Vor der Wahl in Bayern: Vieles ist nicht mehr selbstverständlich

Das Kreuz mit dem Kreuzchen

Bayern gleich hohe Berge, weißblauer Himmel, brummende Wirtschaft, CSU. Diese Gleichung hat ihre Selbstverständlichkeit verloren. Auch weil das C vielen Christen nicht mehr automatisch eine politische Heimat bietet.

Landtag Bayern / © Sven Hoppe (dpa)
Landtag Bayern / © Sven Hoppe ( dpa )

Am Sonntag wählen die Bayern einen neuen Landtag. Der seit über 50 Jahren regierenden CSU droht eine historische Pleite, sollte das Ergebnis in etwa dem von den jüngsten Umfragen bestätigten Trend folgen. Der aktuelle Pegelstand liegt zwischen 33 und 35 Prozent. Von der absoluten Mehrheit träumen selbst Berufsoptimisten bei den Christsozialen nicht mehr.

Sogar eine für die meisten Mandatsträger halbwegs tolerable Koalition mit den Freien Wählern scheint in Gefahr. So könnte am Ende Schwarz-Grün die einzige Option für ein Zweierbündnis sein. Wie konnte es so weit kommen?

Stammwähler durch Flüchtlingspolitik verprellt?

Auch wenn die kirchlich gebundene Wählerschaft zahlenmäßig schrumpft - vieles deutet darauf hin, dass die CSU nicht wenige ihrer christlichen Stammwähler verprellt hat. Vor allem durch ihre Flüchtlingspolitik. Altvordere wie Alois Glück oder Hans Maier erkennen ihre Partei nicht mehr wieder. Beide sind auch ehemalige Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Vor allem Maier meldete sich im Wahljahr wiederholt mit scharfer Kritik zu Wort. Wegen der Flüchtlingsfrage der CDU mit Scheidung zu drohen, nannte er "grotesk". Als eine Partei mit dem C im Namen sei die CSU auf Menschenwürde und Nächstenliebe, auf die Zehn Gebote und die Botschaft Jesu verpflichtet. Inzwischen aber höre man Begriffe wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit ja nur noch von der Linken, empörte sich der einstige Kultusminister im Sommer in der "taz".

Ende September legte Maier in einem Gastkommentar für die "Süddeutsche Zeitung" nach. Die CSU habe das Erbe ihres vor 30 Jahren gestorbenen Übervaters Franz Josef Strauß verraten. In der "alten" CSU habe ein strammer Katholik mit einem evangelischen Freimaurer am Kabinettstisch gesessen. Die für Volksparteien wichtige Fähigkeit, mit Widersprüchen und Gegensätzen umzugehen, habe die CSU verloren - nicht zuletzt dadurch, dass sie die Hilfsbereitschaft vieler Menschen angesichts der Flüchtlingsströme "verkannt, ja geschmäht" habe.

Bamberger Domkapitular wurde zum Exempel

Zur exemplarischen Figur dieser Entfremdung wurde Anfang Juli der Bamberger Domkapitular Peter Wünsche (64), als er seinen Austritt aus der CSU via Facebook öffentlich machte - nach 44 Jahren Parteizugehörigkeit: Er sei "nie ein politischer Prälat" gewesen, aber auch als passives Mitglied könne er die derzeitige Linie "nicht mehr mittragen" - aus Gewissensgründen.

Als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Frühjahr seinen Kreuzerlass für die bayerischen Behörden präsentierte, stieß dies nicht nur auf Widerspruch beim Münchner Kardinal Reinhard Marx. Eine Aktionsgruppe um den Nürnberger Jesuiten Jörg Alt, den Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose und mehrere bayerische Ordensobere appellierte daraufhin an die CSU in einem offenen Brief, sich auf ihre christlichen und sozialen Wurzeln zurückzubesinnen, statt nur Symbolpolitik zu betreiben. Mehr als 3.000 Christen schlossen sich der Initiative an.

Scharfe Töne von der bayerischen Caritas

Ungewohnt scharfe Töne gab es in diesem Jahr auch aus den Reihen der bayerischen Caritas. Deren Landeschef Bernhard Piendl rügte, die Staatsregierung zeichne "ein verzerrtes Bild von der derzeitigen Flüchtlingssituation". Es werde der Eindruck erweckt, Flüchtlinge seien vor allem an Sozialleistungen interessiert und stellten ein ständiges Sicherheitsrisiko dar, weswegen schnelle Verfahren und Abschiebungen als einzige Konsequenz erschienen.

Bei einer der vor allem von Bayern forcierten Sammelabschiebungen nach Afghanistan platzte dann auch den Caritasleuten in Bamberg der Kragen. Unter den Betroffenen war einer ihrer 18-jährigen Schützlinge, um dessen Integration sich Sozialarbeiter des katholischen Wohlfahrtsverbands jahrelang erfolgreich gekümmert hatten.

Kurz vor der Sommerpause leitete Söder einen zumindest verbalen Kurswechsel ein. Es gelte, in der Migrationspolitik "Humanität und Ordnung in eine neue Balance zu bringen", gab der Regierungschef als neue Losung aus. Umstrittene Begriffe wie "Asyltourismus" verwendet er seitdem nicht mehr. Doch die zuletzt gemessene politische Stimmung lässt den Schluss zu, dass diese Korrektur zu halbherzig oder zu spät war.

Von Christoph Renzikowski


Quelle:
KNA
Mehr zum Thema