Kirche appelliert nach GroKo-Poker an Entscheider

Am seidenen Faden?

Es war eine lange Nacht. Doch nun haben sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Aber in trockenen Tüchern ist die neue Regierung noch nicht. Die SPD-Mitglieder haben jetzt das Wort. Aus Kirchenkreisen kommen dazu Appelle.

SPD-Mitglieder müssen über Koaltionsvertrag entscheiden / © Michael Kappeler (dpa)
SPD-Mitglieder müssen über Koaltionsvertrag entscheiden / © Michael Kappeler ( dpa )

Nach der Einigung von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag appelliert die evangelische Kirche an das Verantwortungsgefühl derjenigen, die nun über Annahme oder Ablehnung dieses Ergebnisses entscheiden. "Es geht nicht darum, wie man sich persönlich besser fühlt, sondern es geht darum, wie den Menschen, um die es geht, insbesondere den Schwächsten und Verletzlichsten, am besten geholfen ist", schrieb der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, am Mittwoch auf Facebook.

"Es kann jetzt auch nicht zuerst um Parteiinteressen gehen, sondern es geht um Verantwortung für das ganze Land, für Europa und, gerade im Hinblick auf die uns so wichtigen globalen Gerechtigkeitsfragen, auch für die Welt", fügte er hinzu.

Wer jetzt entscheide, müsse sich auch Rechenschaft darüber ablegen, was "die realistischen Alternativen zur Bildung dieser Koalition sind und bei welcher der Alternativen die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass Schritte in die richtige Richtung getan werden". Den Verhandlern wünsche der bayerische Landesbischof "vor allem eine dicke Portion Schlaf".

Schick: Gute Entscheidung für die Weltkirche

Der Bamberger Erzbischof Schick begrüßte gegenüber DOMRADIO.DE die Einigung von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Er habe das Koalitionspapier bereits gelesen und hoffe, dass die künftige Regierung ihre geplanten Punkte auch umsetze: "Ich freue mich einmal, dass die Familie gestärkt werden soll. Außerdem, das ist ja mein zweites großes Interesse, die Weltkirche. Die Weltkirche soll gestützt werden, indem das Budget für das Entwicklungsengagement erhöht wird und dass das auch verbunden wird mit den Ausgaben für Rüstung. Von daher hoffe ich, dass die große Koalition auch zusammenkommt und dass sie die guten Vorsätze, die sie sich gefasst hat, auch wirklich in die Realität umsetzen kann.“

SPD-Mitglieder entscheiden

Alles kommt nun auf das Votum von fast 464.000 SPD-Mitgliedern an. Die Jusos hatten mit einer Kampagne dafür geworben, in die Partei einzutreten und gegen die Neuauflage der großen Koalition zu stimmen. Seit Jahresbeginn verzeichnet die SPD rund 24.000 Neumitglieder, die an der Abstimmung teilnehmen dürfen.

Kirchen als "Partner des Staates"

In ihrem Koalitionsvertrag bezeichnen Union und SPD Kirchen als "Partner des Staates". Sie seien wichtiger Teil der Zivilgesellschaft, heißt es in dem Vertrag, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Darin heißt es weiter, die Koalitionäre wollten sich "auf Basis der christlichen Prägung unseres Landes" für ein gleichberechtigtes "Miteinander in Vielfalt" einsetzen. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen zudem zum interreligiösen Dialog ermutigt werden, "denn das Wissen über Religionen, Kulturen und gemeinsame Werte ist Voraussetzung für ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt".

Weiter findet sich in dem kurzen Abschnitt zum Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften das Versprechen, Antisemitismus entschieden zu bekämpfen und anti-islamischen Stimmungen entgegenzutreten.

Konkrete Details werden nicht genannt. Bereits vor den Koalitionsverhandlungen hatten Union und SPD angekündigt, in der künftigen Bundesregierung einen Antisemitismusbeauftragten zu berufen. Auch der Bundestag hatte dies gefordert. Strittig war zwischen Union und SPD noch, ob der Beauftragte im Kanzleramt oder im Bundesinnenministerium angesiedelt wird.

Koalitionsvertrag steht

"Der Vertrag steht", verkündete die SPD am Mittwoch über ihren Mitgliederverteiler beim Messengerdienst WhatsApp. Letzte Details würden noch in den Text eingearbeitet. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte in Berlin: "Es ist gelungen, die Konflikte aufzulösen." Nach den Worten des geschäftsführenden Bundesfinanzministers Peter Altmaier (CDU) gibt es jetzt einen Koalitionsvertrag, "der für sehr viele Bürger Positives bedeutet".

Zuvor war die ganze Nacht verhandelt worden. Bis zuletzt ging es um Kompromisse in der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik und die Verteilung der Ministerien. Wie die Einigung und die künftige Ressortaufteilung genau aussehen soll, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Am Vormittag war noch nicht bekannt, wann die Parteivorsitzenden die Einigung vorstellen wollten. Vor einer Regierungsbildung müssen noch die SPD-Mitglieder über eine Neuauflage der großen Koalition abstimmen.

Der Koalitionsvertrag sieht Mehrausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe vor. So versprechen CDU, CSU und SPD das Rentenniveau in den kommenden sieben Jahren stabil zu halten. Eine Grundrente soll jene, die 35 Jahre Beiträge eingezahlt haben, gegenüber den Grundsicherungsempfängern besserstellen. Das Kindergeld soll um 25 Euro erhöht und ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder geschaffen werden.

Kompromisse gefunden

Ferner beschlossen Union und SPD die Investition von zwei Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau, eine Verschärfung der Mietpreisbremse sowie ein Baukindergeld für Familien.

Einen Kompromiss gab es zudem bereits vorige Woche beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz. Danach soll die Familienzusammenführungen bis Ende Juli ausgesetzt bleiben. Anschließend sollen monatlich 1.000 enge Angehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz aufgenommen werden. Zusätzlich sollen Härtefälle berücksichtigt werden.

Die Zahl der Zuwanderer soll eine Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen. In der Entwicklungspolitik soll die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Mittelpunkt rücken. Ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte soll nach Willen der drei Parteien künftig die Migration qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland regeln.


Heinrich Bedford-Strohm / © Norbert Neetz (epd)
Heinrich Bedford-Strohm / © Norbert Neetz ( epd )

Erzbischof Ludwig Schick / © Nicolas Armer (dpa)
Erzbischof Ludwig Schick / © Nicolas Armer ( dpa )

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD / © Gregor Fischer (dpa)
Koalitionsverhandlungen von Union und SPD / © Gregor Fischer ( dpa )
Quelle:
KNA , epd