Cavusoglu zum Jahrestag an Solinger Brandanschlag erwartet

"Wir werden wachsam sein"

Ende Mai jährt sich der Brandanschlag auf eine türkische Famile in Solingen, bei dem fünf Menschen starben, zum 25. Mal. Zur Gedenkfeier soll auch der türkische Außenminister kommen – einen Monat vor den türkischen Präsidentschaftswahlen.

Das bei dem Brandanschlag zerstörte Haus der türkischen Familie Genc (epd)
Das bei dem Brandanschlag zerstörte Haus der türkischen Familie Genc / ( epd )

DOMRADIO.DE: Es war der 29. Mai 1993. Damals starben fünf Frauen und Mädchen der türkischen Familie Genc bei einem Brandanschlag. Solingen gedenkt jedes Jahr, zusammen mit den türkischen Mitbürgern, dieses schrecklichen Ereignisses. Zum 25. Jahrestag wird auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach Solingen kommen.

Wenn Cavusoglu vor Landsleuten spricht und ihnen die Integration ans Herz legt und fordert, dass so ein Anschlag nie wieder vorkommen darf, dann ist das doch sicher auch im Sinne der Stadt, oder?

Tim Kurzbach (Oberbürgermeister von Solingen und Vorsitzender des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Köln): Für uns Solingerinnen und Solinger steht vor allem im Vordergrund, dass wir der Ermordung von fünf Frauen – teilweise noch Kindern – gedenken. Dieser Tag ist der schwärzeste Tag in der Geschichte Solingens nach dem Zweiten Weltkrieg. Das steht für uns absolut im Vordergrund.

Jeder, der mit uns in Gedanken und Gebeten verbunden sein möchte, ist natürlich herzlich willkommen, da wir ja nicht nur das Gedenken wachhalten wollen, sondern auch immer wieder daran erinnern wollen, dass es einer lebendigen Zivilgesellschaft bedarf, damit so etwas nie wieder passiert. Von daher gibt es viele Menschen, die uns ihre Solidarität schon bekundet haben. Darüber sind wir sehr froh und glücklich.

Aber wir werden auch streng darauf achten, dass das Trauern, Gedenken und das Erinnern an eine lebendige Demokratie wichtig ist und nicht die politische Agitation.

DOMRADIO.DE: Der Auftritt des türkischen Außenministers ist ja offenbar schon vom deutschen Außenminister Maas genehmigt. Aber die Befürchtung steht im Raum, dass Cavusoglu Wahlkampf für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und sich selbst machen könnte. Warum ist das nicht in Ihrem Sinne?

Kurzbach: Die Landesregierung NRW hat eine Einladung an den türkischen Staat ausgesprochen. Deswegen erwarte ich, dass die Landesregierung gemeinsam mit uns und dem Auswärtigen Amt sehr streng darauf achten wird, dass Solingen nicht zu einem Symbol hochstilisiert wird, an dem sich verschiedene politische Parolen abarbeiten können.

Als ich das – genau so wie viele Solingerinnen und Solinger – vor 25 Jahren erlebt habe, mussten wir feststellen, dass unsere Stadt auch missbraucht worden ist. Solingen war nie eine rechte Hochburg. Geschichtlich gesehen sogar das Gegenteil davon.

Die Solingerinnen und Solinger haben unmittelbar in den Tagen damals Solidarität und Hilfe geleistet. Es hat sich ein Bündnis namens "SOS Rassismus" gegründet. Viele Initiativen haben sich gegründet. Bis heute leben in Solingen 140 Nationen friedlich zusammen und wir leben 365 Tage im Jahr Integration. Wir haben auch eine hohe Sensibilität, was sich zuletzt an der Aufnahme von über 3.000 Flüchtlingen gezeigt hat. Wir arbeiten jeden Tag an der Integration unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Wenn es nun aber von außen durch Politik oder Medien immer wieder geschieht, dass man über unsere Stadt hereinfällt, dann werden wir wachsam sein und uns das auch nicht gefallen lassen.

DOMRADIO.DE: Wie wollen Sie verhindern, dass nicht doch Werbung für Erdogan gemacht wird am 29. Mai?

Kurzbach: Die Verantwortung liegt auch auf den Ebenen des Landes und der Bundesregierung, denn dort finden die internationalen Kontakte und Vorbereitungen von internationalen Besuchen statt. Wir sind eine Stadt, die um fünf ermordete Mitbürgerinnen und Mitbürger trauert. Wir werden uns abstimmen. Wir sind in Gesprächen mit der Staatskanzlei und dem Auswärtigen Amt.

Wir bitten alle Redner, uns im Vorfeld ihre Reden zu geben, weil wir sie ins Türkische oder Deutsche übersetzen, damit alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch nachvollziehen können, was gesprochen wird. Aber es wird in der gemeinsamen Verantwortung liegen, darauf hinzudeuten, dass Solingen damals sicherlich ein Tatort war, aber Solingen heute ein Ort der Integration ist. Darauf bin ich sehr stolz. Diese Errungenschaft unserer Stadt werde ich mir nicht kaputt machen lassen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Tim Kurzbach / © N.N. (dpa)
Tim Kurzbach / © N.N. ( dpa )

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu  / © Oliver Hoslet (dpa)
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu / © Oliver Hoslet ( dpa )
Quelle:
DR