Nach EZB-Beschluss: Welche Folgen hat der Minuszins für Sparer?

"Am besten ausgeben und in Aktien anlegen"

Banken müssen in Zukunft mehr Zinsen zahlen, wenn sie überschüssiges Geld bei der Zentralbank anlegen. Das hat die Europäische Zentralbank entschieden. Welche Auswirkungen hat das für die Sparer?

Kommt jetzt die Vermögenssteuer zurück? / © Joyseulay (shutterstock)
Kommt jetzt die Vermögenssteuer zurück? / © Joyseulay ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der scheidende EZB-Chef Mario Draghi möchte vorausschauend reagieren, gleichzeitig macht er Druck auf Deutschland, die schwarze Null aufzugeben, neue Schulden zu machen und das Geld zu investieren. Finden Sie als Finanzfachmann das eigentlich auch so schwer nachzuvollziehen?

Winfried Hinzen (Finanzberater): Ich kann Herrn Draghi schon ganz gut verstehen, einmal durch die Aktivitäten von Herrn Trump und durch die Eintrübung der wirtschaftlichen Kräfte in China. Die Zeichen der Wirtschaft stehen im Moment auf Süden, es geht in die falsche Richtung. Jeder macht sich natürlich seine lieben Sorgen darum, dass vielleicht auch noch das Zugpferd der Europäischen Union, Deutschland, ins Schlingern geraten könnte.

Der Schritt von Herrn Draghi ist erst einmal insofern vernünftig, als dass er geeignet ist, die Wirtschaft weiter zu beleben. Er kann ausreichend Wasser zur Verfügung stellen, aber saufen müssen die Pferde allein. Dafür ist es wichtig das frühzeitig zu tun und der Wirtschaft zu signalisieren, ihr könnt ruhig weiter auf die Tube drücken, die Stimmung bleibt gut.

DOMRADIO.DE: Wie berechtigt ist denn eigentlich diese Angst, dass Lieschen Müller und Anton Mustermann auf ihre zusammengesparten 20.000 Euro bald Strafzinsen zahlen müssen?

Hinzen: Es kommt drauf an, wie viel Geld denn Lieschen Müller tatsächlich auf dem Konto hat. Ich habe mal nachgeschaut, mindestens 128 Banken berechnen bereits den privaten Anlegern Minuszinsen, aber erst ab einem Betrag von rund 100.000 Euro. Bei manchen auch erst etwas später.

Aber es gibt Ankündigungen, die machen einen schon ziemlich unruhig. Wie der Bundesverband der deutschen Banken, der gesagt hat, das können wir auf Dauer nicht mehr durchhalten. Oder auch der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken, wo auch die Kirchenbanken dazugehören, oder der deutsche Sparkassen- und Giroverband. Der Tenor ist überall gleich: es wird für die Banken immer schwerer profitabel zu arbeiten und das ist nicht gut. Dementsprechend müssen die Banken die Minuszinsen ernstlich überlegen weiterzugeben.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie sagen 128 Banken nehmen bereits Minuszinsen für Guthaben, die mehr als 100.000 Euro sind. Wieviel Banken haben wir denn?

Hinzen: Wir haben in Deutschland schon noch mehrere 1000 Banken. Das ist also erst der Anfang und noch nicht in der Fläche verbreitet. Dadurch, dass wir die vielen Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben – diese kleinen mittelständischen Institute – stützen und schützen sie an der Stelle die Wirtschaft und auch den Kleinsparer. Natürlich haben sie wenig Lust sich den Zorn ihrer vertrauten Kundschaft zuzuziehen.

Gleichwohl ist das Problem, wie diese Banken auf die Situation reagieren. Sie reagieren darauf, indem sie im Zweifel immer unrentablere und gefährlichere Kredite vergeben. Wenn Sie heute eine Immobilie finanzieren, sind 20 Jahre unter 0,5 Prozent durchaus machbar. Das klingt toll, aber das bedeutet natürlich, wenn es denn wirklich mal schwieriger wird in Deutschland, werden diese Kredite und möglicherweise diese Banken ausfallen. Dann haben wir auch alle ein Problem.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass sich diese 100.000 Euro-Grenze möglicherweise auch noch weiter nach unten verschiebt?

Hinzen: Ich glaube, das ist aus Sicht der nächsten zwei, drei Jahre bei Minus 0,5 Prozent vielleicht noch nicht absehbar. Aber ich glaube schon, dass die Banken, die heute vielleicht erst bei einer halben Million oder bei einer Million anfangen auf 100.000 Euro hinuntergehen werden.

Das kann man ganz gut in der Schweiz beobachten, sie sind uns in den Minuszinsen ja schon ein Stück voraus. Das heißt, da sind die Zinsen noch niedriger als bei uns. Und da ist es eigentlich vollkommen gang und gäbe ab 100.000 Franken mit Minuszinsen zur Kasse gebeten zu werden.

DOMRADIO.DE: Kann es denn eigentlich das Anliegen eines Staates sein, dass seine Bürger keine Rücklagen haben?

Hinzen: Als ich Kind war, haben meine Eltern zu mir gesagt: "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not." Es steckt natürlich geradezu ein Erziehungseffekt darin. Wenn wir jetzt so viele Jahre Minuszinsen haben, wird sich das auch mit der Nachfolgerin von Herrn Draghi, Christine Lagarde, aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren nicht ändern. Es wächst eine Generation heran, die gelernt hat, wenn du Geld auf dem Konto hast, dann ist das schlecht für dich. Das Problem, was ich darin sehe ist, wir alle brauchen aber Geld.

Wir brauchen Rücklagen, um Sicherheit zu habe, wenn Dinge schiefgehen. Wenn zum Beispiel das Auto kaputt geht. Wir brauchen Rücklagen für die Rente, weil die staatliche Rentenversicherung alleine nicht reicht, das ist jedem klar. Da sind wir natürlich, wenn wir das nicht gelernt haben, ganz schnell auf dem falschen Fuß erwischt. Irgendwann stehen wir da, haben keine Rücklagen und kein allgemeines Tauschmittel. Dann müssen wir anfangen unseren Fernseher, unseren Computer oder unser Auto zu verkaufen, weil wir unsere Ausgaben nicht decken können. Das ist nicht gut.

DOMRADIO.DE: Sollen wir denn lieber der nachfolgenden Generation sagen: "Mach lieber Schulden, dann bist du besser dran"?

Hinzen: Absolut nicht. Wenn wir jetzt in Dänemark wären, gibt es schon die Möglichkeit Zinsen zu bekommen, wenn sie eine Finanzierung aufnehmen, um sich ein Haus zu leisten. Da ist die Versuchung natürlich groß. Mittlerweile sieht man es bei den Unternehmen schon sehr deutlich. Gute Unternehmen bekommen mittlerweile Zinsen, wenn sie Geld entgegen nehmen und machen davon tüchtig Gebrauch. Da steckt natürlich ein erheblicher falscher Anreiz darin, dieses Geld entgegenzunehmen und diese Schulden zu machen, obwohl man eigentlich keine richtige Verwendung dafür hat.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen, was sollte Lieschen Müller mit ihren 20.000 Euro machen?

Hinzen: Zwei Mal "A": Aktien und ausgeben. Das ist das, was mir dazu einfällt. Aktien sind natürlich kein Allheilmittel, weil Aktien Risiken unterworfen sind. Das geht nur bei langfristigen Ansparungen, zum Beispiel für die Rente. Da kann man das durchaus machen. Da helfen einem Banken mit guten Produkten und guter Beratung bei, dass man sich da in diesem Dschungel nicht verliert.

Das andere ist ausgeben. Aber auch da würde ich sagen, so schön das ist – nicht nur für Kinokarten und Konsumartikel – sondern vielleicht sollte man beim Ausgeben darüber nachdenken: wo kann ich Geld sparen? So sind zum Beispiel neue Elektrogeräte gut für die Umwelt, sie reduzieren die laufenden Kosten und das Geld ist sicherlich besser investiert, als wenn ich bei der Bank keine oder sogar Minuszinsen dafür bekomme.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Winfried Hinzen / © privat (Hinzen-Privatkontor)
Quelle:
DR