Zweiter Jahrestag des Anschlages auf Berliner Weihnachtsmarkt

Der Schrecken ist nicht vergessen

Der goldene Riss im Boden des Weihnachtsmarktes am Berliner Breitscheidplatz ist nicht immer gleich zu erkennen. Er ist das Zeichen für das Unheil, aber auch für ein Symbol der Hoffnung, so der Pfarrer der Gedächntniskirche, Martin Germer.

Mahnmal auf dem Breitscheidplatz: der goldene Riss / © Christoph Soeder (dpa)
Mahnmal auf dem Breitscheidplatz: der goldene Riss / © Christoph Soeder ( dpa )

DOMRADIO.DE: Mit einer Kranzniederlegung wurde an die Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz gedacht. Wie haben Sie die Niederlegung heute erlebt?

Martin Germer (Pfarrer der Gedächtniskirche in Berlin): Das war ein durchaus großer, öffentlicher Anlass. Es waren viele Mitglieder des Berliner Senats dabei und auch andere Menschen aus der Öffentlichkeit, aber insbesondere die Angehörigen der Opfer des Terroranschlags.

Teilweise leben sie hier in Berlin, aber sie sind auch wieder von weiter her angereist, bis hin zu den Angehörigen der Frau aus Israel, die bei dem Anschlag ums Leben gekommen ist. Ich glaube, das hat dem Ganzen nochmal eine ganz besondere Bedeutung gegeben.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie den Tag damals, den 19. Dezember 2016, erlebt?

Germer: Das ist ja für uns alle nun wirklich einfach in das Leben hinein gebrochen, so ging es mir auch. Ich war in der Nähe und den Abend über auch im Umfeld des Ortes, der von der Polizei natürlich abgesperrt war. Erstmal habe ich versucht, mich zu orientieren. Ich habe mit den Schaustellern gesprochen, die das unmittelbar miterlebt hatten und auch außerhalb der Absperrungen waren.

Später ging es vor allem darum, einfach zu planen und zu überlegen, wie die nächsten Tage ablaufen sollen. Wir hatten dann einen Fernsehgottesdienst, der schnell auf den Weg gebracht werden musste und am nächsten Tag stattfand. Der hat, glaube ich, wichtige Signale gesetzt.

DOMRADIO.DE: Sie hatten damals Kontakt mit den Angehörigen, heute zwei Jahre später haben Sie sich wieder gesehen. Wie geht es den Menschen zwei Jahre danach?

Germer: Bei mir ist der Kontakt zu den Angehörigen tatsächlich erst im Laufe der Zeit zustande gekommen. Und da ist es so, wie auch sonst, wenn Menschen etwas Erschütterndes erleben. Es wird individuell, je auf eigene Weise erlebt und verarbeitet.

Es gibt unter den Angehörigen einige, die schon durchaus Schritte in ein weiteres Leben gehen konnten und jetzt auch sagen, dass sie in einem gewissen Frieden damit leben. Natürlich ist das kein Frieden in dem Sinne, dass jetzt alles vergessen wäre, aber einer, der sie nicht am jetzigen Leben hindert.

Es gibt andere Angehörige, die nach meinem Eindruck immer noch sehr im Bann des Ganzen stehen. Sie werden immer wieder daran erinnert, müssen kämpfen – auch um Entschädigungen und um Hilfeleistungen. Das macht es natürlich alles auch nicht leichter.

DOMRADIO.DE: Der Weihnachtsmarkt vor Ihrer Kirche auf dem Breitscheidplatz wurde sowohl im letzten, als auch in diesem Jahr aufgebaut – allerdings mit großen Sicherheitsvorkehrungen und Absperrungen. Was herrscht dort für eine Atmosphäre?

Germer: Wenn man durch diese Betonabsperrungen durchgegangen ist, dann befindet man sich ganz normal im Inneren des Weihnachtsmarktes. Die Erlebnisse geraten dann auch ein bisschen aus dem Blick. Nichtsdestotrotz ist es für die allermeisten, die nun auf den Breitscheidplatz kommen, irgendwie mit im Kopf.

Bei einem Rundgang über den Markt geht man am Anschlagsort direkt vorbei und kann am Gedenkort inne halten – das ist ein goldener Riss. Er zeigt, der Anschlag gehört jetzt mit dazu. Wir waren uns sehr früh im gewissem Sinne einig, was Täter solcher schrecklichen Anschläge bezwecken – und das ist Angst und Schrecken – das soll ihnen nicht gelingen. Wir werden uns unseren Lebensstil, unsere Weise zu leben, dadurch nicht nehmen lassen. So erlebe ich das jetzt auch auf dem Platz – und auch das bedeutet der Riss.

DOMRADIO.DE: Nun sind Sie mit der Verarbeitung jetzt schon zwei Jahre weiter. In Straßburg gab es vergangene Woche einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt. Die Gefahr bleibt grundsätzlich bestehen. Wie gehen Sie mit diesem Gedanken um?

Germer: Ich persönlich bin ein relativ nüchterner Mensch und sage mir, dass die Gefahr, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, statistisch gesehen viel höher ist. Das hindert mich nicht daran, auch in der Berliner Innenstadt fröhlich mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.

Deshalb sollten wir uns auch nicht scheuen, zu großen öffentlichen Veranstaltungen zu gehen. Dass es da tatsächlich ein gewisses Risiko gibt, ist so. Für mich ist das ein Teil unserer Lebensrisiken überhaupt.

Wir müssen uns mal vorstellen, wie es im Nahen Osten ist, wie es in Afghanistan oder im Irak ist, wo tagtäglich viele Anschläge größeren Ausmaßes passieren. Wenn wir daran denken, wie es den Menschen dort geht, sollten wir uns darin bestärken und uns mit den Gedanken nicht herunter ziehen lassen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Pfarrer Martin Germer / © Paul Zinken (dpa)
Pfarrer Martin Germer / © Paul Zinken ( dpa )
Quelle:
DR