Religionsfreiheit im Irak – Christen kehren zurück

Hilfe darf keine Eintagsfliege sein

Im Jahr 2014 flüchteten Christen und Jesiden im Nordirak vor dem "Islamischen Staat". Nun kehren immer mehr Menschen zurück. Wie ist es um die Religionsfreiheit in der Krisenregion bestellt?

Flüchtlingsfamilie im Nordirak (dpa)
Flüchtlingsfamilie im Nordirak / ( dpa )

Schon mal überlegt, jemandem vom Regenbogen zu erzählen, der von Geburt an blind ist? Schwester Nazik Khaled Matty zieht diesen Vergleich, wenn sie über die Religionsfreiheit in ihrer Heimat, dem Irak, spricht. Die katholische Ordensfrau kehrte nach der Flucht vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nach drei Jahren in die Ninive-Ebene zurück.

Aber: "Wir mussten feststellen, dass die Politik darin versagte, die Menschenrechte zu schützen, wenn es um Gewissens- und Religionsfreiheit ging", schildert Schwester Nazik im neuen "Jahresbericht Weltkirche".

Der Krieg habe viele Wunden hinterlassen

"Die Politik denkt nur an Eigennutz. Und Politiker benutzen Religion oft dazu, die Gefühle der Menschen zu manipulieren", so der Vorwurf der Ordensfrau. Dabei benötigen die Menschen vor Ort Unterstützung.

"Jetzt, da wenigstens einige tausend Familien in die Ninive-Ebene zurückgekehrt sind, ist unser größtes Anliegen, wie wir den Abgrund zwischen dem, was passiert ist, und der Zukunft überbrücken können", so die Schwester. Der Krieg habe viele Wunden hinterlassen. "Menschen wurden in ihrer Würde verletzt und Beziehungen zu Nachbarn, die uns verraten haben und rücklings erdolchten, sind zerbrochen."

Nun sei das Bedürfnis nach Heilung und Versöhnung groß. "Wir sind zurückgekehrt und sind bereit, wieder mit Muslimen zusammenzuleben. Aber sie müssen ihren Blick auf das Christentum verändern und uns als Bürger betrachten, die Respekt verdienen", fordert die Ordensfrau.

Religions- und Gewissensfreiheit im Irak nicht anerkannt

Schwerpunkt des Jahresberichts der "Konferenz Weltkirche" ist die weltweite Situation der Religionsfreiheit. Im Vorwort unterstreicht Erzbischof Ludwig Schick: "Gerade weltkirchlich engagierte Christen können die vielfältigen Gefährdungen der Religionsfreiheit nicht unberührt lassen."

Dort, wo die Religionsfreiheit eingeschränkt werde, würden auch andere Menschenrechte wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit beschnitten. Schwester Nazik erklärt, dass Religions- und Gewissensfreiheit im Irak nicht anerkannt würden, sondern lediglich die "Kultfreiheit".

Auch der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder fordert mehr Einsatz für Jesiden und Christen im Nordirak. Die Bundesregierung müsse mit der Zentralregierung reden, "die tatsächlich – so ist auch mein Eindruck – nicht gerade besonders engagiert für solche Minderheiten ist", sagte Kauder aus Anlass einer Tagung zur Lage der Christen und Jesiden im Nordirak. Es brauche ein Signal an die Menschen im Irak: "'Es ist keine Eintagsfliege. Es geht weiter'."

Der IS habe die Infrastruktur beinahe völlig zerstört

Der Gründer und Exekutivdirektor des irakischen christlichen Hilfswerks CAPNI, Archimandrit Emanuel Youkhana, bekräftigte bei derselben Tagung, dass religiöse Minderheiten ohne Religionsfreiheit ihre Zukunft verlören. Seit 2002 schrumpfe die christliche Minderheit im Irak deutlich – von Jahr zu Jahr.

Der IS habe die Infrastruktur beinahe völlig zerstört, so der Archimandrit. Es gehe derzeit jedoch nicht nur um den Wiederaufbau, sondern auch um den körperlichen und seelischen Zustand der Menschen vor Ort. Die irakische Regierung frage fälschlicherweise nicht danach, wie der IS überhaupt so viel Macht erringen und die Andersgläubigen vertreiben konnte.

Schick: Zusammenleben nur durch Versöhnung möglich

Erzbischof Schick besuchte die Krisenregion als Vorsitzender der Weltkirche-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz im April. Damals betonte er: "Wir müssen alles fördern, was den Christen ermöglicht, in ihrer Heimat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei müssen die Hilfsprogramme immer die künftige friedliche Koexistenz von Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit im Blick haben." Die dortige Caritas soll nach seinen Angaben ein Wiederaufbauprojekt in den christlichen Siedlungsräumen der Ninive-Ebene konzipieren.

Seit der Befreiung sind zwar laut Bischofskonferenz Tausende Familien in die Ninive-Ebene zurückgekehrt, doch sie haben mit Widerständen zu kämpfen. Ein Großteil der Häuser sei zerstört, viele Menschen seien traumatisiert, berufliche Perspektiven hätten nur die Wenigsten. Wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsmöglichkeiten und die Behandlung von Traumata sollen nun gefördert werden, hieß es. "Nur durch Versöhnung kann das Zusammenleben von Menschen verschiedenen Glaubens auch langfristig wieder ermöglicht werden", betonte Schick.

Religionsfreiheitsbeauftragter: "Keine Religion darf aussterben"

Auch der neue und erste Religionsfreiheitsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Grübel (CDU), rückte im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Nachkriegsordnung im Nordirak in den Blick. "Ziel muss sein, den interreligiösen Dialog und einen Aussöhnungsprozess zu gestalten, bei dem alle Religionen einbezogen werden. Keine Religion darf aussterben, Gotteshäuser müssen wieder aufgebaut werden, dafür brauchen religiöse Minderheiten Sicherheit", sagte Grübel.

Schwester Nazik verweist auf Länder, die das Gewissen und den Glauben des Einzelnen respektieren. Dies stärke das Gefühl der Zugehörigkeit. Die Ordensfrau resümiert: "Kreativität und eine friedliche Beziehung mit dem Anderen entstehen dann, wenn die persönlichste Entscheidung eines Menschen – die Entscheidung für eine Religion und für einen Glauben – respektiert wird."

Rainer Nolte


Quelle:
KNA