Gesetz zu Patientenverfügungen wird zehn Jahre alt

Vorrang für die Selbstbestimmung

Patientenverfügungen sind mittlerweile akzeptiert. Doch im konkreten Fall gibt es oft Unsicherheiten, wann ein schriftlich bekundeter Patientenwille bindend ist. Vor zehn Jahren beschloss der Bundestag das Gesetz.

Autor/in:
Christoph Arens
Patientenverfügung / © Andreas Gebert (dpa)
Patientenverfügung / © Andreas Gebert ( dpa )

Sechs Jahre lang hatten Politiker, Juristen, Mediziner und Kirchen gerungen: Wann muss man bei schwerstkranken Patienten eine Therapie beenden, die das Sterben nur verzögert? Wer trifft diese Entscheidung, wenn ein Patient über sein Schicksal nicht mehr selbst bestimmen kann: der Arzt, die Angehörigen oder ein Richter?

Nach einer monatelangen intensiven ethischen Debatte beschloss der Bundestag vor zehn Jahren, am 18. Juni 2009, ein Gesetz zu Patientenverfügungen.

Immer wieder veränderte Rechtsprechung

Eine Regelung, die sich nach Meinung der Bundesärztekammer bewährt hat. Seitdem haben Kirchen, Ministerien, Juristen und Verbraucherschutzorganisationen Formulare und Formulierungshilfen für Patientenverfügungen veröffentlicht. Auch viele Krankenhäuser und Palliativstationen haben reagiert: Patienten werden schon vor der Aufnahme gefragt, ob sie eine Patientenverfügung abgefasst haben.

Allerdings hat sich die Rechtsprechung immer wieder verändert: Allein in den vergangenen zwei Jahren veröffentlichte der Bundesgerichtshof drei Entscheidungen dazu. Erst Mitte Dezember bestätigte er die starke Bindungswirkung der Patientenverfügungen. Wenn ein Betroffener seinen Willen präzise formuliert hat und die konkret eingetretene Situation in der Patientenverfügung beschrieben ist, müssten Gerichte auch den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht mehr zusätzlich genehmigen, betonten die Karlsruher Richter.

Kirche scheitert an Politik

Nach langer Debatte hatte der Bundestag festgelegt, dass Patientenverfügungen für Ärzte und Angehörige zu jedem Zeitpunkt verbindlich sind, also unabhängig vom Krankheitsstadium. Insbesondere der katholischen Kirche ging das zu weit. "Selbstbestimmung ist ein höchstes Freiheitsrecht, aber kein Mensch kann grenzenlos über sich selbst verfügen", argumentierten die Bischöfe etwa mit Blick auf Patienten im Wachkoma. Sie forderten gemeinsam mit Unionsabgeordneten, dass eine Patientenverfügung nur für die unmittelbare Sterbephase Gültigkeit erhalten sollte. Damit setzten sie sich aber im Bundestag nicht durch.

Mittlerweile ist das Instrument der Patientenverfügungen an sich weithin unbestritten. Immer wieder aber bestehen im konkreten Einzelfall Zweifel an der Gültigkeit der Verfügungen.

Experten räumen ein, dass kaum eine Patientenverfügung genau auf den jeweiligen Krankheitsfall passt. Es sei zudem fast unmöglich, zu gesunden Zeiten wirklich einzuschätzen, ob man bei schwerer Krankheit noch künstlich ernährt werden will. Schwierig ist die Situation auch bei Patienten mit Demenz: Bei ihnen stimmten frühere Willensbekundungen und aktuelle Äußerungen oft nicht überein, heißt es im Deutschen Ärzteblatt.

Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung

Um so dringender raten Experten den Bundesbürgern, zusätzlich zur Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht und eine Betreuungsverfügung zu erstellen und eine Vertrauensperson als Betreuer zu benennen. Sie kann sich im Fall schwerster Erkrankung dafür einsetzen, dass die Verfügung angemessen und im Interesse des Patienten durchgesetzt wird.

Als zusätzliches Instrument empfiehlt die Bundesärztekammer eine intensivere und wiederholte Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten. Gerade in ernsten Erkrankungsfällen könne es sinnvoll sein, wenn Ärzte gegenüber ihren Patienten die Möglichkeiten vorsorglicher Willensbekundungen ansprechen, "zum Beispiel, wenn in einem absehbaren Zeitraum der Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist".

Was eine fehlende Patientenverfügung bedeuten kann, zeigt der Aufsehen erregende Fall eines Münchners, der im Frühjahr vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wurde. Als sein Arzt ihm 2006 eine Magensonde legte, konnte der an Demenz leidende Patient sich schon nicht mehr bewegen und nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren.

Die Jahre bis zu seinem Tod 2011 seien eine Qual gewesen, argumentierte sein Sohn und klagte gegen den Arzt, der das Leiden unnötig in die Länge gezogen habe. Der Bundesgerichtshof wies eine Klage auf Schmerzensgeld und Kostenersatz jedoch ab. Für den Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, steht fest: Mit einer Patientenverfügung wäre es gar nicht so weit gekommen.


Quelle:
KNA