So reagiert die Kirche auf die Eskalation in den USA

Zum Schweigen gezwungen?

In den USA gehen Grenzpolizisten gegen Demonstranten vor: Ein Wahlkampfmanöver von Donald Trump, sagt der Pressesprecher des Erzbistums Freiburg und USA-Kenner Michael Hertl – und erklärt, warum die katholische Kirche im Wahlkampf schweigt. 

Ein Demonstrant streckt während eines Protests seine Faust in die Höhe / © Ben Gray (dpa)
Ein Demonstrant streckt während eines Protests seine Faust in die Höhe / © Ben Gray ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben oft Bischöfe auf Reisen in die Vereinigten Staaten begleitet. Hätten Sie gedacht, dass Sie mal solche Bilder zu sehen bekommen, in denen die Bundespolizei gegen Demonstranten vorgeht?

Michael Hertl (Pressesprecher der Erzdiözese Freiburg): Ich hätte mir das nicht vorstellen können. Trump hat eine Sondersituation geschaffen, in der einiges sehr eskaliert und in der amerikanische Werte und Zustände herrschen, die ich mir nie hätte vorstellen können.

DOMRADIO.DE: Trump gießt einmal mehr bewusst Öl ins Feuer. Das kennen wir eigentlich von ihm. Aber ist das tatsächlich nochmal eine neue Eskalationsstufe?

Hertl: Ich sehe das schon so. Man muss das vor allem im Hinblick auf den Wahlkampf sehen. Er betreibt eigentlich mit allem, was er tut, ständig Wahlkampf. Auch die Entsendung von Bundespolizei oder Grenzschutzpolizisten in die Städte ist eigentlich Wahlkampf, weil er damit von den eigentlichen Problemen ablenkt.

DOMRADIO.DE: Es ist aber ein etwas anderer Wahlkampf als gewöhnlich, oder?

Hertl: Wir haben es ja gesehen: Als er seinen Wahlkampf eröffnen wollte, hat er die Halle nicht voll bekommen. Das heißt, es sind Corona-Bedingungen – auch in den USA. Es sind auch große Versammlungen nicht mehr möglich, die er ja so liebt, um Stimmung zu machen, um sich mit seinen Fans zu umgeben. Das kann er alles gerade nicht. Der Konkurrent kann es auch nicht.

Aber gerade Trump, der ja, wie man weiß, narzisstisch veranlagt ist, braucht dieses Bad in der Menge. Das kann er zurzeit nicht genießen. Weil die Stimmung gerade sehr schlecht ist, weil die Wirtschaftsdaten sehr schlecht sind, muss er eben andere Mittel suchen. Eines der Hauptmittel ist die Ablenkung.

DOMRADIO.DE: Es ist auch ein ziemliches Hin-und-Her, das ihn ziemlich schlecht dastehen lässt. Zum Beispiel hat er jetzt die Corona-Briefings wieder aufgenommen.

Hertl: Die Briefings hat er meines Erachtens nur wiedereingeführt, weil er ja selbst gesagt hat: "Wir haben da einen guten Slot bekommen im Fernsehen." Damit ist er wieder bei den Leuten auf dem Bildschirm zu sehen. Er hat seine Experten auch weggelassen. Die saßen angeblich im Nebenraum. Für ihn ist bei diesen Briefings wichtig: Er steht wieder im Mittelpunkt. Er kann sich wieder darstellen. Das alles passt ins Bild.

DOMRADIO.DE: Wie reagiert denn speziell die katholische Kirche auf diese Entwicklung?

Hertl: Es sind verschiedene Bereiche, die man da trennen muss. Die Kirche muss sich auch auf die Corona-Bedingungen einstellen, was ihre Gottesdienst-Praxis angeht. Sie kann aktivieren, was sie an sozialen Initiativen anbieten kann: Menschen mit Nahrung zu versorgen, etwa. Der Bereich Wahlkampf ist ein bisschen schwierig, weil es in Amerika den Kirchen nicht erlaubt ist, sich in den Wahlkampf einzumischen.

Es gibt das sogenannte Johnson-Amendment, nach dem die Kirchen und andere gemeinnützige Einrichtungen Steuervorteile verlieren würden, wenn sie sich parteipolitisch positionieren. Das muss man wissen, wenn man sich beklagt, dass die Bischöfe sich nicht politisch genug äußern.

Was sie aber tun: Der Bischof von El Paso hat sich im Gedenken an George Floyd acht Minuten mit seiner Gemeinde hingekniet. Der Bischof von Washington, Wilton Gregory, hat ganz, ganz hart verurteilt, dass sich Trump mit der Bibel vor diese Kirche am Weißen Haus gestellt hat. Die Bischöfe sind schon bemüht, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu äußern – aber eher in Aktionen und ihrem Tun, als in ihren Äußerungen und Wahlempfehlungen. Die dürfen sie tatsächlich nicht abgeben.

DOMRADIO.DE: Gilt das auch für die anderen christlichen Gemeinschaften und die anderen Religionsgemeinschaften?

Hertl: Das gilt für die genauso. Da ist es interessant zu beobachten, dass selbst die evangelikalen Kirchen zunehmend von Trump abrücken. Die Führer dieser Kirchen haben sich zum Beispiel kritisch gegenüber dieser Bibel-Aktion geäußert. Auch in Meinungsumfragen zeigt sich, dass selbst die traditionell-evangelikalen Christen immer weniger dem zustimmen, was Trump gerade tut.

Bei den Katholiken ist es noch stärker. Soviel ich weiß, war es Anfang des Jahres noch eine Mehrheit, die gesagt hat: Trump macht das eigentlich ganz gut. Mittlerweile hat sich diese Zahl fast halbiert.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass nach dem Wahlkampf ein anderer Präsident an die Macht kommen könnte?

Hertl: Ich habe da ganz große Hoffnungen. Die Zahlen sprechen eigentlich dafür. Eigentlich ist es fast nur eine Frage, ob die Demokraten nicht sogar auch die Mehrheit im Senat bekommen. Es stehen auch ein Drittel der Senatorenplätze zur Wahl. Man weiß allerdings auch, dass Trump sehr unberechenbar ist – und es kann noch viel passieren. Nach dem Labor Day im September geht es richtig los.

Ich glaube nicht, dass die Wirtschaft wieder anzieht. Das wird er wohl nicht schaffen in dieser kurzen Zeit. Aber Trump hat einfach ein Gespür für Öffentlichkeit, für öffentliches Wirken – auch in den Medien. Die Sache ist noch nicht durch.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


USA-Kenner und Journalist Michael Hertl (privat)
USA-Kenner und Journalist Michael Hertl / ( privat )

USA, Portland: Bundespolizisten treiben um Demonstranten von "Black Lives Matter" auseinander / © Noah Berger/AP (dpa)
USA, Portland: Bundespolizisten treiben um Demonstranten von "Black Lives Matter" auseinander / © Noah Berger/AP ( dpa )
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DR