Ergebnis und Folgen der Landtagswahl in Thüringen

"AfD will die Kirchen diskreditieren"

Von allen Spitzenkandidaten in Thüringen hatte Björn Höcke die niedrigsten Popularitätswerte. Trotzdem konnte die AfD ihr Ergebnis verdoppeln. Wie konnte das passieren und wie kann man der AfD begegnen? Dr. Matthias Quent über das Potential der Krise.

Die Sitzverteilung im Landtag nach der ersten Hochrechnung von der Landtagswahl in Thüringen / © Jörg Carstensen (dpa)
Die Sitzverteilung im Landtag nach der ersten Hochrechnung von der Landtagswahl in Thüringen / © Jörg Carstensen ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die AfD hat ihre Stimmen in Thüringen verdoppelt. Ist das für Sie überraschend gewesen?

Dr. Matthias Quent (Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Autor des Buchs "Deutschland rechts außen: Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können"): Nein, das war keine Überraschung, das war absehbar. Die Prognosen haben darauf hingewiesen – seit langer Zeit. Seit der Radikalisierung und dem Erstarken der AfD 2015/16. Insofern ist das natürlich eine erschreckende Zahl, diese Verdoppelung. Aber sie ist letztlich eine Angleichung an das, was wir auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern gesehen haben. Die letzten Landtagswahlen in Thüringen waren 2014, also vor 2015/16, als die Flüchtlingsdiskussion das Land polarisierte und die AfD mit Ressentiments und Angstmache massive Stimmengewinne auf sich vereinen konnte. Insofern ist der Vergleich zu 2014 nur bedingt sinnvoll. Aber in der Tat ist es natürlich ein großes Problem, eine große Herausforderung für die liberale demokratische Kultur, jetzt im Freistaat Thüringen mit einer derartig erstarkten AfD umzugehen.

DOMRADIO.DE: Björn Höcke gehört zum rechten Flügel der AfD. Hat seine Partei jetzt trotz Höcke oder wegen Höcke so viele Stimmen dazugewonnen?

Quent: Sowohl als auch. Björn Höcke polarisiert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Wählerschaft der AfD. Seine Beliebtheitswerte sind eigentlich gering. Aber das hat der AfD trotzdem keinen Abbruch getan für ihren Wahlerfolg. Sie ist genauso erfolgreich wie in Brandenburg, wo mit Andreas Kalbitz allerdings auch ein Flügelmann an der Spitze der AfD steht. Insofern ist auch diese Frage, wie weit Björn Höcke eigentlich rechts außen steht, in der AfD interessant. Denn Herr Gauland sagte gestern Abend: Höcke steht in der Mitte der AfD. Denn in der Tat ist es ja so, dass die Gesamtpartei massiv nach Rechtsaußen sich radikalisiert hat, auch unter dem maßgeblichen Einfluss von Björn Höcke. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die AfD als eine rechtsradikale Partei mittlerweile gewählt wird und dass selbst ein Narzisst und bisweilen auch ein Nazist wie ein Björn Höcke da keinen Abbruch tut.

DOMRADIO.DE: Da ist immer von Protestwählern die Rede, die bei der AfD ihr Kreuzchen machen. Ist das tatsächlich nur Protest, der die Menschen dazu bringt, diese Partei zu wählen?

Quent: Nein, das ist nicht nur Protest. Das ist eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise, nur von Protest zu sprechen. Da muss man immer auch fragen: Wogegen protestieren die eigentlich? Im Kern protestieren sie gegen eine Liberalisierung der Gesellschaft, gegen Gleichberechtigung, gegen Menschenrechte, gegen die Menschenwürde. Und wir sehen auch in Studien, die wir selber durchgeführt haben vor den Landtagswahlen in Thüringen, dass 71 Prozent der AfD-Wähler sagen, sie finden die AfD genau richtig. 26 Prozent sagen, sie sei etwas zu weit rechts, drei Prozent sagen: Sie ist sehr zu weit rechts. Das ist auch in Übereinstimmung mit verschiedenen anderen Studien, die zeigen, dass zwei Drittel bis drei Viertel der AfD-Wähler die AfD durchaus aufgrund ihrer politischen Agenda, ihrer politischen Programmatik wählen und nicht bloß als einen diffusen Protest gegen die anderen.

DOMRADIO.DE: Jetzt will keiner mit der AfD koalieren. Björn Höcke hat das gestern in mehreren Gesprächsrunden auch immer wieder kritisiert. Reicht es denn, gegen die AfD zu sein? Oder wie geht man mit dieser Partei am besten um? In der CDU wurden ja jetzt auch schon Stimmen laut, eine Koalition gar nicht mehr ganz auszuschließen.

Quent: Man sollte den Opfer-Inszenierungen von Björn Höcke da nicht auf den Leim gehen: Er sagt zwar, er möchte koalieren. Er schreibt aber in seinem Buch, dass er im letzten Jahr veröffentlicht hat, genau das Gegenteil. Er sagt: Es sei absurd, sich vorzustellen, mit den Volksverächtern der anderen Parteien gemeinsame Sache zu machen. Das muss man sich genau überlegen und dann abwägen, wie diese Äußerungen von Höcke einzuordnen sind, der genau weiß, dass es keine Chance darauf gibt, dass jemand mit ihm koaliert. Auch wenn in der CDU jetzt entsprechende Lockerungsübungen von einigen geäußert werden. Das kennen wir auch schon länger. Natürlich ist das Szenario, im Zweifelsfall mit der Linkspartei zusammenzugehen, für Teile der CDU erschreckend. So erschreckend, dass man sich dann überlegt: Haben wir nicht doch mit der AfD mehr gemeinsam? Und wenn man die Parteiprogramme vergleicht, dann muss man zu dem Schluss kommen: Da sind durchaus große Schnittmengen vorhanden – mehr als zur Linkspartei. Das kann allerdings nicht generell darüber hinwegtäuschen, dass die Linkspartei gerade in Thüringen ja eine staatstragende Partei und eine liberale Partei ist. Die AfD hingegen steht für das Gegenteil und auch in ihrer Wählerschaft versammelt sich das Gegenteil von dem, was wir in der Wählerschaft der CDU beispielsweise finden. Die AfD-Wähler sind massiv pessimistisch, was die Zukunft angeht. Sie sind rassistischer und antisemitischer, was die CDU-Wählerinnen und -Wähler signifikant weniger häufig sind. Da gibt es große Unterschiede.

DOMRADIO.DE: Da ist die Bürgergesellschaft jetzt natürlich auch gefragt, etwas dagegen zu setzen. Zur Bürgergesellschaft gehören auch die Kirchen. Was können die Kirchen denn tun? Und hört auf die überhaupt noch jemand?

Quent: Die Kirchen haben in Ostdeutschland das Problem, dass hier, wie es oft heißt, die atheistischste Region der Welt ist. Sie haben aber durchaus Einfluss. Das hat sich im Eichsfeld gezeigt, der im Grunde einzigen katholischen Region in Thüringen, wo die CDU ein sehr, sehr gutes Ergebnis abgelegt hat und wo auch der AfD-Spitzenkandidat Höcke angetreten ist, aber da verloren hat gegen einen CDU-Abgeordneten. Und das zeigt, dass es durchaus Einflussmöglichkeiten gibt. Die sind allerdings in Ostdeutschland ehrlich gesagt relativ beschränkt, weil die Kirchen hier schlicht nicht so stark sind. Nichtsdestotrotz ist es jetzt gerade wichtig, die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Wir haben ja nicht nur die parlamentarische Problematik, sondern das Problem, dass die AfD jetzt mit einer gestärkten Machtbasis alles daran setzen wird, die Kirchen zu diskreditieren, die Zivilgesellschaft, die Medien, die Wissenschaft zu verunglimpfen, um so etwas wie eine Vorherrschaft im öffentlichen Diskurs zu übernehmen. Die AfD will weitere Wählerinnen-Milieus erreichen. Und da müssen die Kirchen auch ihre Möglichkeit der Einflussnahme, der Ansprache an die Politik und auch an die Gesellschaft, wahrnehmen.

DOMRADIO.DE: Im Titel Ihres Buches klingt es an: Sie schreiben, "wie wir das Ganze stoppen können". Wie können wir es stoppen?

Quent: Ein Vorschlag ist ausgehend von den umfassenden Untergangsszenarien und dem Kulturpessimismus, den die radikale Rechte und den auch Björn Höcke hier in Thüringen verbreitet hat, erstens optimistischere und zweitens pragmatische Antworten zu finden auf die Herausforderungen der Zeit. Und dieser Pragmatismus ist jetzt auch hier in Thüringen gefragt, wenn es darum geht: Wie kann eine stabile Regierung gebildet werden? Wie kann das Land überhaupt geführt werden? Ich denke, da ist durchaus dieser Moment der Verunsicherung, der jetzt vorherrscht, auch eine Chance, indem sich die Parteien zusammenraufen können und den Bürgerinnen und Bürgern zeigen können: Parteiinteressen können hier auch mal zurücktreten. Uns geht es um das Wohl des Landes und nicht nur, wie die Populisten uns immer vorwerfen, um die eigenen Interessen. Das heißt, auch so eine Krisensituation, wenn man das so nennen möchte, hat durchaus das Potenzial, Vertrauen zurückzugewinnen, wenn die Parteien jetzt über ihren Schatten springen und miteinander sprechen im demokratischen Spektrum.

Das Interview führte Verena Tröster.


Dr. Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena / © Wolfgang Kumm (dpa)
Dr. Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena / © Wolfgang Kumm ( dpa )
Quelle:
DR