Publizist Püttmann bewertet das CDU-Werkstattgespräch

"Ganz komplexe Güterabwägungen"

In einem "Werkstattgespräch" hat die CDU die eigene Migrationspolitik unter die Lupe genommen. Fazit: Beschleunigte Asylverfahren und Abschiebungen – und Grenzschließungen als Ultima Ratio. Eine Einordnung.

Annegret Kramp-Karrenbauer beim CDU-"Werkstattgespräch" / © Kay Nietfeld (dpa)
Annegret Kramp-Karrenbauer beim CDU-"Werkstattgespräch" / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte zu einem "Werkstattgespräch" eingeladen – ein eher unübliches Format für eine Parteiveranstaltung. Schon der Ausdruck legt eine gewisse Offenheit nahe. War es ein kluger Schachzug von Annegret Kramp-Karrenbauer, dieses Gespräch einzuberufen?

Dr. Andreas Püttmann (katholischer Publizist): Ja, ich meine in diesem Format schon. Nicht nur wegen des Klangs von Ergebnisoffenheit, sondern auch wegen der Expertise im Sinne von Sachlichkeit und Praxisbezug. Denn es hat ja keinen Sinn, diese Frage ständig nur im Aufeinanderprallen von Gesinnungen, Emotionen und Wahlkampfkalkülen zu diskutieren. Insbesondere, wo durch die sozialen Netzwerke eine Entprofessionalisierung der Meinungsbildung stattgefunden hat. Da ist eine interdisziplinäre Fachdiskussion mit Politikern verschiedener Ebenen genau das Richtige.

DOMRADIO.DE: "Gesprächstherapie" oder auch "Streicheleinheiten für die Parteiseele" - so hieß es nach dem Treffen in Kommentaren. War das denn so? Konnten sich frustrierte CDU-Mitglieder endlich mal die Enttäuschung in Sachen Flüchtlingspolitik von der Seele reden?

Püttmann: Es war nicht nur eine Klagemauer. Insbesondere die Arbeitsgruppe zur Ordnung und Steuerung der Migration hat ja eine Fülle von konkreten Vorschlägen gemacht, um Missstände zu beseitigen. Aber bei manchen, die regelrecht obsessiv apokalyptisch auf dem Thema herumreiten, liegt die Assoziation mit Gesprächstherapie tatsächlich nahe.

Parteien haben politische Integration zu leisten. Sie wirken an der Willensbildung des Volkes mit, heißt es im Grundgesetz. Um das zu können, müssen sie auch interne Prozesse und Verfahren haben, um bei polarisierten Fragen die Partei zu befrieden. Das gilt insofern besonders für die CDU, als sie sich ja nach 1945 aus verschiedenen politisch-ideellen Traditionen zusammensetzte - nicht nur aus der wenn auch dominanten christlichen Tradition der Zentrumspartei, sondern auch aus der liberalen und der nationalkonservativen Tradition. Da ist es schon ein Kunststück, diese Partei in Zeiten der Individualisierung und Filterblasen zusammenzuhalten.

DOMRADIO.DE: Angela Merkel, deren Politik im Sommer 2015 zur Debatte stand, war nicht mit dabei. War das "Werkstattgespräch" am Ende eine Art Abrechnung mit der "Flüchtlingskanzlerin"?

Püttmann: Nein, die blieb aus. Es waren ja auch genug Unterstützer ihrer Linie dabei. Es ging eher um das Signal der Unbefangenheit der Diskussion jenseits von Amtsautoritäten. Man darf die Dämonisierung der Kanzlerin durch die Rechten - bis in Grüppchen der eigenen Partei hinein - durchaus ins Kalkül ziehen bei der Konzeption so einer Veranstaltung, aber man muss ihr deshalb noch lange nicht nachgeben. Die Unterstützung für Merkel in der Anhängerschaft der Union ist ja noch überragend. In der Bevölkerung sind es auch beachtliche 61 Prozent. Insofern darf man sich hier nicht durch die besonders Lauten ins Bockshorn jagen lassen.

DOMRADIO.DE: Für Annegret Kramp-Karrenbauer war das "Werkstattgespräch" vermutlich ein Balanceakt: Einerseits Gelegenheit, sich von der Amtsvorgängerin abzugrenzen, andererseits nicht so hart mit ihr ins Gericht zu gehen. Ist das gelungen?

Püttmann: Das ist ihr gelungen. Aber ich glaube auch gar nicht, dass sie sich so sehr abgrenzen will. Sie ist einfach eigenständig. Das hat sie ja auch früher gezeigt, als sie mit Merkel über den Bruch der Jamaika-Koalition im Saarland heftig gestritten hat. Trotzdem respektieren sich die beiden weiterhin, und Merkel hat Kramp-Karrenbauer zu ihrer Wunschnachfolgerin aufgebaut. Im Saarland war sie unter anderem Innenministerin. Sie ist auch regional, konfessionell und fachlich anders geprägt als Merkel. Aber sie scharrt nicht mit den Hufen, um Kanzlerin zu werden. Das unterscheidet sie von Friedrich Merz. Und so hat sie die CDU stabilisiert.

DOMRADIO.DE: Natürlich geht es für die Union beim Thema Asyl und Migration immer auch darum, das Feld nicht der AfD zu überlassen. Haben denn die Handlungsempfehlungen - Asylrecht ja, aber unter verschärften Bedingungen - das Zeug dazu, besorgte Bürger jetzt wieder zur CDU/CSU zu holen?

Püttmann: Von der Union kommen sowieso nur 25 bis 30 Prozent der AfD-Wähler. Die AfD ist nicht einfach als Fleisch vom Fleische der Union zu verstehen. Und die AfD-Anhänger haben eine relativ starke Parteibindung, auch wenn sie Protestwähler sind. Wut und Hass haben eine nicht zu unterschätzende Bindungskraft. Das hat die CSU in Bayern schmerzlich erfahren müssen.

Ich glaube, es geht eher darum, Wackelkandidaten von einer Abwanderung zu den Rechtspopulisten abzuhalten. Und man darf bei denen, die schon dort sind, nicht unterschätzen, dass es eine echte Radikalisierung von früher bloß Konservativen gibt, plus den Bestand an Rechtsradikalen, den wir unsichtbar schon vor der AfD hatten. Diese beiden Gruppen dürfen nicht zum Taktgeber der CDU-Politik werden.

DOMRADIO.DE: Im Tagesthemen-Interview hat Annegret Kramp-Karrenbauer gesagt, dass künftig Grenzschließungen als Ultima Ratio denkbar seien. Passt denn das zum christlichen Menschenbild der praktizierenden Katholikin?

Püttmann: Doch, das passt. Denn es gibt ja eine relative Autonomie der Kultursachbereiche gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil - was auch verlangt, die Eigengesetzlichkeit und Unabhängigkeit des staatlichen Lebens anzuerkennen. Es darf insofern eine Begrenzung von Zuwanderung geben. Aber was es aus kirchlicher Sicht nicht geben darf, ist eine totale Abschottung. Denn Großherzigkeit gegenüber Notleidenden und Gastfreundschaft gegenüber Fremden gehören nun wirklich zur DNA des Christentums.

Man darf allerdings unterscheiden zwischen Asylsuchenden und Migranten und in geordneten Verfahren fair zur Entscheidung über ihren Status und ihr Bleiberecht kommen. Und es kann unter Umständen auch eine Grenzschließung geben - zum Beispiel auch, um andere Staaten, die einfach nur durchwinken wollen in unser Land, zur Übernahme von Verantwortung zu veranlassen. Man darf auch nicht zu lebensgefährlichen Fluchtwegen ermuntern. Also handelt es sich hier um ganz komplexe Güterabwägungen, wo man nicht einfach gesinnungsethisch sagen kann: Wir sind ja für die Unterstützung von Notleidenden und jetzt können alle mal kommen. 

Das Interview führte Dagmar Peters.


Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )
Quelle:
DR
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