Wie man in Sachsen seit einem Jahr auf Bürgerdialoge setzt

"Wir brauchen Brückenbauer"

Wer an geordneten politischen Meinungsaustausch denkt, dem fällt nicht als erstes Sachsen ein. Doch der Freistaat ist auch eine kreative Experimentierküche für neue Dialogformate. Aber fruchten sie auch?

Autor/in:
Karin Wollschläger
Blick auf Dresden / © Canadastock (shutterstock)

Bürgerwerkstatt, Küchentisch, Sachsen-Sofa, Sachsengespräch - im Freistaat sind neue Formate, die den politischen Dialog wieder in Gang und die Politikverdrossenheit der Bürger auffangen wollen, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Bilder, die das Image von Sachsen bundesweit bestimmen, zeigen meist fremdenfeindliche Ausschreitungen, Pegida-Demos oder wütende Mobs.

Weit weniger wahrgenommen wird das intensive Bemühen seit etwa einem Jahr, gezielt den Dialog zwischen Bürgern und Politikern kreativ und konstruktiv wieder anzukurbeln.

"Sachsengespräche"

Ein maßgeblicher Aufhänger dafür waren die Geschehnisse im August 2018 in Chemnitz, als ein Deutscher nach einer Messerstecherei mit Ausländern starb. Danach kam es zu Übergriffen auf Migranten und fremdenfeindlichen Demonstrationen in der Stadt, die für bundesweites Entsetzen sorgten.

Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Wir müssen reden", war landauf, landab zu hören. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stellt sich mit Bürgermeistern beim Format "Direkt" brennenden Bürgerfragen vor Ort. Die komplette Ministerriege der schwarz-roten Landesregierung tut selbiges bei den "Sachsengesprächen". Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) reist zum Gespräch mit seinem IKEA-Küchentisch durch die Gemeinden, übrigens bereits seit 2014. Auch zivilgesellschaftliche und kirchliche Akteure sind mit neuen Dialogformaten in der Stadt und auf dem Land am Start und werben für Demokratie und Miteinander.

Mit Dialogangeboten überhäuft

Kurzum: In Sachsen wird man seit einem Jahr mit Dialogangeboten quasi überhäuft. Dass am 1. September Landtagswahlen sind und in den Umfragen an der Spitze CDU und AfD nahezu gleich aufliegen, dürfte dem Ganzen noch zusätzlichen Auftrieb gegeben haben. Doch fruchten die Dialogformate auch? Sieht man sich kurz vor der Wahl die konstanten Umfrageergebnisse an, drängt sich der Eindruck auf: Nein.

Die Direktorin des Instituts für Politikwissenschaft an der Uni Leipzig, Astrid Lorenz, sieht das anders: "Solche Dialoge sind kein Instrument, um kurzfristig bestimmte Wahlergebnisse zu erzielen. Aber ich glaube schon, dass man bereits bestimmte Ergebnisse sieht, auch wenn man den konkreten Nachweis nur schwer führen kann." Als Beispiel nennt sie die positiven Rückmeldungen aus der von der Landesregierung initiierten "Bürgerwerkstatt" in 13 Landkreisen und kreisfreien Städten, die sie als Expertin mit begleitet hat, und wo vor allem ehrenamtlich Engagierte von Alltagshürden berichten konnten.

"Die Teilnehmer fühlten sich im Anschluss bestärkt und wünschen sich auch in Zukunft solche Dialoge", so Lorenz. "Das ist ganz elementar: die bereits Engagierten zu stärken und auch zu vernetzen. Damit ist schon viel gewonnen." Zugleich gehe es darum, die Unzufriedenen einzubinden, sie anzuhören und die Möglichkeit zu geben, Dampf ablassen zu können.

Interessant sind laut der Politologin auch die Themen, die die Menschen beschäftigen: "Das ist ganz Handfestes wie der Öffentliche Personennahverkehr, Digitalisierung und Wertschätzung des Ehrenamts.

Migration kam seltener vor", berichtet sie. "Das kann daran liegen, dass diejenigen, die damit ein Problem haben, nicht gekommen sind oder sich in der Minderheit gefühlt haben, oder dass es vielleicht doch nicht ein großes Problem ist und diese Unzufriedenheit mit Migration nur Ausdruck einer Unzufriedenheit mit anderen Dingen ist."

Lob für das "SachsenSofa"

Wichtig ist nach Lorenz' Einschätzung, dass die Dialogformate einen möglichst breiten Adressatenkreis ansprechen und nicht nur konkrete Vorhaben wie etwa eine Umgehungsstraße zum Thema machen, sondern auch allgemeine Fragen der Demokratieentwicklung und des Zusammenlebens.

Sie nimmt diesbezüglich ein deutliches Gesprächsbedürfnis wahr, gerade auch auf dem Land, wo es dafür wenig Angebote gebe.

Deshalb lobt sie auch das "SachsenSofa", auf dem die Katholische Akademie in kleinen ländlichen Gemeinden über politische und gesellschaftliche Themen diskutiert. Lorenz betont: "Die Gesellschaft in Sachsen ist polarisiert, und wir brauchen Brückenbauer, die die Gruppen wieder an einen Tisch bringen, um über die gemeinsame Zukunft zu sprechen."


Quelle:
KNA