Adveniat zu den Präsidentschaftswahlen in Brasilien

Der Flirt mit dem autoritären System

Jair Bolsonaro hetzt gegen Minderheiten und Frauen, liebäugelt mit der Militärdiktatur und hat gute Chancen, Brasiliens nächster Präsident zu werden. Das Land muss mit einer schlimmen Zukunft rechnen, warnt Norbert Bolte von Adveniat.

Ein T-Shirt mit einem Foto von Jair Bolsonaro / © Fabio Teixeira (dpa)
Ein T-Shirt mit einem Foto von Jair Bolsonaro / © Fabio Teixeira ( dpa )

DOMRADIO.DE: Brasilien ist vor der Stichwahl um das Präsidentenamt an diesem Sonntag ein zutiefst gespaltenes Land. Sie waren gerade dort. Wie haben Sie die Stimmung in dem Land empfunden?

Norbert Bolte (Brasilien-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat): Ich habe das Land Brasilien, die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, in einer tiefen Spaltung erlebt. Eine Spaltung, die noch weiter vorangeschritten ist, als sie ohnehin schon in den letzten Monaten oder zwei Jahren gewesen ist. Ich habe deutlich gespürt, es gibt ein Klima von Hass, Gewalt und Intoleranz. Das ist aber nicht nur ein Klima, das verbal geschaffen wird, sondern auch praktiziert wird.

Es gibt eindeutige Nachweise, dass es nach dem ersten Wahlgang gewaltsame Übergriffe auf politische Gegner gab. Dazu kommt, dass im Land eine große Politikverdrossenheit herrscht. Im Hintergrund gibt es die Korruption, die in den letzten Jahren vermehrt aufgedeckt worden ist. Dazu kommt eine Wirtschaftskrise.

Das Ganze ist ein Nährboden für eine starke antidemokratische Bewegung, die sich im Land gebildet hat und die vielen Menschen, die ich getroffen habe, Angst und große Sorge bereitet. Sorge um die Zukunft eines Landes, das viele mal als ein Land der Zukunft bezeichnet haben.

DOMRADIO.DE: Was ist das denn für einen Nährboden, der diese Stimmung erwachsen lässt? Wie hat sich der Alltag in dem Land verändert?

Bolte: Der Alltag hat sich zunächst einmal so entwickelt, dass die Wirtschaft in den letzten Jahren sehr stark nachgelassen hat zu wachsen. In den 12 bis 15 Jahren zuvor gab es ein starkes Wirtschaftswachstum, von dem die Leute profitieren konnten. Doch das ist in den letzten Jahren genau ins Gegenteil umgeschlagen. Das heißt, wir haben es mit einer stärkeren Arbeitslosigkeit zu tun.

Dazu kommt, dass seitens der gerichtlichen Instanzen und seitens der Presse sehr stark gegen bestimmte politische Richtungen im Land gewettert wird, die in der Tat für eine tiefgreifende Korruptionsaffäre verantwortlich sind, die das Land seit Jahren beschäftigt. Allerdings wird dabei immer wieder vergessen, dass das Land praktisch in einer DNA der Korruption aufgebaut ist. Das heißt, es gab seit dem Eindringen der Portugiesen vor 500 Jahren immer Korruption im Land, nur dass sie in letzten Jahren stärker aufgedeckt worden ist. Dahinter standen politische Interessen, die eindeutig feststellen wollten, dass allein die Arbeiterpartei für diese Korruption zuständig sei.

DOMRADIO.DE: Jetzt kündigte der Kandidat der rechtsextremen Partei, Jair Bolsonaro, Säuberungen an. Das klingt sehr erschreckend, was er da vorhat. Ist das nur ein Säbelrasseln oder ist er wirklich so?

Bolte: Ich fürchte, wir müssen mit einer schlimmen Zukunft rechnen, sofern er tatsächlich am Sonntag, wie viele meinen, zum neuen Präsidenten gewählt wird. Bolsonaro ist ein Hauptmann der Reserve, der eindeutig auf der Seite der Militärs steht und immer wieder propagiert hat, dass er in bestimmten Bereichen zurück in die Zeit der Militärdiktatur möchte. Er hat ganz offen Hass und Gewalt gepredigt. Er setzt sich für die Folterpraxis ein. Er sagt, in der Zeit der Militärdiktatur hat die Folter nur den Fehler gemacht, dass sie anschließend die Gefolterten nicht ermordet hat.

Er ist einer größeren Öffentlichkeit erst 2016 bekannt geworden, als er bei der Amtsenthebung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff seine Stimme erhoben und gesagt hat, meine Stimme gegen Dilma widme ich dem Folterer von Dilma (Anm. d. Red.: Unter der Militärdiktatur wurde Dilma Rousseff 1970 mehrere Wochen gefoltert).

Vor diesem Hintergrund fürchte ich, müssen wir mit schlimmen Dingen rechnen. Am Sonntag wurde er bei einer Wahlkampfveranstaltung live per Handy zugeschaltet, denn er tritt im Moment nicht persönlich in der Öffentlichkeit auf. Da sagte er zu seinen politischen Gegnern: "Ihr habt keinen Platz mehr in unserem Land, geht ins Gefängnis oder ins Exil". Er sagt auch, wie ihn die Tagesschau zitiert: "Meine Säuberungen werden umfassend sein". Der Slogan, mit dem er und seine Partei Wählerstimmen zu fangen glauben, heißt: "Brasilien über alles – Gott über allen".

DOMRADIO.DE: Jair Bolsonaro kommt von einer kleinen Splitterpartei. Wieviel Macht wird er denn haben, wenn er Präsident von Brasilien wird?

Bolte: Die Splitterpartei hat ihn bisher als einzigen Abgeordneten im Parlament gehabt. Allerdings wird seine Partei im neu gewählten Parlament ab 2019 mit 50 Abgeordneten sitzen und damit die zweitstärkste Kraft sein. Und sie wird sicherlich alles daran setzen, Seilschaften mit anderen, ähnlich tickenden Parteien im Parlament zu bilden, um eine einheitliche Front zu bilden und das durchzusetzen, was Bolsonaro bisher in seinem Wahlkampf angekündigt hat.

DOMRADIO.DE: Sie haben es schon angesprochen, in seinem Wahlkampfslogan gibt es auch den Abschnitt "Gott über allen". Wie positionieren sich denn die Kirchen in diesem Wahlkampf?

Bolte: Die Kirchen positionieren sich sehr unterschiedlich. Bolsonaro gehörte früher der katholischen Kirche an und ist jetzt Mitglied einer evangelikalen Kirche. Diese evangelikalen Kirchen stehen zum größten Teil hinter dem, was Bolsonaro propagiert. Die katholische Kirche, die Bischofskonferenz und die meisten Bischöfe haben eindeutig ihre Sorge um die Bewahrung der Grundwerte in der Gesellschaft geäußert, um die Einhaltung von Demokratie und Verfassung, die sie tatsächlich durch diesen Kandidaten gefährdet sehen. Allerdings muss man sagen, es gibt auch in der katholischen Kirche einen reaktionären Flügel, der mit dem autoritären System flirtet, für das Bolsonaro steht.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet denn der Ausgang der Wahl für Adveniatprojekte bzw. für ihre Projektpartner?

Bolte: Zunächst einmal fällt mir ein, dass wir in dieser Woche von einer Gruppe von Projektpartnern aus Brasilien einen Brief bekommen haben. Darin appellieren sie an uns, sehr wachsam zu beobachten, was in Brasilien passiert und die deutsche und die internationale Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen.

Unsere Projektpartner äußern in diesem Brief weiter, dass sie Angst haben, bei ihrer Arbeit verfolgt zu werden – bei ihrer Arbeit zugunsten der Armen, Entrechteten, der Indigenen, der Afrobrasilianer, der Frauen und auch der Menschen, die im Gefängnis sitzen und in ihren Menschenrechten zutiefst verletzt sind. Sie fürchten, dass ihre Arbeit deutlich schwerer wird und dass sie unter Umständen verfolgt werden. Und eine deutsche Missionarin, die in Brasilien arbeitet, hat mir am Telefon gesagt, dass sie um ihren Aufenthaltsstatus Angst hat und tatsächlich damit rechnet, unter Umständen das Land verlassen zu müssen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


 Jair Bolsonaro und der Erzbischof von Rio de Janeiro, Dom Orani Tempesta / © Silvia Izquierdo (dpa)
Jair Bolsonaro und der Erzbischof von Rio de Janeiro, Dom Orani Tempesta / © Silvia Izquierdo ( dpa )

Vor der Wahl in Brasilien: Protest gegen Bolsonaro / © Pablo Albarenga (dpa)
Vor der Wahl in Brasilien: Protest gegen Bolsonaro / © Pablo Albarenga ( dpa )
Quelle:
DR