Bundesarbeitsgericht urteilt: Einstellungspraxis der Kirchen

Kirchen dürfen nicht auf Taufschein pochen

Das Urteil ist eine Schlappe für die Kirchen als Arbeitgeber. Das Bundesarbeitsgericht hat ihrem Selbstbestimmungsrecht weitere Grenzen gesetzt. Auf den Taufschein darf bei Bewerbungen nicht ohne weiteres gepocht werden

Autor/in:
Christoph Arens
Gesetzbuch im Verhandlungssaal des Bundesarbeitsgerichtes / © Bodo Schackow (dpa)
Gesetzbuch im Verhandlungssaal des Bundesarbeitsgerichtes / © Bodo Schackow ( dpa )

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Einstellung von Mitarbeitern weitere Grenzen gesetzt. In einem am Donnerstag in Erfurt verkündeten Urteil mit grundsätzlicher Bedeutung sprachen die Richter der konfessionslosen Berlinerin Vera Egenberger eine Entschädigung von rund 3.900 Euro zu. Sie sei wegen ihrer fehlenden Kirchenzugehörigkeit ungerechtfertigterweise benachteiligt worden, so das Gericht.

Die Sozialpädagogin hatte sich 2012 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung erfolglos um eine befristete Referentenstelle beworben. Egenberger argumentierte, sie sei nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden, weil sie nicht Mitglied einer Kirche ist. Darin sieht sie unter Hinweis auf die Europäische Antidiskriminierungsrichtline eine Diskriminierung aufgrund von Religion und Weltanschauung. In der Stellenausschreibung war eine Kirchenmitgliedschaft als Voraussetzung genannt.

"Erhebliche Zweifel"

Vergeblich argumentierten Vertreter der Diakonie in Erfurt, im vorliegenden Fall sei die Kirchenzugehörigkeit des Stelleninhabers unverzichtbar gewesen, um die Position der Kirche bei einem Antirassismusprojekt glaubwürdig zu vertreten. Die Vorsitzende Richterin Anja Schlewing erklärte, das Gericht habe "erhebliche Zweifel", dass die Kirchenzugehörigkeit in diesem Fall eine berechtigte Anforderung sei. Es habe keine Gefahr bestanden, dass die Bewerberin das Ethos der Kirche beeinträchtigt hätte.

Für die Kirchen ist das Urteil eine Schlappe. Die Diakonie erwägt deshalb einen Gang zum Bundesverfassungsgericht, das bislang im Streit um das Arbeitsrecht tendenziell eher zugunsten der Kirchen und deren Selbstbestimmungsrecht geurteilt hatte. Dagegen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in diesem wie in anderen Fällen betont, dass die Kirchen einen Taufschein als Voraussetzung für eine Stelle nur dann verlangen dürfen, wenn die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft "eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" für die konkrete Tätigkeit darstellt. Eine Gerichtssprecherin räumte ein, dass noch keine Klarheit darüber bestehe, wie die Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts in Einklang gebracht werden kann.

Keine Frage für Spezialisten

Ob die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände besondere Anforderungen an ihre Mitarbeiter stellen dürfen, ist keine Frage für Spezialisten.

Immerhin sind sie mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten der größte private Arbeitgeber. Über Jahrzehnte war unangefochten, dass sie eigene Kriterien bei der Mitarbeiter-Auswahl aufstellen und Loyalitätsanforderungen auch an deren Privatleben stellen dürfen. Wer sich scheiden ließ und erneut heiratete, musste in der katholischen Kirche mit Kündigung rechnen. Wer aus der Kirche austrat, musste mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der evangelischen Kirche gehen.

Mittlerweile hat sich der Wind gedreht. Einerseits finden Kirchen, Diakonie und Caritas nicht mehr überall genügend Bewerber, die den eigenen Anforderungen entsprechen. Bundesweit sind etwa nach einer Statistik von 2011 rund 16,5 Prozent der Mitarbeiter der Diakonie ohne Konfession, in Brandenburg gar 67 Prozent.

Diskriminierung wegen religiöser Einstellung?

Andererseits hat sich auch politisch die Stimmung verändert: Dass die Kirchen beim Arbeitsrecht eine Sonderstellung genießen, wird nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch vielen Bundestagsabgeordneten kritisch gesehen. Dazu kommt, dass die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie zwar das Recht der Kirchen auf eine glaubwürdige Verkündigung achtet, zugleich aber eine Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen religiöser Einstellung verbietet.

Beide Kirchen haben reagiert. Die katholischen Bischöfe haben 2015 das Arbeitsrecht liberalisiert. Die strengen Loyalitätsanforderungen sollen nur noch für verkündigungsnahe Berufe gelten. Auch nach der 2017 in Kraft getretenen Loyalitätsrichtlinie der Evangelischen Kirche wird nur noch eine evangelische Kirchenmitgliedschaft für Mitarbeitende in der Verkündigung, der Seelsorge und Bildung erwartet. Bei Leitungskräften reicht, dass sie einer christlichen Kirche angehören. Alle anderen können auch ohne Kirchenzugehörigkeit bei der Diakonie arbeiten.

 

Quelle:
KNA