Merkel besucht erstmals Gedenkstätte Auschwitz

"Ich empfinde tiefe Scham"

Bundeskanzlerin Merkel hat erstmals in ihrer Amtszeit das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besucht und der dort ermordeten Menschen gedacht. Die Verantwortung der Deutschen für den Holocaust werde niemals enden, betonte die Regierungschefin in ihrer Rede.

Bundeskanzlerin Merkel im KZ Auschwitz / © Robert Michael (dpa)
Bundeskanzlerin Merkel im KZ Auschwitz / © Robert Michael ( dpa )

Bei einem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur bleibenden deutschen Verantwortung für den Holocaust bekannt. "Auschwitz war ein deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager", sagte Merkel am Freitag in Auschwitz. Die Verantwortung der Deutschen werde niemals enden. "Sie ist nicht verhandelbar. Sie ist fester Teil unserer Identität", sagte die Kanzlerin in ihrer Rede.

Merkel besuchte erstmals in ihrer Amtszeit das frühere Konzentrationslager und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in Polen. Nur zwei Bundeskanzler waren vor Merkel in Auschwitz: Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU). Vor ihrer Rede machte Merkel gemeinsam mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki einen Rundgang durch die Gedenkstätte.

Gedenken an sechs Millionen umgebrachte Juden 

Gemeinsam durchschritten sie das Tor mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei" und legten Kränze an der sogenannten Todeswand nieder. Vor der Mauer wurden Tausende Todesurteile vollstreckt. Offizieller Anlass für Merkels Besuch war das zehnjährige Bestehen der Stiftung Auschwitz-Birkenau.

Merkel sagte zu Beginn ihrer Rede, dass es ihr alles andere als leicht falle, an diesem Ort zu stehen. "Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen begangen wurden." Sie erinnerte an die sechs Millionen Juden, die in der NS-Zeit in Europa ermordet wurden, aber auch an andere verfolgte Gruppen wie Sinti und Roma, Widerstandskämpfer oder Menschen mit Behinderungen.

Ferner erinnerte Merkel daran, dass das heutige jüdische Leben in Deutschland und die guten Beziehungen zu Israel keine Selbstverständlichkeiten seien. Gerade in diesen Tagen sei das keine Rhetorik, sagte die Bundeskanzlerin. Die grundlegenden Werte des Grundgesetzes, Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, müssten aktuell geschützt und verteidigt werden, mahnte die Kanzlerin; denn "wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten".

Es handele sich um einen "Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus". Jüdisches Leben werde in Deutschland und Europa bedroht. Wörtlich sagte Merkel: "Wir dulden keinen Antisemitismus. "Alle Juden müssten sich jedoch in Deutschland und in Europa sicher fühlen, betonte Merkel. Die Kanzlerin mahnte, die Augen und Ohren nicht zu verschließen, wo Menschen angepöbelt, erniedrigt oder ausgegrenzt würden: "Wir müssen denen widersprechen, die gegen Menschen anderen Glaubens oder anderer Herkunft Vorurteile und Hass schüren." 

Auschwitz stehe für das "größte Menschheitsverbrechen"

An dem Festakt nahmen auch einige ehemalige Häftlinge des KZ teil. Merkel bedankte sich bei ihnen dafür, dass sie von ihren leidvollen Erfahrungen berichteten, damit Jüngere daraus lernen: "Sie bringen den Mut und die Kraft zur Versöhnung auf. Sie zeigen wahrhaft menschliche Größe."

Merkel sagte, Auschwitz stehe wie kein anderer Ort für das "größte Menschheitsverbrechen" und "verpflichtet uns, die Erinnerung wachzuhalten". Der Name Auschwitz stehe für den "millionenfachen Mord an den Jüdinnen und Juden Europas, für den Zivilisationsbruch der Schoah, dem sämtliche menschlichen Werte zum Opfer fielen". Merkel nannte auch den "Völkermord an den Sinti und Roma" sowie das Leid und die Ermordung von Polen, Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, Homosexuellen und Menschen mit Behinderungen.

Allein im Lagerkomplex Auschwitz seien mindestens 1,1 Millionen Menschen "planvoll und mit kalter Systematik" umgebracht worden. "Jeder dieser Menschen hatte einen Namen, eine unveräußerliche Würde, eine Herkunft, eine Geschichte", so die Kanzlerin. "Auschwitz war eine deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager." Die Täter deutlich zu benennen, sei wichtig. "Das sind wir Deutschen den Opfern schuldig und uns selbst."

"Wir sind verpflichtet, diese Erinnerung weiterzutragen"

Polens Ministerpräsident Morawiecki appellierte in seiner Ansprache, die Erinnerung über die Verbrechen von Nazi-Deutschland wachzuhalten. "Wir sind verpflichtet, diese Erinnerung weiterzutragen", sagte Morawiecki. Zu den Rednern zählte neben Kanzlerin Merkel und dem polnischen Regierungschef auch der Auschwitz-Überlebende Bogdan Stanislaw Bartnikowski. Er erzählte von seiner traumatischen Zeit in Auschwitz. Als damals Zwölfjähriger wurde er mit seiner Mutter in das Konzentrationslager deportiert.

Kanzlerin Merkel traf in Auschwitz zudem den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder. Er dankte ihr für die 60 Millionen Euro, die Deutschland am Donnerstag als Unterstützung für den internationalen Fonds der Stiftung Auschwitz-Birkenau zugesagt hatte. Das Geld fließt in den Stiftungsfonds, aus dem der Erhalt der Überreste des ehemaligen Vernichtungs- und Konzentrationslagers finanziert wird. Kanzlerin Merkel sei eine geschätzte und zuverlässige Verbündete im Kampf gegen Antisemitismus, sagte Lauder.

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, begrüßte den Besuch der Kanzlerin. "Es ist ein Höhepunkt für die Überlebenden, die das als einen sehr bewusst gesetzten Akt der Solidarität mit ihnen empfinden", sagte Heubner dem Bayerischen Rundfunk. Am 27. Januar 2020 jährt sich die Befreiung von Auschwitz durch die sowjetische Armee zum 75. Mal. Der 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 und weltweit seit 2005 Holocaust-Gedenktag. In Auschwitz-Birkenau wurden 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen aus ganz Europa ermordet, die meisten von ihnen Juden.

Erster Besuch seit Helmut Kohl und Helmut Schmidt

Es war der erste Besuch eines deutschen Regierungschefs in Auschwitz seit 24 Jahren. Damals kam Helmut Kohl (CDU) in die Gedenkstätte. Die Kanzlerin begleiten in Auschwitz die Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Josef Schuster und Romani Rose. Als erster Bundeskanzler hatte 1977 Helmut Schmidt (SPD) die Gedenkstätte besucht. Kohl reiste 1989 und 1995 dorthin, hielt aber im Unterschied zu Schmidt und Merkel keine Rede.


Das Eingangstor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau  / © Nancy Wiechec (KNA)
Das Eingangstor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau / © Nancy Wiechec ( KNA )

Bundeskanzlerin Merkel bei einer Kranzniederlegung an der Todesmauer im KZ Auschwitz / © Robert Michael (dpa)
Bundeskanzlerin Merkel bei einer Kranzniederlegung an der Todesmauer im KZ Auschwitz / © Robert Michael ( dpa )

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen in Auschwitz / © Robert Michael (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen in Auschwitz / © Robert Michael ( dpa )
Quelle:
epd
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