Caritas zum Unionsstreit über Asylpolitik

Schützen statt abschotten

Innenminister Seehofer hat am Integrationsgipfel nicht teilgenommen. "Kein gutes Signal", findet Kai Diekelmann von der Caritas. Im Interview fordert er: Deutschland sollte Asylsuchende schützen anstatt sich abzuschotten. 

Flüchtlinge an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien / © Sandor Ujvari (dpa)
Flüchtlinge an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien / © Sandor Ujvari ( dpa )

DOMRADIO.DE: Seit über zehn Jahren gibt es den Integrationsgipfel. Zum ersten Mal war der Innenminister, in dessen Ressort das Thema fällt, nicht dabei. Stattdessen weilte Horst Seehofer zur gleichen Zeit wenige hundert Meter entfernt im Ministerium, um den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz zu treffen. Hat er da die richtigen Prioritäten gesetzt?

Kai Diekelmann (Leiter der Abteilung Integration und Migration bei der Caritas im Erzbistum Köln): Das kann und will ich nicht beurteilen. Bemerkenswert ist der Vorgang allerdings schon. Bei den neuen Integrationsgipfeln, die es ja seit 2006 bereits gegeben hat, war der jeweilige Innenminister immer selbst dabei. Und zum anderen ist gestern beim zehnten Integrationsgipfel mit den Vertretern von rund 50 Migrantenorganisationen ganz intensiv über das Thema Heimat gesprochen worden. Dafür ist Horst Seehofer ja auch zuständig. 

DOMRADIO.DE: Im Hintergrund schwelt der Streit zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer. Der will Flüchtlinge, die bereits in anderen Staaten registriert sind, bei der Einreise nach Deutschland gleich an der Grenze zurückzuweisen. Die Kanzlerin will das so nicht. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag Seehofers?

Diekelmann: Zurückweisungen an der Grenze gibt es längst, im vergangenen Jahr mehr als 12.000 Mal. Und zwar immer dann, wenn bei Grenzkontrollen Personen auftauchen, die sich nicht gültig ausweisen können. Allerdings ist es bislang so, dass derjenige, der an der Grenze Asyl begehrt, zunächst nach Deutschland reingelassen wird. Und hier wird dann erst geprüft, ob er schon einmal woanders Asyl beantragt hat und dort registriert worden ist.

DOMRADIO.DE: Das betrifft auch Menschen, die sich nicht ausweisen können, oder?

Diekelmann: Richtig. Und dann beginnt ein zum Teil schwieriges Verfahren bis diese Asylsuchenden ins Erstaufnahmelager zurückgeschickt werden können. Das will die CSU nicht mehr. Während die Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel Ende des Monats einen erneuten Versuch machen will, um zu einer europäischen Flüchtlingspolitik zu kommen, die eben nicht nur auf Abschottung gegen Flüchtlinge – Stichwort "Schließung der Außengrenzen" – setzt, sondern auch solidarische Elemente hin zur Aufnahme von Geflüchteten und deren Verteilung innerhalb Europas bekämpfen will.

DOMRADIO.DE: Der Vorschlag von Herrn Seehofer besagt aber, dass alle Menschen an der Grenze zurückgewiesen werden sollen, oder nicht?

Diekelmann: Nein, er möchte schon an der Grenze festgestellt wissen, ob jemand anderswo schon als Schutzbedürftiger registriert wurde. Man müsste zu dem Zweck die Grenzkontrollen deutlich intensivieren. Man müsste sämtliche Technik vorhalten, um überprüfen zu können, ob jemand schon mal woanders registriert worden ist; ob Fingerabdrücke genommen wurden usw. Das würde beispielsweise an der deutsch-österreichischen Grenze folgendes bedeuten: Wenn jemand nicht nach Deutschland reingelassen wird, würde es die Österreicher veranlassen, genau das Gleiche an den Außengrenzen zum Balkan hin zu tun. Das heißt, es würde von Deutschland ein ganz wesentliches Signal der Abschottung ausgehen. Anstatt zu sagen, wie es in Deutschland eigentlich seit Bestand der Bundesrepublik immer Tradition gewesen ist: Asylsuchende oder Flüchtlinge haben einen Anspruch auf Asyl oder zumindest auf die Prüfung ihres Schutzanspruchs.

DOMRADIO.DE: Ist es so, dass bei diesen Überlegungen die Integrationsfragen der Migranten, die zum Teil schon seit Jahrzehnten hier leben, ins Hintertreffen geraten?

Diekelmann: Ich sage ganz eindeutig ja. Es sind ja nicht nur viele tausend Geflüchtete, sondern es sind 18,6 Millionen Menschen – Frauen, Männer, Kinder, Alte, die noch einen Migrationshintergrund aufweisen. Und dieser große Teil der Bevölkerung kommt im öffentlichen Diskurs in den letzten Monaten kaum mehr vor. Wenn Politiker über unser Land oder über Heimat reden, dann hört sich das fast immer so an, als seien damit nur die Ureinwohner in Deutschland gemeint und die Menschen mit Migrationshintergrund eben nicht. Darunter sind ja viele, die in zweiter oder bereits in dritter Generation in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Diese fühlen sich dann nicht angesprochen, sondern immer wieder ein Stück ausgegrenzt, im Sinne einer Unterscheidung wie "Wir Ureinwohner" und "Ihr Migranten".

DOMRADIO.DE: Beim letzten Integrationsgipfel hatte es viele Forderungen gegeben – was ist davon bislang aufgegriffen worden?

Diekelmann: Es ist in der Tat so, dass bei den Integrationsgipfeln eher Ziele benannt oder große Pläne angekündigt werden. Auch gestern hieß es, es soll wieder ein nationaler Integrationsplan aufgegriffen werden. Den gibt es im Prinzip schon seit 2007. Die Themen sind eigentlich immer die gleichen: Es geht um Chancengleichheit im Bildungssystem, im Gesundheitssystem am Arbeitsplatz, in der öffentlichen Verwaltung usw. Es geht um mehr Miteinander und weniger Nebeneinander. Ja und wie gesagt, gestern gab es wieder die Ankündigung eines Nationalen Integrationsplans. Das ist in erster Linie Symbolpolitik, aber ich finde es auf der anderen Seite wichtig, dass es solche Events gibt.  Frau Merkel hat ja nach dem gestrigen Gipfel noch einmal deutlich die Botschaft formuliert: "Wir wollen ein Deutschland, das weltoffen und vielfältig ist." 

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Archivbild: Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze / © Armin Weigel (dpa)
Archivbild: Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze / © Armin Weigel ( dpa )
Quelle:
DR