Religion für Jugendliche in Nahost laut Studie immer wichtiger

Optimistischer Blick in die Zukunft

Trotz aller Krisen in der Arabischen Welt blicken junge Menschen in der Region optimistisch in die Zukunft. Viele sind inzwischen von den Umbrüchen aber enttäuscht und desillusioniert. Aber die Religiösität nimmt zu.

 (DR)

Jugendliche im Nahen Osten und in Nordafrika blicken trotz einer unsicheren sozialen Lage mit Zuversicht in die Zukunft: Das ist das Ergebnis einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die der Katholischen Nachrichten-Agentur vorliegt. Der Band zur Studie "Zwischen Ungewissheit und Zuversicht", die erstmals im Dezember vorgestellt wurde, erscheint am kommenden Montag.

Demnach sind 10 Prozent der Jugendlichen in Ägypten, Bahrain, dem Jemen, Jordanien, dem Libanon, Marokko, Palästina und Tunesien "fest zur Migration" entschlossen. Die meisten jungen Menschen wollten dagegen die Zukunft in ihrer Heimat gestalten. Allerdings, so schreibt Mitherausgeber Ralf Hexel: "Stabilität und Entwicklung wird es für die Region nur dann geben, wenn junge Menschen politisch und wirtschaftlich an der Gestaltung der Zukunft teilhaben können".

Trotz des generellen Optimisus in der Zukunft beschäftigen die jungen Menschen aber aktuell auch viele Probleme. "Es besteht kein Zweifel, dass die Umstände, die unsere Leben heute bestimmen, härter sind als jemals zuvor", zitieren die Autoren der Studie eine 17-jährige Schülerin mit Namen Sara aus Ägypten. "Ich glaube, die früheren Generationen hatten im Vergleich zu uns ein angenehmeres Leben." Die Zeiten seien stabiler gewesen, heute sei das Leben von instabilen Bedingungen geprägt und einem Verlust an Sicherheit, berichtet die Schülerin. Der 29-jährige Muatas aus dem Kairoer Vorort Giseh ergänzt: "Gegenwärtig hat die Jugend keine Ansprüche, denn wir finden keine Arbeit. Wie können wir also eine Familie gründen, leben, essen, trinken? Wir sind überhaupt nicht sicher."

Religion wird immer wichtiger

Ein eigenes Kapitel ist der Religiosität von Jugendlichen in den arabischen Ländern gewidmet. 94 Prozent der befragten Jugendlichen sind den Angaben zufolge muslimischen Glaubens. Religion spielt für ihren Alltag demnach eine zunehmend wichtige Rolle. Verglichen mit der Religiosität vor fünf Jahren bezeichneten sich mehr Jugendliche als "stärker religiös" oder "sehr religiös" (66 Prozent, damals 58 Prozent). In Bahrain (87 Prozent) und im Jemen (54 Prozent) stufte sich eine Mehrheit der Befragten als "sehr religiös" ein.

72 Prozent der Frauen und 62 Prozent der Männer sagten über sich, sie seien "stärker religiös" oder "sehr religiös". Dies sei nicht überraschend, schreibt der Leiter des Marburger Centrums für Nah- und Mitteloststudien, Rachid Ouaissa: In der gesamten Region seien "die sozialen Aufstiegschancen für Frauen viel niedriger als für Männer". Sehr religiöse Jugendliche sind demnach vor allem in den Großstädten und im ländlichen Raum präsent. Nach Einschätzung Ouaissas widerlegt die Studie zugleich "die viel popularisierte These des Zusammenhangs zwischen Religiosität und Armut bzw. Religiosität und niedrigem Bildungsgrad". Die befragten religiösen Jugendlichen stammten überwiegend aus finanziell gesicherten Familien und einer Art Bildungsbürgertum, schreibt er.

"Während die Generation der 1960er-Jahre an die staatlichen Utopien glaubte und von der wirtschaftlichen Prosperität profitierte, ist die heutige Generation in ihrem Sozialaufstieg blockiert", schreibt Ouaissa vom Centrum für Nah- und Mitteloststudien. "Die zu beobachtende Präsenz der Religion bei den Jugendlichen scheint eine Art Ersatz für die mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten zu sein."

Wenig Vertrauen in Institutionen

Das Vertrauen in religiöse Institutionen sei indes nicht sehr hoch: 23 Prozent gaben demnach an, ihnen zu vertrauen. Dies zeigt laut Ouaissa, dass Religion "nicht mehr politischen und/oder ideologischen Zwecken" diene, sondern eher dem individuellen Wohlfühlen. Religion werde immer mehr zu einer Privatangelegenheit, und Spiritualität sei für Jugendliche offenbar ein Fluchtort und eine Quelle der Hoffnung. Ouaissa: "Vielleicht erleben wir gerade den Beginn eines laizistischen Zeitalters in der arabischen Welt."

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Studie in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig, Kantar Public, TNS Marokko und weiteren Forschungszentren und Meinungsforschungsinstituten im Nahen Osten und Nordafrika durchgeführt. Den Angaben zufolge wurden 9.000 Jugendliche zwischen 16 und 30 Jahren in acht Ländern interviewt.


Demonstration in Tunis  / © Mohamed Messara (dpa)
Demonstration in Tunis / © Mohamed Messara ( dpa )
Quelle:
KNA , dpa