Christen in großer Sorge nach Türkei-Einmarsch in Nordost-Syrien

"Wir werden die Rechnung bezahlen müssen"

Erzbischof Hindo ist sicher: "Wir Christen werden die Rechnung bezahlen müssen." Der Nahost-Kirchenrat fordert Schutz für die Einheit Syriens. Auch um die Stabilität des Irak herrscht Sorge nach dem Einmarsch der Türkei.

Autor/in:
Andreas Gutenbrunner
Teilweise zerstörte Kirche in Syrien / © Uygar Onder Simsek (KNA)
Teilweise zerstörte Kirche in Syrien / © Uygar Onder Simsek ( KNA )

Der türkische Einmarsch im Nordosten Syriens hat internationale Turbulenzen ausgelöst, aber auch die Sorgen der Christen in der Nahost-Region weiter verschärft. "Wie immer verfolgen alle ihre Interessen, aber wir Christen werden die Rechnung bezahlen müssen", warnt laut dem Hilfswerk "Kirche in Not" der emeritierte syrisch-katholische Erzbischof von Hassake und Nusaybin, Jacques Behnan Hindo.

Auch der Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, Kardinal Louis Raphael Sako aus Bagdad, und der Nahost-Kirchenrat warnten vor den Folgen der Offensive des türkischen Militärs, das Seite an Seite mit dschihadistischen Milizen kämpft. UN-Angaben zufolge sind bereits Zehntausende Menschen auf der Flucht.

"Das schlimmste Drama des 21. Jahrhunderts"

"Die Bomben machen keinen Unterschied zwischen christlichen, kurdischen oder muslimischen Zivilisten; sie treffen alle", sagte der in Aleppo tätige Franziskaner Firas Lutfi zu Radio Vatikan.

Leidtragende der Gewalt seien stets besonders Frauen, Kinder und Alte. Dabei habe man zuletzt die Hoffnung gehegt, dass "das schlimmste Drama des 21. Jahrhunderts", der mittlerweile im neunten Jahr stehende Krieg in Syrien, endlich einem Ende zugehe.

Nach dem Abzug der US-Truppen im vor allem durch Kurden bevölkerten Nordteil des Landes hatte die Türkei am Donnerstag eine Militäroffensive gestartet, um die Kurdenmiliz YPG von der Grenze zu vertreiben und eine sogenannte Schutzzone an der türkischen Grenze zu Syrien einzurichten.

Seit dem neunten Jahrhundert, als Christen die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Gebiet stellten, habe sich die Zusammensetzung dergestalt verschoben, dass mittlerweile Kurden den Großteil der Bewohner ausmachten, erläutert der Pfarrer von Aleppo. Schuld am steten Abzug der Christen aus Syrien sei zuletzt vor allem der Krieg gewesen.

Dennoch hatte sich in 2.000 Jahren ein buntes Gemisch an verschiedenen Glaubenszugehörigkeiten erhalten, bestehend aus Assyrern, Orthodoxen sowie Katholiken der verschiedenen Ostkirchen und des Lateinischen Ritus - bis jetzt, wie der Franziskaner hinzufügt: "Leider droht diese einmalige Gemeinschaft nun in ihrem Gebiet ausradiert zu werden."

Kreislauf von Krieg und Gewalt

Der Kirchenrat des Nahen Ostens (Middle East Council of Churches, MECC) warnt unterdessen vor ernsten Auswirkungen der türkischen Angriffe auf die territoriale Integrität Syriens. Dies könne zu einer "Verschärfung der humanitären Lage von Flüchtlingen und Vertriebenen" führen. Der "Kreislauf von Krieg und Gewalt in der gesegneten Region des Ostens, der Wiege koexistierender Religionen", müsse unterbrochen werden. Es gelte, die Menschenwürde zu schützen, "die die Grundlage für jedweden Frieden oder Stabilität" sei.

"Wie kann man einem Staat erlauben, im Gebiet des Nachbarn einzufallen? Warum zwingt man ganze Volksgruppen zur Flucht? Wo ist das internationale Gewissen geblieben?", fragt Patriarch Sako mit Blick auf den türkischen Einmarsch. Schon seit geraumer Zeit sei über diese türkische Invasion die Rede gewesen; auch im Irak gebe es nun Angst wegen der unmittelbaren Nachbarschaft mit der Türkei. Leider sei der Westen "schüchtern"; man verschließe die Augen vor dem Leid der Menschen, sagte der Kardinal dem italienischen Pressedienst SIR.

"Wir sind alle besorgt und verängstigt mit Blick auf das, was in unserer Region geschehen kann", so der chaldäisch-katholische Patriarch: "Wir fragen uns, wohin sich unsere Länder mit diesem Gewicht von Tod und Gewalt bewegen werden; unsere Länder, die voll von Opfern, Verwundeten, zerstörten Familien sind, ohne ausreichende Häuser, Schulen und Infrastruktur."

Sakos Sorge wird durch die Auseinandersetzungen im Irak verstärkt, wo bei jüngsten Demonstrationen gegen Teuerung, Arbeitslosigkeit und Korruption in Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften mehr als 100 Personen den Tod fanden. Die Probleme könnten nur in einem friedlichen Dialog gelöst werden, so der chaldäische Patriarch:

"Gewalt im Namen der Religion ist Sünde, Korruption ist Sünde, Stehlen ist eine Sünde." Das Volk des Irak sei enttäuscht; es habe Hunger und lebe im Elend. Gebraucht werde ein moderner Staat auf der Basis gleicher Bürgerrechte für alle. Und natürlich Schutz vor einem Übergriff der Türkei.


Louis Raphael I. Sako / © N.N. (KiN)
Louis Raphael I. Sako / © N.N. ( KiN )
Quelle:
KNA