Die jahrtausendealte Kultur Mhardehs

Syriens "Hauptstadt der orthodoxen Christen" gibt nicht auf

Im siebten Kriegsjahr in Syrien verteidigt die Stadt Mhardeh ihre Geschichte als "Hauptstadt der orthodoxen Christen im Mittleren Osten". Die Hoffnung auf Versöhnung mit den muslimischen Nachbarn lebt weiter.

Kirche in Mhardeh / © Karin Leukefeld (KNA)
Kirche in Mhardeh / © Karin Leukefeld ( KNA )

Die syrische Kleinstadt Mhardeh liegt nordwestlich von Hama am Orontes-Fluss, nicht weit von der antiken Stätte Apameia entfernt. In Mhardeh und Umgebung sind unzählige Spuren vergangener Reiche und Kulturen zu finden, die bis ins 12. Jahrhundert vor Christus zurückreichen. Immer waren die Epochenwechsel mit Krieg verbunden, dann folgten ruhige Zeiten, in der die Kultur neu erblühte.

Mhardeh entstand etwa im 3. Jahrhundert vorchristlicher Zeitrechnung. Auf diese Zeit datiert ein Tempel, der später zum Fundament einer Kirche wurde. Heute trägt sie den Namen Sayda, was so viel heißt wie "Unsere Dame". Gemeint sei Maria, erklärt der Mediziner Habib Flaha, der sich vielfältig für seine Heimatstadt engagiert. "Sayda Maria", präzisiert der Hals-, Nasen-, Ohrenarzt.

Oft in Gefahr

Flaha weist auf die antiken Säulenreste nahe der Kirchenmauer. Der bauliche Übergang des ursprünglichen Tempels zur neuen Kirche ist gut zu sehen. Von der Kirche führe ein unterirdischer Gang zu nahezu jedem Haus in der Altstadt von Mhardeh, erklärt Flaha. Die Christen seien oft in Gefahr gewesen, das alte Tunnelnetz habe sie geschützt.

Die Türen von "Sayda Maria" sind verschlossen. Der Pfarrer sei unterwegs, um Familien zu besuchen, sagt ein Arbeiter, der das alte Kirchengestühl restauriert.

"Ohr, Auge und helfende Hand"

Seit Beginn des Krieges 2011 seien die Christen in Mhardeh wieder in Gefahr, erläutert wenig später der Muchtar von Mhardeh, Simon Yousef al Khoury. Das Amt des Muchtars wurde im Osmanischen Reich eingeführt und bezeichnet eine Art Gemeindebürgermeister. Anders als der Bürgermeister, der vor allem repräsentative Aufgaben hat und den Kontakt zu den Regierungsstellen hält, ist der Muchtar "Ohr, Auge und helfende Hand" für die Bevölkerung.

Simon al Khoury ist gut über die Lage der Menschen in Mhardeh informiert. 22.663 Personen, 6.200 Familien lebten in dem Ort, zählt er auf. Aufgrund des Krieges hätten 480 Familien den Ort verlassen und lebten heute an der Küste oder in Damaskus. 50 Familien aus Mhardeh seien nach Deutschland gegangen und dort gut aufgenommen worden. Er hoffe, dass alle nach dem Ende des Krieges zurückkehrten.

Plötzlich Extremist

"Wir sind ein Volk, das Frieden will. Unterstützen Sie uns dabei." Seit 2011 seien 8.000 Raketen und Granaten in Mhardeh eingeschlagen, fährt der Muchtar fort. 90 Zivilisten und 24 junge Soldaten seien getötet worden. Die Angriffe kämen aus den umliegenden Dörfern, weiß al Khoury. "Teilweise liegen sie in unserer Nachbarprovinz Idlib. Dort hat die Nusra Front das Sagen, das ist Al-Kaida."

Früher sei Mhardeh die "Mutter der umliegenden Dörfer" gewesen, erinnert er sich. Die Bauern kamen aus den Nachbarorten, um auf dem Markt in Mhardeh ihr Vieh, Obst und Gemüse zu verkaufen. Doch 2011 hätten die muslimischen Bewohner der Dörfer plötzlich sehr extremistische Ansichten vertreten und die Bürger Mhardehs zu "Ungläubigen" erklärt.

"Gute Menschen können sich versöhnen"

Simon al Khoury macht die Türkei für die Eskalation verantwortlich. Sie habe die muslimische Landbevölkerung aufgestachelt und bewaffnet. "Ja, wir stehen an der Seite der Regierung und der syrischen Armee, die uns schützt. Sie greifen die Armee an, also greifen sie auch uns an."

Für den Muchtar gibt es aber noch einen anderen Angriff auf die Christen von Mhardeh. Seit Beginn des Krieges seien immer mehr "protestantische Sekten" nach Syrien gekommen und versuchten, die Ostkirche zu zerstören. "Sie sprechen gezielt solche Menschen an, die ihre Arbeit oder ihr Zuhause verloren haben. Sie bieten Geld und Hilfe an, wenn Christen Syrien verlassen wollen." Mhardeh sei bisher verschont geblieben: "Wir sind die 'Hauptstadt der orthodoxen Christen' im Mittleren Osten, wir werden nicht aufgeben."

Wird es eine Versöhnung mit den Menschen aus den umliegenden Dörfern geben können? Werden sie wieder ihr Obst und Gemüse in Mhardeh verkaufen? Simon al Khoury zögert nicht mit der Antwort: "Gute Menschen können sich versöhnen. Wir alle werden die Vergangenheit vergessen und eine neue Seite in unserem Zusammenleben aufschlagen. Und wenn der Krieg zu Ende ist, werden wir gemeinsam alles wieder aufbauen."


Quelle:
KNA