Der Große Zapfenstreich – Zeremoniell mit langer Geschichte

Mozart, Beethoven und Scorpions zum Abschied

Er ist das höchste Zeremoniell der Bundeswehr: der Große Zapfenstreich. Er steht Bundespräsidenten sowie den Spitzen von Kanzleramt und Verteidigungsministerium zu. Am Donnerstag ertönt er für Ursula von der Leyen.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Großer Zapfenstreich / © Bernd Wüstneck (dpa)
Großer Zapfenstreich / © Bernd Wüstneck ( dpa )

Christian Wulff sagte Schloss Bellevue gleich mit vier Liedern Lebewohl, Gerhard Schröder ließ sich mit Sinatras "My Way" aus dem Kanzleramt geleiten, während Gustav Heinemann statt mit Militärmusik lieber bei einer Rheinschifffahrt Abschied nahm. Und Ursula von der Leyen geht mit Mozart, Beethoven - und den Scorpions.

Immer wenn Bundespräsidenten, Bundeskanzler oder Verteidigungsminister aus dem Amt gehen, ist der Große Zapfenstreich angesagt. So auch am Donnerstag, wenn von der Leyen mit Deutschlands höchstem militärischen Zeremoniell als Verteidigungsministerin verabschiedet wird, bevor sie am 1. November als EU-Kommissionspräsidentin nach Brüssel wechselt. In beiden Ämtern war und ist sie die erste Frau und durchbrach damit Konventionen. Der Große Zapfenstreich dagegen hat eine lange Tradition.

In seiner heutigen Form ist das rund 20-minütige Ritual fast 200 Jahre alt, während der Begriff "Zapfenstreich" sogar auf das 16. Jahrhundert zurückgeht: Um die Soldaten abends ins Feldlager zu rufen, ging ein Offizier samt Trommler oder Pfeifer durch die Wirtshäuser und schlug auf den Zapfen des Fasses. Dann durfte der Wirt nicht mehr ausschänken, die Soldaten mussten bei Strafandrohung ins Lager zurück.

Musik zum Abschied

Die stilisierte Brauch wird heutzutage meist vor Schloss Bellevue abgehalten oder - wie für von der Leyen - vor dem Bendlerblock als Sitz des Verteidigungsministeriums. Stabsmusikkorps der Bundeswehr, Soldaten mit Gewehr sowie Fackelträger marschieren vor der zu ehrenden Persönlichkeit auf. Neben dem Yorckschen Marsch und verschiedenen festgelegten Kommandos und Signalen sowie der Nationalhymne gehört vor allem die "Serenade" dazu, meist drei Musikstücke, die der Geehrte auswählen darf.

Von der Leyen hat sich für den Wendezeit-Hit "Wind of Change" der Hannoveraner Rockband "Scorpions" entschieden. Außerdem wünscht sich die evangelische Christin Mozarts sehr getragene Version des "Ave Verum". Und schließlich soll für die künftige EU-Kommissionspräsidentin die Europahymne "Ode an die Freude" aus Beethovens Neunter erklingen.

"Helm ab - zum Gebet!"

Festgelegt ist dagegen das "Gebet" innerhalb des Zapfenstreichs, von Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. während der Befreiungskriege 1813 in den Ablauf der Zeremonie eingefügt. Dies sollte Ausdruck des religiösen Selbstverständnisses der "Heiligen Allianz" mit Russland und Österreich sein. So erklingt nach dem zackigen Kommando "Helm ab - zum Gebet!" das Lied "Ich bete an die Macht der Liebe".

Schöpfer der Zeilen ist der Theologe Gerhard Tersteegen (1697-1769). Dass eines seiner Gedichte einmal im höchsten militärischen Ritual Deutschlands landen würde, hätte er sich wohl nicht träumen lassen. Als friedfertig und bescheiden, als "wahrer Freund Gottes und der Menschen", wird der Mann beschrieben, der aus einer pietistisch geprägten Kaufmannsfamilie im niederrheinischen Moers stammte.

"Ich bete an die Macht der Liebe"

Tersteegen schrieb über Mystiker und Heilige - und Preußenkönig Friedrich II. Statt ein Werkzeug Gottes zu sein, schreibe dieser große Mann "sparsam vom Frieden, hingegen von der Kriegskunst so weitläufig", kritisierte er.

Um 1750 entstand sein Lied "Für dich sei ganz mein Herz und Leben", dessen vierte Strophe "Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart" titelgebend im Großen Zapfenstreich wurde. So erklang es erstmals beim Zapfenstreich am 12. Mai 1838 in Berlin in Gegenwart von Zar Nikolaus I. - mit der Melodie des ukrainischen Komponisten Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski (1751-1825), die er 1822 in Sankt Petersburg schrieb.

Still und gedankenvoll

Die "Heilige Allianz" deutscher Verse und russischer Musik vermittelte der pietistische Pfarrer Johannes Evangelista Gossner (1773-1858), der bis 1824 in Sankt Petersburg und später am Hof Friedrich Wilhelms III. wirkte.

Ob Gerhard Tersteegen über den Einsatz seiner Zeilen im Großen Zapfenstreich glücklich wäre, lässt sich nur spekulieren. Vielleicht sprach ihm aber der Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens (1923-2013) aus dem Herzen, der einmal in der "Zeit" dazu schrieb: "Nähme man die Worte ernst (besser: kennte man sie überhaupt) - man ginge am Ende des Zapfenstreichs still und gedankenvoll, aber gewiss nicht winkend und grinsend davon."


Quelle:
KNA