Bericht über "vergessene" Krisen der Welt vorgestellt

"Hilfe hängt auch von Berichterstattung ab"

Es gibt sie – die "vergessenen" humanitären Katastrophen in der Welt. Die Hilfsorganisation CARE hat nun einen Bericht über die Krisen vorgestellt, über die im vergangenen Jahr in den Online-Medien am wenigsten berichtet wurde.

Dürre bedroht viele Ernten / © Arno Burgi (dpa)
Dürre bedroht viele Ernten / © Arno Burgi ( dpa )

DOMRADIO.DE: Welche Krisen sind es, die im vergangenen Jahr besonders untergegangen sind?

Karl-Otto Zentel (Generalsekretär von CARE): Wir haben ein Negativ-Ranking gemacht. Das heißt, wir haben die zehn Länder aufgeführt, die am wenigsten Online in den Medien genannt wurden. Das am wenigsten im Zusammenhang mit einer humanitären Krise genannte Land ist Nordkorea. Politisch war das natürlich durch die Nukleardiskussion sehr stark in den Medien, aber die humanitäre Situation mit Hungersnöten und Überschwemmungen tauchte so gut wie gar nicht auf.

Das Land, das am zweitwenigsten in den Medien erwähnt wurde, war Eritrea, das meist bei uns nur in den Medien auftaucht, wenn von Flüchtlingen und der Fluchtroute über das Mittelmeer die Rede ist. Aber dass 700.000 Menschen in diesem Land von Dürre und Ernährungsunsicherheit betroffen sind, taucht bei uns auch nicht auf.

Diese vergessenen humanitären Krisen haben wir dann hochgelistet bis zum am zehntwenigsten genannten Land. Das war im vergangenen Jahr Peru. In diesem Land gab es sehr große Überschwemmungen, die Hunderttausende Menschen betroffen haben, große Zerstörung angerichtet und Ernten vernichtet haben. Auch davon ist bei uns in den Online-Medien sehr wenig berichtet worden.

DOMRADIO.DE: Warum nimmt sich Ihr Bericht diesen medialen Schieflagen überhaupt an?

Zentel: Wir wollen damit auffordern, auch für das aufmerksam zu sein, was jenseits der Schlagzeilen passiert. Es wissen wahrscheinlich viele, dass der Syrienkrieg nun in das achte Jahr geht. Aber dass beispielsweise in der Tschadsee-Region in den Ländern Niger, Nigeria und Tschad seit acht Jahren Bürgerkrieg herrscht und da auch viele Hunderttausend Menschen vertreiben wurden und Tausende starben, taucht nicht auf. Nur was in den Medien erscheint und wovon berichtet wird, können die Menschen auch wahrnehmen. Diese Wahrnehmung und das Bewusstmachen ist die Voraussetzung dafür, auch Unterstützung zu erhalten.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie ziehen da auch einen direkten Zusammenhang zwischen medialer Aufmerksamkeit und finanzieller Unterstützung?

Zentel: Von den zehn Ländern, die wir aufgeführt haben, gehörten nach einem Bericht der Vereinten Nationen sechs zu den am wenigsten finanzierten Krisen. Da gab es die größten Defizite - verglichen mit dem Bedarf und den zur Verfügung gestellten Mitteln. Das hat für uns schon eine direkte Verbindung zur Berichterstattung.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn für konkrete Empfehlungen an Medien, Politik und Hilfsorganisationen?

Zentel: Die Empfehlungen gehen in alle drei Richtungen. Dass von diesen Katastrophen teilweise so wenig berichtet wird, hat auch damit zu tun, dass es für Journalisten unheimlich schwierig ist, einen Zugang zu bekommen. Das heißt, hier ist die Politik gefordert, immer mit Nachdruck zu unterstützen, dass Journalisten freien Zugang zu diesen Ländern haben und eine freie Berichterstattung möglich ist.

Die Medien sehen sich natürlich dem Druck der Vielzahl der Katastrophen und Krisen gegenüber und verknappen Budgets. Von den Medien fordern wir, dass sie auch neue Formen der Berichterstattung, beispielsweise über lokale Journalisten stärker einbauen. Es muss vielleicht nicht immer der Korrespondent aus Deutschland sein, der vor Ort als Erster spricht.

Und an die Hilfsorganisationen - also auch an unsere eigene Adresse - geht der Appell, dass wir ganz klar realisieren müssen, dass Berichterstattung ein integraler Bestandteil von humanitärer Hilfe sein muss. Das ist keine lästige Aufgabe, die man nebenher macht, sondern eine ganz wichtige Voraussetzung, um zu berichten und den Menschen, die betroffen sind, eine Stimme und ein Bild zu geben, um den Rest der Welt zu informieren. Das hat auch mit Unterstützung zu tun, aber auch mit politischem Druck, um ein Ende dieser Krisen herbeizuführen.

Das Interview führte Moritz Dege.


Quelle:
DR