EU diskutiert über Seenotrettung

"Bloße Symbolpolitik"

"Es geht darum, ein Symbol-Thema abzuräumen", mit dieser Einschätzung blickt Flüchtlingsexperte Helge Hohmann auf die EU-Debatte um die Verteilung geretteter Bootsflüchtlinge. Von einer grundsätzlichen Lösung sei die Politik weit entfernt.

Rettungswesten / © Amfroey (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Warum ist es so schwer für die EU-Staaten, sich auf ein gutes System zur Verteilung von aus Seenot Geretteten zu einigen und es dann auch einzuführen?

Helge Hohmann (Beauftragter für Zuwanderungsarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen): Das Thema Quote ist schon seit zwei Jahren ein Problemthema. Es gibt schon länger den Versuch, die Dublin-Verordnung zu überarbeiten und in diesem Zuge eine Quoten-Verteilung von Flüchtlingen zwischen den EU-Staaten einzuführen - mit massivem Widerstand der Visegrad-Staaten. Ich denke, man fürchtet hier beim Thema Seenotrettung eine Blaupause - also, dass man speziell für gerettete Bootsflüchtlinge Quoten einführt, die dann möglicherweise als Beispiel herangezogen werden für allgemeine Lösungen in Bezug auf die Dublin-Verordnung.

DOMRADIO.DE: Dass sich ausgerechnet der deutsche Innenminister Horst Seehofer jetzt dafür stark macht, so einen Verteilerschlüssel festzulegen, hat viele erstaunt, weil er vorher eher als Hardliner bekannt war, gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?

Hohmann: Ich glaube kaum, dass er seine grundsätzliche Haltung geändert hat. Es geht ja hier auch um sehr wenige Personen. Ich glaube, es geht darum, ein Symbol-Thema abzuräumen. Denn es ist ja auch klar: In Italien gibt es jetzt eine gemäßigte Regierung. Matteo Salvini (Anm. d.Red: Salvini war von Juni 2018 bis September 2019 Innenminister sowie stellvertretender Ministerpräsident Italiens) ist nicht mehr in der Regierung. Man begreift das auch als Chance, jetzt dieses Thema vom Tisch zu bekommen, damit Herr Salvini damit nicht immer Politik machen kann. Ich denke, das ist der Hintergrund, warum man diese Initiative ergreift. Ich würde weniger humanitäre Überlegungen dahinter vermuten.

DOMRADIO.DE: Die Grundsatzeinigung für die Verteilung aus Seenot geretteter Migranten gilt jetzt auch erst mal nur für Menschen, die aus dem zentralen Mittelmeer - südlich von Malta und Italien - gerettet werden. Mittlerweile ist es aber so, dass sich die Fluchtroute vor allem nach Spanien und auf die Flüchtlingslager in der Ägäis vor Griechenland verschiebt. Und auch die Flüchtlingslager hier sind maßlos überfüllt. Das heißt, die Probleme sind noch deutlich größer.

Hohmann: Gerade was wir in Griechenland auf den Inseln erleben, ist ein Skandal. Hier lässt man Menschen vor sich hin vegetieren, anstatt wirklich einen Zugang zum Asylsystem zu geben und anstatt ihnen eine menschenwürdige Unterbringung angedeihen zu lassen. Sie leben in Lagern, unter unzumutbaren Zuständen. Sie müssen dringend aufs Festland und müssen - auch zur Entlastung von Griechenland - in der Europäischen Union verteilt werden. Auch Spanien und Zypern sind ja Ankunftsstaaten. Auch diese müssen natürlich entlastet werden. Das heißt, man muss Abrücken von diesem Prinzip der Dublin-III-Verordnung, das nur die Staaten, wo die Flüchtlinge ankommen, auch zuständig sind.

Wie gesagt, das Thema jetzt betrifft wenige Personen, aber mit großem Effekt. Es gab ja immer wieder die Situation, dass Rettungsschirme im Mittelmeer treiben und dann auch medial stark beobachtet werden. Und ich glaube, dass man das gerne nicht mehr haben möchte. Aber in der Tat hat das mit einer grundsätzlichen Lösung und einer grundsätzlichen Haltungsänderung der Europäischen Union nichts zu tun. Denn eigentlich müsste es ja darum gehen, von der Abschottungspolitik abzurücken. Solange man dazu nicht bereit ist, wird es immer diese Probleme geben.

DOMRADIO.DE: Bundesinnenminister Seehofer hat selbst gesagt, er erwarte heute keine konkreten Beschlüsse. Gehen Sie davon aus, dass noch mehr EU-Staaten sich bereit erklären, aus Seenot gerettete Menschen bei sich aufzunehmen?

Hohmann: Die Signale, die man vorher vernehmen konnte, waren nicht sehr ermutigend. Das Thema ist ja auch gar nicht auf der Tagesordnung, sondern wird ja eher inoffiziell beim Essen besprochen. Das heißt, schon rein formal kann es gar keine Beschlüsse geben. Wahrscheinlich ist das aber auch die Strategie; dass man eher versucht, auf unteren Ebenen Absprachen zu treffen, die dann greifen, ohne daraus eine offizielle Vereinbarung zu machen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR