Forscher rechnet mit verstärkter Spaltung der Gesellschaft

"Autoren alternativer Medien sehen es mit Fakten nicht so eng"

Die Meinungen der Nutzer im Internet scheinen extremer geworden zu sein – auf einigen Seiten in sozialen Netzwerken herrscht ein rauer Ton. Hinzu kommt, dass sich manche Nutzer nur noch über Seiten informieren, die falsche Nachrichten verbreiten.

 (DR)

KNA: Herr Schweiger, bei Themen wie der Flüchtlingskrise oder der AfD-Politik kommt es in sozialen Netzwerken oft zu aufgeheizten Diskussionen. Teils bilden sich richtige Fronten. Woran liegt das?

Wolfgang Schweiger (Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim): Viele Menschen informieren sich nur noch über die sozialen Netzwerke. Dort bekommen sie zusammenhanglose Einzelbeiträge angezeigt. Ich nenne das algorithmisch-personalisierte Nachrichtenkanäle: Die Nutzer sehen nur Beiträge, die der Algorithmus für die Person aussucht und vorfiltert. Ansichten anderer Menschen dringen kaum mehr zu den Nutzern vor, und die sogenannte Filterblase entsteht. Damit sehen die Menschen überwiegend gleiche oder ähnliche Meinungen zu ihrer eigenen. Ihre Ansichten können extremer werden, weil sie sich gegenseitig bestärken und damit verstärken. Gleichzeitig fehlt ihnen ein Überblick über die Ereignislage. Das verstärkt die Spaltung der Gesellschaft.

KNA: Kann das alleine die Stimmung im Internet erklären?

Schweiger: Unsere Gesellschaft war noch nie einheitlich. Wir hatten früher aber Massenmedien, bei denen sich fast alle informierten – alle sahen Nachrichten im Fernsehen. Durch das Internet ändert sich die Situation. Jede Gruppe hat heute ein eigenes maßgeschneidertes Nachrichtenangebot, das mehr oder weniger nach journalistischen Maßstäben arbeitet. Viele dieser Angebote sind 'alternative Medien', deren Autoren es mit den Fakten nicht so eng sehen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Sie überspitzen oder ändern oft Details. Diese Angebote verstärken die gesellschaftliche Spaltung weiter.

KNA: Gibt es eine Art parallele Welt in den sozialen Medien, in denen sich manche Menschen ausschließlich informieren?

Schweiger: Ja, man kann durchaus von einer Nachrichten-Parallelwelt sprechen, in die Nutzer alternativer Medien und Fans extremer politischer Akteure geraten. Das meint der Begriff der Filterblase. Das konnte ich bereits bei meinen Beobachtungen auf der Facebook-Seite von Pegida vor zwei Jahren sehen. Die Leute haben sich mit ihrem isolierten Nachrichtenbild und ihrem Frust gegenseitig aufgestachelt und zunehmend extreme Meinungen entwickelt.

KNA: Lebten die Menschen früher nicht auch in Filterblasen, wenn sie immer die gleiche Zeitung lasen oder mit den gleichen Menschen redeten?

Schweiger: Deutschlandweite Zeitungen hatten schon immer redaktionelle Richtlinien, die in eine bestimmte politische Richtung gehen. Die meisten regionalen Medien haben eher schwache oder keine erkennbare politische Tendenz. Und genau die regionalen Zeitungen hatten früher hohe Verkaufszahlen und erreichten viele Menschen. Ihre Berichterstattung war halbwegs ausgewogen und hat die tägliche Nachrichtenlage abgedeckt. Damit gab es keinen Filterblasen-Effekt.

KNA: Wieso sind manche Nutzer zu den sozialen Medien abgewandert?

Schweiger: Ein wichtiger Grund ist die Elitenverdrossenheit gegenüber Politikern, Wirtschaftsunternehmen, Medien und Journalisten, aber auch gegenüber der Wissenschaft. Besonders der Politik und dem Journalismus sagen die Zweifler eine zu große Nähe nach. Der zweite Kritikpunkt ist, dass die Medien sehr gleich über Außenpolitik berichten. Das fing an mit der Berichterstattung über die Ukraine- oder die Flüchtlingskrise. Das hat Misstrauen gegenüber etablierten Medien geweckt und dadurch sozialen sowie alternativen Medien Zulauf beschert.

KNA: Wer sind die Zweifler?

Schweiger: Die breite Bevölkerung informiert sich bei den klassischen Medien. Meiner Vermutung nach zweifeln 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung am System. Das sind oft AfD-nahe Bürger. Sie weisen eine durchschnittliche Bildung auf, sind aber trotzdem überfordert von der Komplexität des politischen Systems und haben oft kein Verständnis für Kompromisse. Ihr Vertrauen in die Politik ist durch Auslöser wie die Flüchtlingskrise gestört und jetzt kochen sie in den sozialen Medien ihr eigenes Süppchen.

KNA: Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Schweiger: In der deutschen Gesellschaft gibt es einen breiten Mainstream. Die Menschen darin sind mehr oder weniger liberal. Auf der anderen Seite gibt es eine AfD-nahe Gruppe, die sehr stark die algorithmisch-personalisierten Kanäle nutzt, wie Facebook und YouTube. Dort gibt es extreme Meinungen. Wir wissen leider nicht, was Ursache und was Wirkung war. Waren zuerst die extremen Meinungen da und die Menschen sind in die Filterblasen gegangen? Oder gab es erst die Filterblasen und die extremen Meinungen entstanden daraus? So oder so driftet die Gesellschaft als Folge weiter auseinander.

KNA: Was kann dagegen getan werden?

Schweiger: Menschen sollten sich weniger über algorithmisch-personalisierte Kanäle und wieder stärker über die klassischen Medien informieren, damit sie das ganze Nachrichtengeschehen mit allen Facetten im Blick haben. Am besten sind Medien, die ihre Qualität seit Jahren beweisen. Alle anderen muss man mit Vorsicht genießen. Die Zweifler zu den normalen Medien zurückzuholen wird schwierig bis unmöglich. Die Frage ist, wie wir mit den algorithmisch-personalisierten Kanälen umgehen. Wahrscheinlich wird sich nichts ändern, weil Regulierungen der Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken mit dem Grundgesetz kollidieren. Gegen die Aufspaltung ist daher kein Kraut gewachsen.

Das Interview führte Maren Breitling.


Quelle:
KNA