Vor 30 Jahren Massaker am Platz des Himmlischen Friedens

Erinnern unerwünscht

In der Nacht zum 4. Juni 1989 verlor der "Platz des Himmlischen Friedens" in Peking jede Berechtigung für seinen Namen. 30 Jahre später erlebt das moderne China eine Entwicklung, die an die Lage nach dem Massaker erinnert.

30. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking / © Jeff Widener (dpa)
30. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking / © Jeff Widener ( dpa )

Schon das Jahr zu erwähnen, würde Verdacht erregen.1989. Ein heikles Datum in China. Vor 30 Jahren, in der Nacht zum 4. Juni, rollten die Panzer auf den Platz des Himmlischen Friedens in Peking, auf Chinesisch Tiananmen, und schossen nach wochenlangen friedvollen Protesten für mehr Demokratie und politische Reformen die Volksbewegung nieder.

Nach offiziellen Angaben starben 300 Demonstranten, viele von ihnen junge Studenten; dagegen gehen Menschenrechtsorganisationen von mindestens 3.000 Toten aus.

Thema steht in keinem Buch

In China spricht niemand über diese blutige Tragödie, bis heute nicht. Das Thema steht in keinem Buch, in keinem Internetbeitrag, es wird nicht öffentlich debattiert, geschweige denn politisch aufgearbeitet. Die einzigen, die sich trauen, Klartext zu reden, sind die "Mütter des Tiananmen", eine Gruppe von Hinterbliebenen der Opfer; doch ihre Forderungen nach Aufklärung verhallen ungehört.

In den Wochen vor dem jährlichen Gedenktag werden Aktivisten und Menschenrechtler immer wieder eingeschüchtert, unter Hausarrest gestellt oder kurzzeitig aus Peking gebracht; die Internetpolizei schiebt Überstunden, um die Sozialen Medien noch stärker als sonst zu kontrollieren.

Schon das Wort "Kerze" kann dazu führen, dass Webseiten gesperrt werden. Während seit 30 Jahren alljährlich in aller Welt des Massakers gedacht wird, hoffen Chinas kommunistische Machthaber, dass das Ganze schnell und ohne Zwischenfall vorübergeht. So beschreibt ein China-Kenner die Stimmung, der seit vielen Jahren in Peking lebt, aber anonym bleiben möchte. "Bitte erwähnen Sie meinen Namen nicht."

Bitte nicht auffallen

Bloß nicht auffallen, das gilt neuerdings (wieder) in China. Vor 30 Jahren waren die Hoffnungen groß, die Schreckensherrschaft des Mao Zedong, dessen Kulturrevolution Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, war seit 1979 vorüber, und sein Nachfolger Deng Xiaoping hatte begonnen, das Land vorsichtig der Welt zu öffnen. Generalsekretär der Kommunistischen Partei war zu jener Zeit Hu Yaobang. Er galt als liberaler Reformer - und stieß damit innerhalb der Partei zunehmend auf Widerstand.

1987 schließlich wurde er geschasst. Als Hu zwei Jahre später, am 15. April 1989, an einem Herzinfarkt starb, versammelten sich Studenten in Peking spontan zu einem Trauermarsch - und der endete sieben Wochen später in dem Massaker.

In den Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, hat sich der einstige Agrarstaat in die Neuzeit katapultiert und vielen Chinesen großen Wohlstand beschert. Der Aufbau der Zivilgesellschaft aber verzeichnet seit geraumer Zeit mehr Rück- als Fortschritte. Xi Jinping, seit mehr als sieben Jahren als Präsident und Chef der Kommunistischen Partei an der Macht, hat sich quasi zum Alleinherrscher mit unbegrenzter Amtszeit emporgehoben und regiert das Land mit eisernem Griff.

Auf dem Weg in den totalen Überwachungsstaat

Militär und Panzer braucht er dafür nicht. China ist - mittels moderner Technologien wie Kameras, Gesichtserkennung und Smartphone, mit dem die Chinesen einen Großteil ihrer Zahlungsaktivitäten abwickeln - auf dem Weg in den totalen Überwachungsstaat. Die Informationen werden, mangels Datenschutz, in einer riesigen Datei zusammengeführt und ausgewertet. Dabei werden Punkte vergeben:

Pluspunkte fürs Wohlverhalten wie Steuern zahlen und Schulden pünktlich begleichen, Minuspunkte für das Überqueren der Straße bei Rot oder zu langes Online-Spielen. Dieses soziale Kreditsystem befindet sich gerade im Aufbau und soll bald flächendeckend den gläsernen Bürger schaffen.

"Das Klima ist schlechter geworden", sagt der China-Kenner. Und es könne noch schlimmer kommen. "Ältere Freunde sagen, die Zeitungsartikel, die heute geschrieben werden, ähneln im Ton immer mehr den Phrasen der Kulturrevolution." Das aktuelle Regime sei im Wesentlichen dasselbe wie das, das 1989 das Feuer auf unbewaffnete Zivilisten eröffnet habe, sagt die Sprecherin der Tiananmen-Mütter, You Weijie. "Es sollte keine Verbindung zwischen der heutigen Regierung und dem geben, was vor 30 Jahren geschah, aber es ist noch immer dieselbe Partei an der Macht."


Eine Frau betet in einer Kirche in Peking / © Gilles Sabrie (KNA)
Eine Frau betet in einer Kirche in Peking / © Gilles Sabrie ( KNA )
Quelle:
KNA