Historiker zu Kirchen in politischen Debatten und AfD-Umgang

"Nicht anmaßen, dass sie die absolute Wahrheit hätten"

Sollen sich die Kirchen in die politische Diskussion in Deutschland einbringen? Und wie sollen sie speziell mit der AfD umgehen? Der Historiker Andreas Rödder hat sich dazu seine Gedanken gemacht. Seine Aussagen fallen deutlich aus.

Kirche trifft Politk: Die Bischöfe Franz-Josef Overbeck (l.) und Reinhard Kardinal Marx (r.) mit Kanzlerin Angela Merkel / © Markus Nowak (KNA)
Kirche trifft Politk: Die Bischöfe Franz-Josef Overbeck (l.) und Reinhard Kardinal Marx (r.) mit Kanzlerin Angela Merkel / © Markus Nowak ( KNA )

Aus Sicht des Historikers Andreas Rödder sollen sich die Kirchen in die politische Diskussion in Deutschland einbringen. Sie dürften sich aber "nicht anmaßen, dass sie die absolute Wahrheit hätten", sagte Rödder am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Die Kirchen seien im gesellschaftlichen Diskurs "dann am fruchtbarsten, wenn sie ihre spezifische Kompetenz aus ihrem kirchlichen Selbstverständnis heraus in Diskussion einbringen, ohne sich zu einem permanenten politischen Player - wie alle anderen - zu machen".

"Große Stunde" der Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 hatten die Kirchen Rödder zufolge "vor allen Dingen eine gesellschaftsstabilisierende Wirkung".

Man habe es mit einer "moralisch zutiefst erschütterten und traumatisierten Gesellschaft" zu tun gehabt, "die durchaus nach moralischen Autoritäten sich sehnte". Das sei "die große Stunde" der christlichen Kirchen gewesen, "die dann aber in den 60er Jahren von einem Schub der Säkularisierung und des Wertewandels erfasst wurde".

Die Aufarbeitung der Missbrauchskrise erschüttere derzeit die Autorität der katholischen Kirche. "Die Kirchen müssen aufpassen, dass sie ihren Glaubwürdigkeitskredit nicht überziehen", so Rödder.

"Deswegen glaube ich, hilft es der katholischen Kirche nur, sich ehrlich zu machen und ansonsten mit der gebotenen Balance und der gebotenen Klugheit auf dem zu bestehen, wo man sagt 'ja, das können wir als katholische Kirche tatsächlich in die gesellschaftliche Debatte guten Gewissens einbringen, ohne uns ständig sagen lassen oder fragen zu müssen, ob wir das nicht selbst uns völlig verunmöglicht haben, weil unsere eigene Glaubwürdigkeit gelitten hat'".

Moralisierter politischer Diskurs

Der politische Diskurs habe sich insgesamt moralisiert, sagte der Historiker. Es sei eine "Polarisierung der Extreme" zu erleben. "Das Problem ist, dass zwischen dieser Polarisierung der Extreme eine sprachlose Mitte aufgetreten ist, so dass eine wirklich vernünftige, auf kontroverse, aber auch Austausch beruhende öffentliche Diskussion in Deutschland schwerer geworden ist."

Die christlichen Kirchen hätten in der Flüchtlingsfrage von 2015 "einen hohen moralischen Ton bezogen, sie haben in der Flüchtlingskrise eine sehr stark moralisch grundierte verabsolutierte Position der Willkommenskultur und der Aufnahme von Flüchtlingen betrieben", sagte Rödder. "Und der Politik dann aber wiederum die Mühe und die Widrigkeiten der politischen Ebene überlassen. Und das ist etwas, wo ich sagen würde, das ist am Schluss unredlich."

AfD-Boykott auf Kirchentag "unklug und falsch"

Weiter sieht Rödder den geplanten Auftritts- Boykott von AfD-Politikern beim nächsten Deutschen Evangelischen Kirchentag für unklug und falsch. "Ich halte es grundsätzlich für richtig, Grenzen zu setzen, gerade im Umgang mit der AfD. Und diese Grenze ist die Menschenwürde, das ist Artikel 1 des Grundgesetzes. Diese Grenze ist die Anwendung oder die Propagierung von Gewalt, und diese Grenze ist völkisches Denken", so Rödder.

Allerdings sei diese Grenzziehung eine, "die wir gar nicht aus genuinen religiösen oder kirchlichen Gründen vornehmen müssen, sondern es ist eine, die wir zu 100 Prozent politisch begründen können", sagte der Historiker. "Vor diesem Hintergrund würde ich sagen, diesseits dieser Grenze ist es nötig, sich mit der AfD kritisch konstruktiv auseinanderzusetzen, und Ausgrenzung diesseits dieser Grenze, die ich gerade genannt habe, halte ich für politisch unklug und für politisch auch nicht richtig."

Nachvollziehbare Argumente

Rödder betonte, er könne die Argumente von Kirchentagspräsident Hans Leyendecker zwar nachvollziehen, wenn dieser sage "auch diesseits dieser Grenze haben wir es mit einer AfD zu tun, die sich in den Sog hineinziehen lässt, der hin zu völkischem Denken und einem nicht mehr akzeptablen Denken führt". Aber zugleich müsse er sagen, "diese Ausgrenzung der AfD - voll und ganz, pur example - halte ich für unklug und für falsch", so Rödder.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag hatte den Auftritts-Boykott von AfD-Politikern bei dem Christentreffen vom 19. bis zum 23. Juni 2019 in Dortmund beschlossen. Noch beim Kirchentag 2017 in Berlin hatte das Kirchentagspräsidium AfD-Politiker als Teilnehmer auf Podien und Diskussionsveranstaltungen zugelassen. "Die AfD entwickelt sich rasend weiter nach rechts, die Radikalisierung der Partei schreitet voran", begründete Leyendecker den Kurswechsel. Der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Volker Münz, sprach von "Ausgrenzung" und einem "Armutszeugnis". (KNA)

 

Quelle:
KNA